Wirtschaftsrückblick 2016: Die Aufreger des Jahres
2016 wird wohl als jenes Jahr in die Annalen eingehen, in dem die Globalisierung ihren Höhepunkt überschritten hat. "Die Ära der Hyperglobalisierung ist vorbei", stellt US-Ökonom Barry Eichengreen fest.
Zwar sind die Unternehmen weiterhin global tätig. Aber eine Phase von rund 25 Jahren, in der ein Boom des weltumspannenden Handels das Wachstum ankurbelte, geht zu Ende. Der Schub, den die Container-Schifffahrt und globale Wertschöpfungsketten in der Industrie auslösten, sei vorbei, erklärt der Professor der US-Universität Berkeley. Chinas Wachstumswunder bremst sich ein, weil die Steigerungsraten auf Dauer nicht zu halten sind. Und die ausufernden Finanzströme sind nach der Krise – zumindest ansatzweise – strengeren Regeln unterworfen.
Ausgerechnet Angelsachsen
Dass gerade 2016 für den internationalen Handel zum Wendejahr wird, hat aber nicht nur wirtschaftliche, sondern primär politische Gründe. Just jene Länder, die freien Handel ohne Hürden traditionell am stärksten befürworteten, wenden sich nun ab. In Großbritannien stimmt die Bevölkerung dafür, der Europäischen Union den Rücken zu kehren (Brexit). Und in den USA geht Donald Trump nicht zuletzt dank seiner Globalisierungskritik als Sieger aus der Präsidentenwahl hervor.
Chlorhuhn und Genmais
In Europa – und da vor allem im deutschsprachigen Raum – konzentriert sich die Kritik auf die Handelsabkommen, die die EU verhandelt. Eine breite Allianz der Zivilgesellschaft formiert sich, die von linken NGO über die Gewerkschaften bis hin zu Boulevardmedien und rechtsnationalen Gruppen reicht. Zuerst lässt der geplante Pakt TTIP mit den USA die Wogen hochgehen. Nicht alles an der Empörung über Chlorhühner, Genmais, Hormonrinder und Schiedsgerichte ist sachlich gerechtfertigt. Sie bringt aber fast noch das unscheinbare EU-Kanada-Abkommen CETA zum Kippen. Kanzler Christian Kern lässt die SPÖ-Mitglieder darüber abstimmen, dann blockiert das Regionalparlament in Wallonien (Belgien) wochenlang die europäischen Beschlüsse.
Weiteren Blockaden sind 2017 Tür und Tor geöffnet: Kurz vor Weihnachten plädiert die Generalanwältin am EU-Gerichtshof in Luxemburg dafür, die Mitsprache der nationalen Parlamente bei Handelsdeals auszuweiten.
Was sonst noch das Wirtschaftsjahr 2016 bewegte:
DIGITALISIERUNG: Startschuss für Pilotfabriken
Die heimische Industrie rüstet mithilfe des Staates und der Wissenschaft für die Digitalisierung und Vernetzung der Produktion (Industrie 4.0) auf. In einer ersten Pilotfabrik in Wien etwa können Unternehmen ohne Beeinträchtigung der tatsächlichen Produktion die Vernetzung „üben“ und neue Produktionsverfahren ausprobieren. 2017 sollen zwei weitere Pilotfabriken folgen. Parallel dazu werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt, aber auch auf die Finanzierung der Sozialsysteme untersucht.
TOURISMUS: Terror lenkt die Ströme um
Terrormeldungen lenken 2016 die internationalen Tourismusströme um. In türkischen Urlaubsregionen brechen die Buchungszahlen um bis zu zwei Drittel ein. Dafür boomen spanische Destinationen. Auch in Österreich ist der Sommer gut gelaufen. Von Mai bis Oktober kam eine Rekordzahl von Gästen. Die Nächtigungsbilanz weist mit 72,92 Millionen die höchste Zahl seit 1993 aus (plus 5,1 Prozent zur Vorjahresperiode). Österreich war heuer bei In- und Ausländern um jeweils rund fünf Prozent stärker nachgefragt als in der Vorjahresperiode.
ÜBERNAHMEN: Firmen im Kaufrausch
Auf den Finanzmärkten ist infolge der niedrigen Zinsen viel Geld im Umlauf, das irgendwo angelegt werden will. So entscheiden viele Konzerne, sich mit Übernahmen breiter aufzustellen. Dabei fließen riesige Summen. Größter Deal ist der Kauf des US-Medienkonzerns Time Warner durch den Telekombetreiber AT&T. Kaufpreis (inklusive Übernahme von Schulden): 106 Mrd. Dollar (101 Mrd. Euro). Dahinter folgt der deutsche Chemiekonzern Bayer, der den US-Biotechkonzern Monsanto für 63 Mrd. Euro schluckt. An dritter Stelle findet sich der Tabakriese British American Tobacco (BAT), der sich für 45 Mrd. Euro den Camel-Hersteller Reynolds American einverleibt.
