US-Säbelrasseln: Könnte der Brexit TTIP noch kippen?

In den USA ist der Pazifikdeal TPP umstrittener als TTIP
Wie der EU-Austritt die Verhandlungen beeinflusst. Und warum Großbritannien zur Pafizikinsel werden könnte.

Der US-Handelsbeauftragte Michael Froman ist ein gewitzter Verhandler. Die TTIP-Gespräche mit der EU müssten neu kalibriert werden, um das Ausscheiden der Briten zu kompensieren, verlangte er am Donnerstag bei einem Mediengespräch in den USA. Schließlich sei das Vereinigte Königreich (UK) "ein bedeutender Teil dessen, was TTIP für die USA attraktiv macht", so Obamas Handelsminister.

US-Säbelrasseln: Könnte der Brexit TTIP noch kippen?
U.S. Trade Representative Michael Froman speaks during a news conference at the Joint Commission on Commerce and Trade event in Chicago, in this file photo taken December 18, 2014. China has agreed to scrap controversial export subsidies on a range of products from steel and aluminum to agriculture and textiles, Froman said on Thursday. REUTERS/Andrew Nelles/Files
Sein Argument: Ein Viertel der US-Exporte in die EU geht in Richtung Großbritannien. Damit fällt aus US-Sicht ein großer Absatzmarkt raus. Brüssel und Washington müssten also neu überdenken, "welche Anpassungen bei den Angeboten und Erwartungen gebraucht werden, um noch zu einem Abschluss der Verhandlungen gelangen zu können."

Eine Trumpfkarte

Die Formulierung zeigt, wohin die Richtung geht. Könnte der Brexit TTIP generell zum Kippen bringen, weil die USA das Interesse verlieren? Unwahrscheinlich. Die Amerikaner benützen das Thema aber ganz offensiv, um für sich Vorteile herauszuschlagen. Oder zumindest, um unangenehme Teile abzuwenden.

Laut der Agentur Reuters nannte Froman in dem Gespräch das Beispiel öffentliche Ausschreibungen. Ein für die USA heikles Kapitel, denn große US-Städte und etliche Bundesstaaten wollen europäische Firmen nicht um die Burg an ihren Aufträgen beteiligen. Froman dreht das Argument um: Die Europäer wollen einen vollen Zugang zu unseren Aufträgen der öffentlichen Hand? Den kriegen wir doch selbst nicht mehr: Mit Großbritannien fällt für uns auch ein Viertel des Marktes weg.

Damit ist klar, wie das Thema Brexit bei TTIP zu bewerten ist: Als "bargaining chip" in den Händen der USA, eine Trumpfkarte, die man bei Bedarf ausspielen wird. Die Verhandler selbst betonen, es habe sich nichts Wesentliches geändert. Das Engagement und die Entschlossenheit beider Seiten sei gleich geblieben, sagte EU-Chefverhandler Ignacio Garcia-Bercero nach dem Abschluss der 14. Verhandlungsrunde am Freitag in Brüssel. Sein Gegenüber Dan Mullaney widersprach nicht: "Die wirtschaftliche Logik (von TTIP) bleibt gleich", sagte er.

Wendiger Kurs

Flexibilität beweist Froman freilich auch, was den Umgang mit den Briten betrifft. Ja, stimmt schon; solange diese offiziell EU-Mitglied seien, könne man mit dem Vereinigten Königreich keine formellen Verhandlungen über einen eigenen Handelsdeal führen, sagt der US-Regierungspolitiker. Diese Kompetenz hätten EU-Staaten schließlich an die EU-Kommission abgetreten.

Aber, frei nach dem Motto: Reden wird man wohl dürfen, fügte er schlitzohrig hinzu: "Wo Diskussionen enden und Verhandlungen beginnen, ist ein ziemlicher Graubereich." Er habe zwar noch nicht mit Liam Fox, dem neuen britischen Handelsminister der Regierung May, gesprochen. Aber mit dessen Vorgängern Sajid Javid und Mark Price habe er sich kürzlich unterhalten, wie künftige Handelsbeziehungen zwischen UK und USA aussehen könnten.

