Chronik/Wien

Die Vorfahrin der Corona-Demos

Demonstrationen Seite an Seite mit der FPÖ. Wehende Österreichfahnen. Transparente mit teils ausländerfeindlichen Sprüchen. Bilder, die heute niemanden mehr überraschen. Solche Demonstrationen finden schließlich derzeit fast wöchentlich statt – wie auch am gestrigen Samstag.

Was heute schon fast alltäglich wirkt, war vor fünf Jahren noch undenkbar. Viele Sympathisanten der FPÖ bekannten sich damals noch nicht öffentlich zu den Blauen. Zustimmung wurde oft nur heimlich im Schutz der Wahlkabine gegeben. Ein Grund, warum die FPÖ bei Wahlprognosen tendenziell schlechter abschnitt als am Wahltag selbst.

Das änderte sich schlagartig am 14. März 2016. Plötzlich demonstrierten 1.500 Bürger unter der Schirmherrschaft der FPÖ im Wiener Bezirk Liesing. Und quasi über Nacht war etwas passiert, das noch wenige Wochen zuvor unrealistisch erschienen war. Mit den Blauen zu demonstrieren, war auf einmal salonfähig.

Die Geschichte rund um die Liesinger Demo ist eine Geschichte von fehlgeleiteter Kommunikation und einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Es ist eine Geschichte von Angst und von einer Partei, die diese Angst für ihre Zwecken nutzen konnte. Und es ist vor allem eine Geschichte von Menschen, die gehört werden wollten.

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Flüchtlingskrise

Das Massenquartier in Liesing wurde inmitten der europaweiten Krise 2015 angekündigt. Die verängstigten Anrainer protestierten

1.500 Flüchtlinge
Medienberichte besagten, dass so viele Menschen im Asylheim einziehen sollten. Es waren im Endeffekt nie mehr als 400

2.000 Demonstranten
Am Liesinger Platz versammelten sich 1.500 Personen, um mit der FPÖ zu demonstrieren. 
Zu einer Gegendemonstration kamen 500 Personen
 

Flüchtlingskrise

Was war geschehen?

Dezember 2015. Ganz Europa befand sich gerade in der Flüchtlingskrise. Die Stimmung in der Bevölkerung war angespannt. In der Kronen Zeitung erschien ein Bericht über ein geplantes Massenquartier mit dem Titel „Bald 1.500 Flüchtlinge in Liesing“. Das Projekt war bis zu diesem Zeitpunkt noch völlig unbekannt. Der Artikel ließ sofort die Wogen hochgehen. Noch dazu war es zwei Tage vor Weihnachten, die verängstigten Anrainer bekamen tagelang keine Antworten auf ihre Fragen.

Außerdem erschütterten Medienberichte über die Silvester-Nacht in Köln, in der es zu Hunderten sexuellen Übergriffen kam – vornehmlich von Männern aus dem afrikanischen und arabischen Raum. Angst machte sich in Liesing breit. Die Nicht-Kommunikation zu den Plänen führte zu vielen Falschinformation, die über die sozialen Netzwerke verbreitet wurden. Und genau da grätschte die FPÖ gekonnt hinein. Die Blauen stellten sich an die Seite der besorgten Bürger und versprachen, gemeinsam gegen die Pläne der Obrigkeit zu kämpfen. Eine Taktik, die auch bei den aktuellen Corona-Demos aufgeht.

Die Erklärungen, dass das Flüchtlingsheim höchstens 750 Menschen beherbergen könne und für Familien – insbesondere für Kinder – gedacht sei, kamen zu spät. Auch weil FPÖ-Gemeinderat Wolfgang Jung weiter standhaft die bereits widerlegte 1.500-Flüchtlinge-Theorie ins Treffen führte.

Bei einer Info-Veranstaltung für die Bürger gab es Buhrufe für den heutigen Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ), damals Geschäftsführer des für die Asylheime zuständigen Fonds Soziales Wien. Die FPÖ hingegen erntete Applaus.

Im März rief die FPÖ schließlich zur „Großdemo gegen Massenquartiere in Wien“ auf. Alle anderen Bezirksparteien traten geschlossen dagegen auf. Eine Gegendemonstration für die Flüchtlinge wurde ebenfalls sofort angekündigt. Liesinger Kirchen stellten in Aussicht, während der FPÖ-Demo die Kirchenglocken als Zeichen des Protests läuten zu lassen.

1.500 Menschen kamen schließlich, um die Blauen zu unterstützen. Dass damals Demonstranten aus der ganzen Stadt nach Liesing fuhren, glich einer Sensation, ist der 23. Bezirk doch für viele Wiener ein weißer Fleck auf der Landkarte. Heute kommen volle Busse aus Tirol oder sogar aus Deutschland zu den Demos der FPÖ.

Von Strache zu Kickl

Während bei den aktuellen Demos FPÖ-Chef Herbert Kickl zuletzt die Demonstranten anheizte, war es in Liesing noch Heinz-Christian Strache. Die Inhalte der Reden von damals und heute unterscheiden sich kaum. „Die rot-schwarze Bundesregierung hat seit Sommer jeden Tag die Gesetze gebrochen“ (Strache 2016) zu „Regierung im Machtrausch“ (Kickl 2021) oder „Lügenpresse (Strache 2016) zu „Propaganda bei den Medien“ (Kickl 2021).

 

Zum Zeitpunkt der Anti-Asylheim-Demo lebten 51 Flüchtlinge in dem Liesinger Heim. Danach waren es nie mehr als 400. Ein Anstieg der Kriminalität trat nicht ein, wie auch die FPÖ im Nachhinein zugab. Die Freiheitlichen hatten es aber geschafft, die Sorgen für sich zu nutzen. Und damit die Schwelle, sich öffentlich zur FPÖ zu bekennen, nachhaltig abzubauen.

Das Massenquartier existiert seit dem Jahr 2017 nicht mehr. Was blieb, ist aber die Bereitschaft, mit der FPÖ auf die Straße zu gehen.