Auf Ablenkbarkeit programmiert

Auf Ablenkbarkeit programmiert
Hirnforscher Bernd Hufnagl über innere Ablenkung und äußere Abgrenzung

In der Steinzeit war es das Rascheln der Säbelzahntiger. Heute sind es eMails, die uns aus der Konzentration bringen, sagt Hirnforscher und Managementtrainer Bernd Hufnagl beim KURIER Karrieren-Brunch. Rund 80 Personalisten waren in den Kursalon Hübner gekommen, um dem launigen Vortrag über das verbreitete „nicht-hirngerechte Arbeiten“ zu folgen.
„Wir leben nicht in einer Leistungsgesellschaft, sondern in einer Erfolgsgesellschaft“, sagte der Experte. Das Problem: Leistung werde zu wenig honoriert. Andererseits würde permanenter Erfolg dieselbe Wirkung im Gehirn haben wie permanenter Nichterfolg: Das Belohnungszentrum bleibt inaktiv, die motivierende Dopaminausschüttung bleibt aus. Wird es im Job anstrengend, entsteht Frust.

Aufmerksamkeit, bitte

Frust entstand während des Vortrags nicht: „Kennen Sie das: Sie lesen zehn Minuten lang in einem Buch und haben keine Ahnung, was drin steht? Bitte aufzeigen.“ Viele Hände ragen in die Höhe. „Willkommen im Klub der Aufmerksamkeitsgestörten!“, ruft Hufnagl. Gelächter im Publikum. Konzentrationsstörungen und das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom würden im Berufsleben zunehmen, die Gedächtnisleistung nehme ab. Betroffenheit im Publikum.

Das oft beklagte Mehr an Informationen sei in vielen Fällen nur gefühlt. „Wir sind programmiert auf maximale Ablenkbarkeit“, sagte der Hirnforscher. Die eintrudelnden eMails, die permanente Erreichbarkeit führe dazu, dass man andere darüber entscheiden lasse, wann man kommuniziere. Hufnagl gab hier Einblick in die Forschung: 1,85 Sekunden dauert es, bis man die Pop-up-Benachrichtigung der einlangenden eMail anklickt. Elf Minuten arbeitet man im Schnitt konzentriert an einer Aufgabe, bis man abgelenkt wird. 20 Minuten dauert es, bis man die unterbrochene Aufgabe wieder aufnimmt. 56 Prozent aller Arbeiten, die an einem Tag begonnen werden, werden nicht beendet.

Innere Ablenkung

Nicht immer sind eMails und laute Kollegen an der Ablenkung schuld: In 50 Prozent der Fälle lenke man sich selbst ab – „da wir uns daran gewöhnt haben, nach spätestens elf Minuten von außen abgelenkt zu werden“, sagt Hufnagl.

Es sei jedoch nicht die Menge an Arbeit, die Menschen nicht ertragen – sondern „das gefühlte Nichthandelnkönnen“, sagt der Experte. Sein wichtigster Rat: „Wir müssen uns emanzipieren, von der Elektronik, von anderen. Damit wir nicht das Gefühl haben, dass andere über uns entscheiden.“ Sein Tipp: die Pop-up-Funktion im eMail-System deaktivieren, andere Ablenkungen entfernen. Außerdem: „In der Bürosituation der digitalisierten Welt sehen Sie nicht mehr zeitnah, wofür Sie sich angestrengt haben.“ Erst das Sichtbarmachen der erledigten Arbeit aktiviere das Belohnungszentrum. Daher empfiehlt der Experte: immer nur die akute Aufgabe auf dem Schreibtisch haben, das Abhaken einer To-do-Liste hilft zu erkennen, was man am Tag abgearbeitet hat. Die Aufmerksamkeitsspanne könne man durch Entspannungsübungen steigern. Wenn der Chef zu viel auf einmal will, müsse man sich abgrenzen, sagen, was sich bis wann ausgeht und was nicht. Denn: „Die Aufgabe der Führungskräfte ist es nicht anzutreiben, sondern die Mitarbeiter zu beruhigen.“

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