Britische Pazifikinsel

Das klingt ganz anders als noch vor knapp drei Monaten. Da hatte US-Präsident Barack Obama die Briten bei einem Besuch in London gewarnt, sie müssten sich in der Warteschlange für ein Handelsabkommen mit den USA ganz hinten anstellen und das Finale für TTIP abwarten. Das war allerdings vor dem Brexit-Votum und sollte schwankende Briten wohl noch zu einem "Remain". zum Verbleib in der EU, umstimmen.

Jetzt stellt Froman den Briten gleich drei Optionen in Aussicht: Entweder es gibt einen bilateralen Deal. Oder die Briten beteiligen sich an TTIP, sobald es ausverhandelt ist. Oder, die wohl originellste Lösung: Sie werden quasi zu einem Pazifikanrainer. Schließlich liegt bereits ein fertig ausverhandelter Handelspakt namens TPP (Trans-Pacific Partnership) auf dem Tisch.

US-Säbelrasseln: Könnte der Brexit TTIP noch kippen?
(L-R) Vietnamese Minister of Industry and Trade Vu Huy Hoang, Singaporean Minister of Trade and Industry Lim Hng Kiang, Peruvian Minister of Foreign Trade and Tourism Magali Silva, New Zealand Trade Minister Tim Groser, Mexican Economy Secretary Ildefonso Guajardo, Malaysian Minister of International Trade and Industry Mustapa Mohamed, U.S. Trade Rep. Michael Froman, Japanese Economy Minister Akira Amari, Chilean Head of Trade Relations Andres Rebolledo, Canadian Trade Minister Ed Fast, Brunei's Second Minister of Foreign Affairs and Trade Lim Jock Seng and Australian Trade Minister Andrew Robb wear flower leis as they line up for a family photo at the Westin Resort in Lahaina, Maui, Hawaii, during the Trans-Pacific Partnership (TPP) talks, July 30, 2015. REUTERS/Marco Garcia
Daran sind zwölf Pazifik-Staaten beteiligt, von USA und Kanada bis Neuseeland, von Australien bis Japan, von Peru bis Malaysia und Vietnam. Und TPP ist ausdrücklich als offenes Abkommen konzipiert, weitere Staaten können also beitreten. Womit die britische Insel gewissermaßen vom Atlantik in den Pazifik übersiedeln würde...

TTIP verliert Fürsprecher

In einer Hinsicht wird der bevorstehende Brexit die TTIP-Gespräche definitiv verändern: Die EU verliert mit den Briten einen flammenden Befürworter offener Handelsbeziehungen. So sind 62 Prozent der britischen Bevölkerung für den Abschluss des Handelsabkommens mit den USA - in Österreich sind es laut derselben Umfrage nur 22 Prozent der Bürger, die sich positiv zu TTIP äußern.

Sollte TTIP sich endlos verzögern, nicht oder in stark abgeschwächter Form kommen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Briten ein eigenes, ambitionierteres Abkommen mit den USA anstreben. Ohne Rücksichtnahme auf die Wünsche von 27 weiteren EU-Ländern könnte das vergleichsweise rasch klappen. Voraussetzung wäre allerdings, dass die Briten davor ihre künftigen Beziehungen zur EU geklärt haben. Sobald sie den EU-Austrittswunsch offiziell angemeldet haben, müsste das aber ohnehin innerhalb von zwei Jahren passieren.

Ob in dieser Frist TTIP zu einem Abschluss findet, ist angesichts der skeptischen Stimmung und der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahl fraglich. Somit könnten die Briten statt am Ende der Warteschlange für einen Handelsdeal schlussendlich weit vorne stehen...

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