"Unruhe bewirkt auch Aufbruch"

Die Liebe war`s: Sohmen heiratete Hongkonger Reeder-Tochter
Der gebürtige Linzer erzählt, wie er zu einem der größten Reeder der Welt wurde.

Der in Hongkong lebende Linzer Helmut Sohmen (77) gilt mit einem Vermögen von 2,4 Milliarden Dollar als der viertreichste Österreicher. Er rangiert auf Platz 31 im Reichsten-Ranking in Hongkong und belegt Nummer 771 auf der globalen Forbes-Milliardärsliste. 28 Jahre lang war Sohmen als Vorstand und Haupteigentümer der Reederei World Wide Shipping, die inzwischen Bergesen Worldwide Group heißt, einer der mächtigsten Reeder der Welt. Vor zwei Jahren übergab der ehemalige Jurist das Steuer an seinen Sohn Andreas, der in Oxford und Harvard studiert hat. Andreas Sohmen, 45, führt den Konzern, zu dem seit 2003 auch Norwegens größte Reederei Bergesen gehört, nun von Singapur aus.

Die Reederei wurde 1955 vom Hongkonger Schiffs-Tycoon Sir Yue-Kong Pao gegründet, dessen Tochter Anna Helmut Sohmen heiratete. Derzeit betreibt die BW Group 168 Schiffe, darunter Rohöl-Supertanker und Spezialschiffe für chemische Produkte, und sie besitzt die größte Gas-Transport-Flotte der Welt. Der KURIER traf Helmut Sohmen exklusiv zum Frühstück an einem geheimen Ort auf Hongkong-Island.

KURIER: Herr Dr. Sohmen, könnten wir dieses Gespräch auch auf Chinesisch führen?

Helmut Sohmen: Leider nein. Ich spreche immer noch nicht chinesisch. Aber ich habe darauf geachtet, dass meine drei Kinder perfekt Kantonesisch und Mandarin können. Zu Hause reden wir Englisch miteinander.

Hätten Sie sich als Schüler in der Linzer Fadingerschule vorstellen können, dass Sie einmal den Großteil Ihres Lebens in Hongkong verbringen würden?

Ich habe nicht im Traum daran gedacht. Aber bei Liebesgeschichten ist es ja meistens so, dass man nicht weiß, worauf man sich da einlässt.

Ihr Leben änderte sich grundlegend, als Sie beim Studium in den USA in Chicago eine junge Studentin namens Anna Pui Hing Pao trafen, die Tochter des Hongkonger Reeder-Tycoons Sir Yue-Kong Pao. Wie haben Sie sie erobert?

Ich lernte sie bei einem Abendessen kennen. Wir saßen zufällig nebeneinander. Ich beeindruckte sie wahrscheinlich mit Hartnäckigkeit. Sie war schwer zu erobern, aber ich habe einfach nicht aufgegeben und das imponierte ihr wahrscheinlich. Erst danach habe ich herausgefunden, dass ihr Vater ein Reeder in Hongkong ist. Ich fragte ihn, ob es erlaubt wäre, seine Tochter zu heiraten. Er hat mich da aber erst einmal nur ignoriert. Das war ihm nicht besonders angenehm, dass seine Tochter aus einer guten chinesischen Familie im Ausland einen Fremdling aufgegabelt hatte. Wir haben dann trotzdem geheiratet und ich habe dann einige Jahre als Jurist bei der Royal Bank of Canada in Montreal gearbeitet, ehe ich mit 31 bei der Firma des Schwiegervaters eingestiegen bin.

Wie ist Ihr Schwiegervater, der 1949 als Schanghaier Banker vor den Kommunisten nach Hongkong floh, eigentlich zu seinem Vermögen gekommen?

Die Japaner waren nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Wiederaufbau beschäftigt und benötigten Schiffstonnagen für ihre Ausfuhren. Mein Schwiegervater erhielt japanische Exportkredite, also das Kapital für seine Schiffe. Sein erstes Schiff war ein alter Kohledampfer aus dem Jahr 1927. Den hat er an eine japanische Firma verchartert. Man hat ihn gewarnt, er würde bei dem Geschäft Kopf und Kragen verlieren, denn die Japaner würden nicht zahlen. Aber sie sind ihren Verpflichtungen nachgekommen. Und er konnte in ein zweites, drittes, viertes Schiff investieren und leistete sich 1962 seinen ersten neu gebauten Tanker.

Als Ihr Schwiegervater 1986 in den Ruhestand trat, war das eine Selbstverständlichkeit, dass Sie, der Schwiegersohn mit österreichischem Pass, sein Nachfolger werden?

