Schön oder schirch? Die Sache mit dem Christbaum
Von Julia Schrenk
Seit der Christbaum steht, ist die Aufregung in der Stadt groß. „Zottelig“ sei sie, die Fichte.
Sie sehe so aus, als hätte sie sich – wie wohl einige im Lockdown – die Haare selbst geschnitten. „Es wäre eine Überraschung gewesen, wenn’s ein schöner Baum geworden wäre“, kommentierte einer in den sozialen Medien. Und ein anderer frage, warum der Baum 2020 nicht einfach schön sein könne.
Klingt wie Wien?
Ist es aber nicht.
Die Rede ist von New York City. Und seit dort vergangenen Samstag der weltberühmte Christbaum vor dem Rockefeller Center aufgestellt wurde, ist die Stadt in heller Aufregung.
In den sozialen Medien wird die 11 Tonnen schwere und 75 Fuß (etwa 23 Meter) hohe norwegische Fichte von den New Yorkerinnen und New Yorkern schlechtgeredet. So sehr, dass nun sogar die New York Times darüber berichtete.
Die Sache mit dem Christbaum in New York ist der Sache mit dem Christbaum in Wien sehr ähnlich. Um nicht zu sagen: komplett gleich.
Da wie dort rümpft man ob der angeblich nicht ansehnlichen Staude die Nase, da wie dort versucht man, die Stadtbevölkerung aufzuklären, dass der Transport eines so großen Baumes nun einmal nicht ohne kleinere Wehwehchen vonstattengehen kann.
Der Baum vor dem Wiener Rathaus kommt heuer – wie berichtet – aus dem kleinen Örtchen Klaffer am Hochficht in Oberösterreich. 235 Kilometer von Wien entfernt. Die Fichte vor dem Rockefeller Center in New York kommt aus dem New Yorker Hinterland, konkret aus Oneonta, 200 Meilen von New York City entfernt.
Da wie dort gehen gleich nach dem Aufstellen die Baumchirurgen ans Werk und verpassen dem Christbaum die nötige Schönheitskur. In Wien waren knapp zehn Stadtgärtner der MA 42 am Werk, um den Baum mit den Ästen – die übrigens extra mitgeliefert wurden – aufzuhübschen.
Sie schrauben die Äste dort wieder an, wo sie beim Umlegen oder während des Transports abgebrochen sind. Und selbst die Profis können sich von den Wienern oft noch was anhören. „Da ist ein Loch, da g’hört noch ein Astl rein“. „Scheu sind sie nicht, die Wiener“, sagt Dominik Heinrich, Stützpunktkoordinator der MA 42 im Rathauspark.
Warum ein Christbaum von Wien bis New York jedes Jahr aufs Neue die Gemüter erhitzen kann? „Es ist für uns leichter, uns über das Blumenbeet der anderen zu beschweren, als über unser eigenes“, sagt Christa Schirl, Psychologin in Linz.
Die Aufregung um den Baum aus Oberösterreich in Wien hat sie – natürlich – mitbekommen.
Schöne, heile Welt
Nur mit dem Hinpecken auf die anderen hat das Geraunze über den Christbaum aber nicht zu tun: „Wir wollen ein Mal im Jahr etwas wirklich Schönes. Und gerade jetzt wollen wir etwas, das perfekt ist, einen Bereich, der noch heil ist“, sagt Schirl.
Das Krisenjahr verlangt uns so viel ab, da steht uns zumindest der perfekte Christbaum zu.
Perfektion zu erreichen, das ist nicht nur in einem schwierigen Jahr schwierig. Der Baum, der vor dem Wiener Rathaus aufgestellt wird, muss bestimmten Kriterien entsprechen.
Er muss groß, darf aber nicht zu groß sein (wegen der Statik auf dem Rathausplatz), er muss schlank sein (damit er auf den Sattelschlepper passt), darf aber nicht zu schlank sein (damit sich die Wienerinnen und Wiener nicht beschweren). Der Stamm muss massiv, darf aber nicht zu breit sein (sonst passt er nicht in die vorgesehene Vorrichtung vor dem Rathaus).
Vom Land für Wien
Seit 1959 wird der Christbaum, der jedes Jahr vor dem Wiener Rathaus aufgestellt wird, von einem Bundesland gespendet. Die Illuminierung erfolgt (normalerweise) als feierlicher Festakt von den Landeshauptleuten beider Bundesländer und dem Bürgermeister der Spender-Gemeinde
Umgelegt, nicht gefällt
So große Bäume werden nicht gefällt, sondern im Wald umgelegt, von Kränen gehoben und auf einen Sattelschlepper gelegt. Für die Reise nach Wien braucht der Transport eine Sondergenehmigung und ein Einreise-Okay aus derselben Nacht. Solange das nicht vorliegt, muss der Baum auf einem Parkplatz warten
Ausgesucht wird der passende Baum von den Landesforstdirektionen. Aber die jeweiligen Gemeinden sind es, die den Baum umlegen (gefällt werden so große Bäume nicht), auf Kräne hieven und transportfertig machen.
Im Falle des Wiener Christbaums waren das ehrenamtliche Helfer, manche von der örtlichen Feuerwehr, manche einfach so. „Die haben sich teilweise Urlaub und Zeitausgleich dafür genommen“, sagt Franz Wagner, Bürgermeister von Klaffer.
Und er sagt auch: „Wir haben das gerne gemacht.“
Dass die Wiener jetzt über den Baum raunzen, sei das eine. Dass man sich von Stermann & Grissemann in der Sendung „Willkommen Österreich“ habe beleidigen lassen können („Der Baum kommt aus Klaffer und so sieht er auch aus“, Anm.), das sei dann doch zu viel gewesen.
50 WhatsApp haben den Bürgermeister erreicht, die Aufregung sei groß gewesen. Zumindest mit Wien sei man versöhnt. „Wir haben sicher 20 eMails von Wienern bekommen, die sich dafür entschuldigt haben, dass unser Baum verspottet wurde.“
Vielleicht sind auch die New Yorker bald mit ihrem Zottel-Christbaum versöhnt. In seinen Ästen entdeckten Arbeiter einen kleinen Sägekauz. Er hatte sich in starken Ästen versteckt – und sogar das Fällen des Baumes und den Transport unbeschadet überstanden.