Gefährliche Social-Media-Challenges: Beton auf Bahngleisen
Vermutet wird dahinter ein brandgefährlicher Social Media-Trend. Für die Polizei ist es jedenfalls eine "absolute Wahnsinnstat“ und streng nach dem Gesetz ein schwerwiegender Fall der vorsätzlichen Gemeingefährdung. Ein Delikt, bei dem eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren droht.
Sonntagabend hatten unbekannte Täter Betonteile beziehungsweise Steinbrocken auf die Schienen der Hochleistungs-Westbahnstrecke bei St. Pölten in Niederösterreich gelegt und damit eine mögliche Entgleisung eines Personenzuges der Westbahn in Kauf genommen.
Ein Lokführer hatte um 19.48 Uhr den brenzligen Zwischenfall gemeldet, worauf die Bahnstrecke aus Sicherheitsgründen sofort gesperrt wurde, bestätigt Polizeisprecher Raimund Schwaigerlehner gegenüber dem KURIER.
Der Personenzug hatte das Hindernis auf den Gleisen überrollt. Bei dem Vorfall wurden die Schienen beschädigt. Abgesehen davon, dass die Aktion für den- oder diejenigen, die die Sabotage verübt haben, selbst lebensgefährlich sei, riskieren die Täter das Leben der Zugpassagiere, warnt die Polizei.
Vorfall in Deutschland
Nur einen Tag zuvor war es in Deutschland auf der Zugfahrt des RE8 von Stuttgart nach Würzburg zu einem fast identen Zwischenfall gekommen. Unbekannte Täter hatten bei Heilbronn eine Betonplatte auf die Gleise gelegt. Nach einem heftigen Schlag beim Überrollen leitete der Zugführer eine Schnellbremsung ein. Alle Fahrgäste mussten evakuiert und der Triebwagen wegen Schäden am Rad getauscht werden.
Für die Polizei könnte ein gefährlicher Tiktok-Trend hinter den lebensgefährlichen Aktionen stehen. Dabei geht es um halsbrecherische Mutproben aller Art, um in Social Media-Kanälen möglichst aufzufallen und seine Follower zu "befriedigen“. Kürzlich wurde ein solches Phänomen im Bezirk Amstetten beobachtet. Dabei hatten sich Personen vor heran nahenden Zügen bewusst zwischen die Schienen gelegt.
ÖBB warnen vor Mutproben
ÖBB und Polizei warnen laufend vor derartigen Mutproben. In der Vergangenheit ist es immer wieder vorgekommen, dass besonders junge Menschen im Zuge solcher Challenges auf Züge klettern. Die Oberleitungen haben, auch wenn kein Zug fährt, eine Spannung von 15.000 Volt, das sind 65-mal mehr als in einer Steckdose. Man muss die Leitungen oder Teile, durch die der Strom fließt, nicht einmal berühren, um einen Stromschlag zu erleiden.
Gute und schlechte Seiten
Sind solche Challenges, die sich über Social Media verbreiten, also grundsätzlich abzulehnen?
Birgit Satke, Leiterin der Notrufnummer 147 von Rat auf Draht sieht das differenziert: "Zuerst muss man sagen, dass Social Media Challenges per se nichts Schlechtes sind. Viele Challenges sind relativ harmlos und dienen dem reinen Spaßfaktor. Ein positives Beispiel ist etwa die Bottle-Flip-Challenge."
Manche Challenges hätten auch durchaus einen Nutzen, etwa wenn es um sportliche Betätigung oder soziales Engagement geht. Gefährlich werde es immer dann, wenn es darum gehe, sich selbst oder andere Menschen psychisch oder physisch zu verletzen, besonders viel von gewissen Nahrungsmitteln zu konsumieren oder riskantes Verhalten nachzuahmen. "Hinzu kommt, dass diese Challenges auf Plattformen erfolgen, wo sie in kurzer Zeit einer riesigen Menge an Menschen zugänglich gemacht werden, was vor allem für jüngere Kinder ein Risiko birgt." Gerade sie seien besonders gefährdet, da sie noch nicht zwischen Realität und Fiktion unterscheiden könnten.