Nein, das war nicht so klar. Er hatte vier Töchter und vier Schwiegersöhne; einen Japaner, zwei Chinesen und mich. Aber ich hatte ja schon jahrelang in der Reederei gearbeitet und deshalb kam ich zum Zug. Ein Schwager von mir, ein Bankier, war dann für die Akquisition und Leitung anderer Firmen zuständig. Sein Sohn führt jetzt diesen Firmenzweig. In den letzten zwei Jahren haben wir einen Generationenwechsel durchgeführt. Meine Geschäfte führt jetzt ebenfalls mein Sohn.

Wie groß ist Ihr Firmenimperium eigentlich?

Bergesen Worldwide betreibt derzeit 168 Schiffe, zehn davon sind gechartert, die anderen gehören der Firma. Wir haben Hunderte Firmen. Jedes Schiff gehört zum Beispiel einer eigenen Gesellschaft. Wir haben auch zwei börsennotierte Firmen: die BW Offshore, die sich mit der Erschließung von Öl- und Gasfeldern beschäftigt, und eine Gastanker-Reederei, die in Oslo an der Börse notiert. Wir sind jetzt sehr stark im Gas- und Chemikalientransport. Die Gruppe macht über eine Milliarde Dollar Umsatz pro Jahr. Wir beschäftigen weltweit mehr als 5000 Mitarbeiter, in Hongkong aber nur mehr 23.

Man sagt, das Reedereigeschäft sei riskant und funktioniere wie eine Hochschaubahn: mal steil rauf, mal steil runter. Wie erlebten Sie das?

Genau so. In den 60er- und 70er-Jahren verzeichnete die Firma einen enormen Aufstieg und 1979 war mein Schwiegervater der größte Privatreeder der Welt. Wir hatten damals mehr als 200 Schiffe. Die 80er-Jahre hingegen erwiesen sich als eine sehr schlechte Periode für die Schifffahrt. Ich musste damals sehr viel Kapazität verkaufen und wir hatten nur noch 65 statt 200 Schiffe.

Das hat Sie bei Ihrem Schwiegervater wohl nicht allzu beliebt gemacht ...

Für ihn war das sehr schwierig zu akzeptieren, dass man verkauft und die Firma verkleinert, denn er war eine Gründerfigur und glaubte an unablässiges Wachstum. Aber ich konnte ihn überzeugen, dass es ein guter Zeitpunkt war, Kassa zu machen und die Bankkredite zurückzuzahlen. Wir sind damit sehr gut gefahren, aber mein Schwiegervater hat nur widerwillig zugestimmt. Gefallen hat ihm die Strategie nicht. Solange mein Schwiegervater lebte, war aber er der wirkliche Chef und wir sind alle strammgestanden. Er starb 1991 im Alter von 72 Jahren und glaubte bis zuletzt, es sei zu früh.

Aber danach ging es wieder richtig bergauf?

Ja. In den frühen 90ern konnten wir wieder neue Schiffe bauen lassen und sogar zwei skandinavische Reedereien kaufen. Besonders zwischen 2002 und 2008 haben wir damit extrem gut verdient. Jetzt sind wieder schwierige Zeiten für das Frachtschifffahrtsgeschäft gekommen. Mein Sohn, der nun das Geschäft führt, hat jetzt dieselben Kopfschmerzen wie ich in den 80ern.

Geben Sie uns einen kleinen Einblick: Wie funktioniert das Geschäft mit den Riesenschiffen auf den Meeren eigentlich?

Es wird gekauft, verkauft, verschrottet, alles sehr schnell. Da werden oft in zehn Minuten Entscheidungen getroffen, obwohl die Beträge, um die es geht, enorm sind. So ein großer Öltanker kostete noch vor wenigen Jahren rund 150 Millionen Dollar. Heute kriegen Sie ihn für 78 Millionen. Die großen Gasschiffe kosten 200 Millionen Dollar das Stück und eine einzige Ölförderplattform kann schon eine Milliarde Dollar verschlingen. Das Chartergeschäft läuft über Makler in London, New York oder Singapur. Der Makler ruft an und sagt, er hätte da ein Schiff vom Typ X zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Region. Man muss dann ganz schnell entscheiden, will man das Schiff für 10.000 Dollar am Tag haben oder nicht. Deshalb wären in diesem Business zwei Chefs ganz schlecht. Jetzt entscheidet allein mein Sohn und ich bin im Ruhestand, auch wenn ich noch jeden Tag in mein Büro gehe.

Und wenn Sie auf die Welt blicken, wie sehen Sie die Lage?

Der Brexit wird für die EU zu einem sehr ernsten Problem werden und kann zu einem Zusammenbruch der gegenwärtigen EU-Strukturen führen. Ich sehe zurzeit wenig positive Entwicklung in der Welt. Andererseits: Krisenzeiten setzen auch produktive Kräfte frei. Unruhe bewirkt auch Aufbruch. Die Chinesen hier in Hongkong haben einen optimistischen Spruch: "May you live in interesting times!"

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