Chronik/Wien

Der Wiener Schal, um den der Zar wettete

Farbige Akzente zu den Kleidern in Pastelltönen setzten modebewusste Damen um 1815 mit bunten Kaschmirschals. Spezielle Akademien und Zeitschriften lehrten, wie die langen Tücher besonders kunstvoll gebunden und drapiert werden.

Das mag aus heutiger Perspektive etwas übertrieben klingen, aber: Damals waren Kaschmirschals  das Accessoire. Und sie waren so begehrt, dass sie in Wien sogar gefälscht wurden. 

Ursprünglich kamen die Kaschmirschals im 15. Jahrhundert aus Indien nach Europa  – meist als Geschenk von Fürstenhöfen. Hergestellt wurden sie aus Wolle, die vom Bauchhaar einer speziellen Ziegenart stammt: der Changra-Ziege, die im nordindischen Kaschmirtal heimisch ist und auf einer Höhe von rund 4.500 Metern lebt. 

Das Besondere an  diesen Schals: Sie waren  ausgesprochen weich, sehr fein und leicht. Bald wurden sie nicht nur in Indien, sondern auch in Europa produziert – und zwar in Frankreich. Die dortigen Hersteller brachten Exemplare in besonders schönen Farben und kunstvollen Mustern zustande. 

Wien steigt ein 

Um das Jahr 1800 begann auch Wien mitzumischen: Zu diesem Zeitpunkt lief die Produktion der damals sogenannten „Shawls“ an. Das Material der Originale wurde mit einer Mischung aus Seide und Wolle oder Baumwolle imitiert. Zunächst wurden sie „Türkische Schals“ genannt, später „Wiener Schals“.

So fein wie die echten Kaschmirschals waren sie zwar nicht – einen guten Ruf hatten sie sie dennoch. 

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Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die „Wiener Schals“ zu einem wichtigen Exportartikel. Maßgeblich dafür verantwortlich war der Wiener Textilfabrikant Rudolf von Arthaber: Er führte die Schals an die Levante-Küste aus.

Trophäe für die Gräfin

Und nicht nur dort fanden sie Anklang, sondern auch bei den Mächtigen. Während des Wiener Kongresses kursierte folgende Geschichte  über den Zaren Alexander von Russland:

„Neulich machte der Zar mit Gräfin Flora Wrbna-Kageneck eine Wette darüber, wer sich am schnellsten vom Kopf bis zu den Füßen umkleiden könne. Man kommt von beiden Seiten im tiefsten Negligé, jede Partei zieht sich in ein Kabinett zurück, nachdem man sich das feierlichste Ehrenwort gegeben, keinen Betrug auszuüben und bis auf das Hemd die ganze Kleidung zu wechseln. Nach zehneinhalb  Minuten erscheint die Gräfin in großer Hoftoilette, eine halbe Minute später der Kaiser in Galauniform mit allen Dekorationen. Man sagte danach, dass der Zar in ritterlicher Weise seiner schönen Partnerin den Vortritt lassen und ihr als Preis einen prachtvollen Kaschmirschal schenken wollte, was er auch tat.“