Challenges über Challenges
Die Ice Bucket Challenge, die vor zehn Jahren als eine der ersten viralen Challenges Kreise im Netz zog, begann zum Beispiel noch ganz harmlos. Die Aktion sollte auf die unheilbare Nervenkrankheit ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) aufmerksam machen, an der der Initiator der Challenge selbst erkrankt war. 200 Millionen US-Dollar kamen 2014 weltweit zusammen - Geld, das in die Erforschung der Nervenkrankheit investiert werden konnte.
Doch schon damals trübten einige Schlagzeilen das sonst so positive Bild der Virus-Challenge. Etwa als ein Mann in Nordrhein-Westfalen seine Kegelfreunde mit 1.800 Litern Eiswasser übergießen wollte - direkt aus der Schaufel eines Teleskopladers. Der Lader kippte um und erschlug einen jungen Familienvater.
Seitdem haben unzählige dieser so genannten Challenges stattgefunden und sich über die sozialen Medien verbreitet - mal mit mehr, mal mit weniger Risiken und Nebenwirkungen. Die Tide-Pod-Challenge forderte zum Zerbeißen bunter Waschmittelkapseln auf, die Zimt-Challenge zum löffelweisen Schlucken des braunen Pulvers - was im besten Fall zu Übelkeit und Erbrechen, im schlimmsten Fall zu Lungenentzündung und Koma führen kann.
Bei der Deo-Challenge sollte der Strahl der Spraydose so lange wie möglich auf die Haut gerichtet werden. Mögliche Folgen: Schwere Verbrennungen und Absterben der betroffenen Hautpartien. Beim Einatmen des Sprays drohen Atemnot, epileptische Anfälle, Kreislaufversagen oder sogar bleibende Hirnschäden und Tod. Der Black-Out-Challenge, bei der durch Würgen oder Luftanhalten eine Ohnmacht herbeigeführt werden soll, werden sogar mehrere Todesfälle von Kindern und Jugendlichen zugeschrieben.
Blind und ohnmächtig
Bei der Bird-Box-Challenge musste 2018 sogar die Streamingplattform-Netflix einschreiten, als junge Nutzerinnen und Nutzer auf der Plattform Tiktok Videos von sich hochluden, in denen sie versuchten, sich mit verbundenen Augen im Alltag zurechtzufinden - wie im gleichnamigen Endzeitfilm "Bird Box", der auf Netflix angelaufen war. Wenig überraschend, dass das schnell in Richtung Hochrisikoverhalten eskalierte, wie bei einer US-amerikanischen 17-Jährigen, die sich "blind" hinter das Lenkrad setzte und in den entgegenkommenden Verkehr krachte.
"Wir können nicht glauben, dass wir das sagen müssen, aber: BITTE VERLETZT EUCH NICHT MIT DIESER BIRD BOX CHALLENGE", versuchte Netflix damals auf Twitter an die Vernunft des Publikums zu appellieren.
Dass es Mutproben immer schon gegeben habe, die sich nur ins Netz verlagert hätten, möchte Satke so nicht stehen lassen: "Das ist eine sehr pauschale Aussage. Durch das Internet und Social Media ergeben sich völlig neue Dynamiken und es können durch die rasante Verbreitung von Inhalten viel mehr Menschen erreicht werden, die dieses Verhalten kopieren."
Wie können besorgte Eltern nun ihre Kinder vor diesen Gefahren schützen? Übertriebene Sorge oder gar Panik hält die Expertin für kontraproduktiv. "Vielmehr sollten Eltern Interesse an den Social Media Aktivitäten ihrer Kinder zeigen und sich regelmäßig mit ihnen darüber austauschen, ohne aber ständig zu kontrollieren. Bei kleineren Kindern empfiehlt es sich generell, einen Überblick zu haben, welche Inhalte sie auf Social Media und im Internet konsumieren."
Man könne sich auch zusammen Challenges ansehen und im gemeinsamen Gespräch klären, welchen Zweck sie verfolgen und worum genau es dabei geht. Kinder sollten auch ermutigt werden, diese Challenges selbst kritisch zu hinterfragen. Außerdem rät Satke Eltern, am Ball zu bleiben und sich proaktiv über Social-Media-Trends zu informieren.