Die stete Angst vor der Stausee-Katastrophe im Kaunertal
Von Christian Willim
Der Stausee des Kraftwerks Kaunertal ist kilometerweit von Anita Hofmanns Haus entfernt. „Aber wenn bei uns die Sirenen gehen und der Speicher ganz voll ist, dann hat man ein ganz ungutes Gefühl“, erzählte die Obfrau der Bürgerinitiative „Lebenswertes Kaunertal“ am Donnerstag bei einer Pressekonferenz mit dem WWF in Innsbruck.
Es ist eine stete Angst, die Hofmann beschäftigt: Dass sich am Gepatsch-Stausee eine Naturkatastrophe ereignen könnte, die die Menschen im Tal unterhalb des Speichers ins Verderben reißen würde. Die Sorge gründet darin, dass die Bergflanken um das riesige Wasserreservoir als instabil bekannt sind.
Das Horrorszenario ist ein Bergsturz, wie er sich 1963 am Vajont-Stausee in Norditalien ereignete. Die folgende Flutwelle löschte die darunter liegende Stadt Longarone aus.
Riesige Felsmassen
Die Parallele zum Kraftwerk Kaunertal: „An den Hängen des Stausees sind 290 Millionen Kubikmeter Gestein instabil. Das ist doppelt so viel, wie in den Speicher passt“, sagte WWF-Gewässerschutzexpertin Bettina Urbanek.
Die Sicherheit der betroffenen Bergflanken sei von Anfang an Thema gewesen, weshalb sie auch von der Tiwag seit den 1960er-Jahren ständig überwacht werden.
Nun würden aber zwei geologische Gutachten, in die der WWF im Zuge eines anderen Behördenverfahrens Einblick erhalten hat, zeigen, „dass der Staubetrieb die Hauptursache für die Hangbewegungen ist“ und man „ein Sicherheitsrisiko nicht ausschließen kann.“
Die Gutachten, auf die sich der WWF stützt, stammen aus einem Genehmigungsverfahren für Lawinensprengmasten. Es handelt sich um ein Projekt der Kaunertaler Gletscherbahnen, die über eine am Stausee vorbeiführende Straße erreichbar sind.
Der WWF hat ein Geotechnik-Büro um eine auf den Gutachten basierenden Risikoeinschätzung gebeten. Darin heißt es auch, dass die Talflanken durch die Verschiebung der Permafrostgrenzen – eine Auswirkung des Klimawandels, die in den ganzen Alpen die Berge bröseln lässt – noch instabiler werden.
Zusatzbelastung
Das nehmen der WWF und Hofmann einmal mehr zum Anlass, einen Stopp der Ausbaupläne für das Kraftwerk Kaunertal zu fordern. Für das Vorhaben soll das benachbarte Platzertal geflutet und zwischen diesem und dem Gepatschspeicher ein Pumpspeicherbetrieb errichtet werden.
„Dadurch werden die Wasserstandsschwankungen noch stärker und schneller“, so Urbanek. Sie appelliert an die Landesregierung, eine unabhängige Expertenkommission einzurichten, die sich mit der Gefahr auseinandersetzt.
Die gäbe es bereits, hielt Wolfgang Stropper – bei der Tiwag für das Ausbauprojekt zuständig und bei der Pressekonferenz anwesend – auf Nachfrage entgegen. Es gäbe in Österreich eine Staubeckenkommission. „Die prüfen das regelmäßig.“
Die Kommission habe auch das Ausbauprojekt in Hinblick auf die Hangsicherheit „bewertet und positiv beurteilt“, wenn auch unter Auflagen. Dieses Gutachten stammt allerdings aus den Jahren 2014/15, ist also nicht mehr ganz frisch. Das UVP-Verfahren für das Projekt läuft seit 2012. Ende Februar will die Tiwag in die nächste Runde des Verfahrens gehen.