Chronik/Österreich

Ludwig: "Die Wiener sind nicht die Corona-Sünder der Nation"

Vor fast genau zwei Jahren wurde Michael Ludwig zum Bürgermeister gewählt. Mit dem KURIER spricht er zum Amtsjubiläum über die Angriffe des Bundes, die Auswirkungen der Krise auf seine Politik – und die Themen des anlaufenden Wahlkampfs.

KURIER: Der Kanzler war im Kleinwalsertal, der Bundespräsident hat beim Italiener die Sperrstunde übersehen. Haben Sie schon gegen eine Corona-Regel verstoßen?

Michael Ludwig: Nein, zumindest nicht bewusst. Vielleicht unbewusst.

Glaubt man der Bundesregierung, verstößt der Wiener per se gerne gegen die Corona-Regeln.

Dem muss ich entschieden entgegentreten. Die Wiener sind nicht die Corona-Sünder der Nation. Ich bin sehr stolz auf die Wiener Bevölkerung, die sich sehr diszipliniert an allen Maßnahmen orientiert hat. Und das, obwohl es für die Menschen sicher nicht hilfreich ist, dass es zwischen dem, was die Bundesregierung bei Pressekonferenzen verkündet und dem, was in ihren Verordnungen steht, immer wieder Differenzen gibt.

Wenn Sie einen Blick auf den Donaukanal werfen, der bei gutem Wetter in den vergangenen Tagen überfüllt war, sind Sie dann immer noch stolz auf die Wiener?

Wenn der Bund der Meinung ist, dass man den Freiraum nicht nutzen soll, dann soll er Maßnahmen setzen. Es obliegt dem Innenminister, mit der Polizei einzuschreiten, wenn er denkt, dass sich die Bevölkerung nicht an die Regeln hält. Das gilt dann aber für alle Österreicher, nicht nur für Wien. Ich habe Bilder aus Städten, aber auch kleineren Gemeinden in anderen Bundesländern gesehen – da war es mindestens so voll wie in Wien. Immer nur Wien herauszupicken, das ist eine bewusste Provokation.

Wie erklären Sie sich das?

Das ist türkises Wahlkampfgeplänkel. Ich bin der Meinung, der Innenminister hätte andere Aufgaben, als sich als Bezirksparteiobmann der ÖVP Hietzing jetzt schon in den Wien-Wahlkampf zu begeben. Ich habe zuletzt aber auch nichts mehr von ihm gehört. Seit es zu einer Häufung von Corona-Infektionen in Bundeseinrichtungen (etwa im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, Anm.) gekommen ist, verwendet er seine Energie vielleicht wieder auf seinen eigenen Bereich. Da hat er ja genug zu tun.

Dass die Infektionszahlen in Wien steigen, ist aber schon Realität.

Es ist klar, dass sich ein Virus im urbanen Raum anders verbreitet als in dünn besiedelten Regionen. Wir testen in Wien im Vergleich zu anderen Bundesländern aber auch sehr viel, das ist ein Mitgrund dafür, dass wir mehr Infizierte finden. Auch unsere Quarantänemaßnahmen funktionieren gut.

Der Innenminister hat Ihnen noch mehr Hilfe durch die Polizei angeboten.

Wir arbeiten sehr erfolgreich mit der Wiener Polizei zusammen. Das ist unser tägliches Geschäft. Da brauchen wir keine Zurufe des Innenministers. Und wir brauchen keine Kriminalpolizisten, die zu Menschen in die Wohnung kommen und sie befragen. Wir machen das lieber mit medizinisch geschultem Personal. Im Übrigen haben auch andere Länder derartige Angebote des Ministers abgelehnt. Wenn er behauptet, dass Wien da einen Sonderweg geht, dann irrt er.

Sie sind seit ziemlich genau zwei Jahren im Amt. Jetzt hat das Virus manche Ihrer Projekte zunichtegemacht – etwa das Nulldefizit.

Nein. Das Nulldefizit haben wir geschafft. Dass das jetzt nicht mehr zu halten ist, ist klar. Aber wir haben vor der Krise gut gewirtschaftet. Daher können wir es uns leisten, der Wirtschaft mit Investitionen unter die Arme zu greifen und Jobs zu sichern. Ich bin zuversichtlich, dass Wien besser durch die Krise kommt als andere Städte. Das gilt übrigens auch für die Gesundheitsversorgung. Es ist kein Zufall, dass wir im Wiener AKH die österreichweit erste Lungentransplantation bei einer Corona-Patientin aus Kärnten vornehmen konnten.

Die Arbeitslosenzahlen werden ein großes Thema für die Stadt. Wie können Sie einem Anstieg entgegenwirken?

Ich werde mich für die „Generation 50+“ einsetzen, für die wir bisher bereits eigene Maßnahmen gesetzt haben. Gerade nach der Krise geht es um die ganz Jungen. Es darf keine Corona-Generation geben, die durch die Situation auf dem Arbeitsmarkt frustriert und enttäuscht wird. Wenn junge Menschen keinen Job finden, hat das nicht nur finanzielle Auswirkungen auf sie, sondern auch Auswirkungen auf das soziale Gefüge der gesamten Stadt. Ich werde in Kürze Initiativen präsentieren, damit wir die Jungen bestmöglich in den Arbeitsmarkt bringen.

Die grüne Vizebürgermeisterin Birgit Hebein scheint mit dem Thema Verkehr in die Wahl zu gehen. Sie hat zu-letzt Fußgängerstraßen, Begegnungszonen und Pop-up-Radwege präsentiert. Sollen die temporären Projekte zu dauerhaften werden?

Ich weiß, dass der zuständigen Stadträtin Vizebürgermeisterin Hebein diese Projekte ein großes Anliegen sind. Ich bin für Begegnungszonen und für Radwege, wenn die Menschen im Bezirk und alle verantwortlichen Institutionen eingebunden sind. Dass das auch geschieht, dafür ist die Stadträtin zuständig.

Hebein wollte beim Parkpickerl noch vor der Wahl ein Gesamtkonzept liefern. Gibt es dieses schon?

Auch hier wird es wichtig sein, dass die Stadträtin Kontakt zu den Bezirken sucht. Ich weiß, dass sie noch vor der Wahl ein Ergebnis will. Mir persönlich ist eine breite Einigung wichtiger als das bloße Festhalten an einem Termin. Die Stadt muss in Summe gut funktionieren.

Müssen wir die Bedeutung des Autos in der Stadt nach Corona neu bewerten?

Das Auto ist unbestritten wichtig. Aber mit der schrittweisen Normalisierung muss es uns gelingen, die Attraktivität der Öffis als Hauptbestandteil des Wiener Verkehrs sicherzustellen. Das 365-Euro-Jahresticket, das im internationalen Vergleich sehr günstig ist, trägt dazu bei.

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hat bei der Mitgliederbefragung sehr gut abgeschnitten. Interne Kritiker zweifeln, dass alles mit rechten Dingen zuging.

Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln. Für derartige Kritik habe ich kein Verständnis.