Größter Deal mit Österreich-Bezug ist die Fusion des Feuerfestkonzerns RHI mit der brasilianischen Magnesita. Für knapp die Hälfte der Anteile zahlt RHI 450 Mio. Euro.
BARGELD-DEBATTE: Nur Bares ist Wahres
Bares ist Wahres.Kaum jemand hat ihn je in Händen gehabt, trotzdem sorgt er für Ärger: der 500-Euro-Schein. Die EZB beschließt im Mai, die Ausgabe der Banknote „gegen Ende 2018“ zu beenden, um Terrorfinanzierung und Schwarzarbeit zu erschweren. EZB-Boss Draghi betont, das sei nicht der Anfang vom Bargeldende, wie viele befürchten.
Für Diskussionen sorgen Bankomatgebühren: Bei Euronet-Geräten fallen 1,95 Euro pro Transaktion an. Die Bawag hebt bei Billigkonten 39 Cent ab der zweiten Abhebung ein. Auch andere verrechnen eine Gebühr, oft versteckt in Pauschalen.
CHEFWECHSEL: Neue Köpfe in der Chefetage
Im Juni wird Andreas Matthä (Bild) neuer ÖBB-Chef, er folgt Überraschungskanzler Christian Kern nach. Bank-Austria-Boss Willibald Cernko tritt überraschend ab, neuer BA-Chef wird Robert Zadrazil. Die Chefetage der Wiener Börse wird komplett ausgetauscht: Neuer Börse-Boss wird Christoph Boschan, Vorstände werden Ludwig Nießen und Petr Koblic.
Die Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS bekommen neue Chefs: Der langjährige WU-Rektor Christoph Badelt leitet das WIFO, Martin Kocher das IHS.
ARBEITSMARKT: Nur im Westen scheint die Sonne
Die Rekordarbeitslosigkeit wird in Österreich zum Dauerzustand. Im EU-Vergleich rutschte das Land heuer auf Rang 9 zurück. Im November gab es zwar erstmals seit fünf Jahren wieder sinkende Zahlen, die Aussichten für Ost-Österreich bleiben jedoch trist. Wien trägt die Hauptlast der Flüchtlings-Integration und der Zuwanderung, was den Arbeitsmarkt überlastet. Besser läuft’s in Westösterreich, wo sich der Tourismus als Job-Motor erweist.
LANDWIRTSCHAFT: Preisdruck bei Agrarprodukten
Die Rekordarbeitslosigkeit wird in Österreich zum Dauerzustand. Im EU-Vergleich rutschte das Land heuer auf Rang 9 zurück. Im November gab es zwar erstmals seit fünf Jahren wieder sinkende Zahlen, die Aussichten für Ost-Österreich bleiben jedoch trist. Wien trägt die Hauptlast der Flüchtlings-Integration und der Zuwanderung, was den Arbeitsmarkt überlastet. Besser läuft’s in Westösterreich, wo sich der Tourismus als Job-Motor erweist.
ROHSTOFFE: OPEC zieht die Notbremse
Ein Jahr lang überschwemmt die OPEC den Weltmarkt mit Öl und drückt die Preise in den Keller. So soll die Konkurrenz der US-Schieferölproduzenten aus dem Markt gedrängt werden. Das billige Öl hätte die OPEC aber selbst fast zerstört. Ende November rudert die OPEC zurück: Bei ihrem Treffen in Wien beschließt sie, die Ölförderung ab Jänner um 1,2 Millionen Fass pro Tag zu senken. Der Ölpreis steigt in der Folge auf deutlich über 50 Dollar je Fass.
STEUEROASEN: Die Trickser von Panama
Der Coup ist von langer Hand geplant. Am 3. April 2016, ein Jahr nach der Übergabe, veröffentlicht das Internationale Konsortium Investigativer Journalisten ICIJ rund 11,5 Millionen Dokumente von 214.000 Briefkastenfirmen mit Sitz in Panama. Es handelt sich dabei um Kunden der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca. Nur zwölf österreichische Firmen finden sich darunter. Das Steuerparadies wird damit de facto trockengelegt.
ZINSEN: Historische Tiefen
Mitte März ist es soweit: Die Europäische Zentralbank (EZB) senkt den Leitzins auf das Rekordtief von 0,0 Prozent. Geld für die Banken im Euroraum gibt es damit erstmals gratis. Mitte Juni folgt das nächste Novum: Die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen rutscht in den Minusbereich ab. Deutschland verdient sogar etwas, wenn sich das Land Geld ausborgt. Das gelingt bei einigen Anleihe-Laufzeiten auch Österreich.
Kommentare