Und plötzlich finden wir sie dufte ...

Und plötzlich finden wir sie dufte ...
Lange Zeit war es in Österreich Tradition, gegen die Deutschen zu sein. Heute ist einiges anders.

Es gibt heutzutage ja nicht mehr vieles, worauf man als Österreicher vertrauen kann. Manner-Wafferln sind rosa, die Grünen gewinnen nie so viel dazu wie vor der Wahl prognostiziert, und wenn die Deutschen Fußball spielen, dann san mir, weil mir mir san, grundsätzlich für die anderen. Egal, wer das ist. Aus Prinzip.

Doch Halt. "Zu unseren Piefke-Public-Viewings an der Adria Wien (am Donaukanal, Anm.) kommen immer mehr Österreicher. Ja, es scheint so, als würdet ihr uns plötzlich mögen", sagt einer, der es wissen muss. Der gebürtige Schwabe Jockel Weichert musste 2008 noch die "Piefke Connection" gründen, um während der EURO nicht vor dem Fernseher zu vereinsamen. Heute hat die Piefke Connection 4000 Mitglieder, "und auch Österreicher kommen in Scharen an die Adria – und zwar, um Deutschland anzufeuern, nicht, um uns verlieren zu sehen."

Verrückt

Ist also tatsächlich das Unmögliche möglich geworden? Drücken die Österreicher tatsächlich plötzlich den Deutschen die Daumen?

Ja, sagten 54,93 Prozent der 12.617 Teilnehmer an einer Blitzumfrage auf kurier.at. Und das liegt nicht etwa daran, dass 210.735 gebürtige Deutsche in Österreich eine doch etwas größere Macht sind als die gerade einmal 1471 gebürtigen Argentinier. Nein, schon vor dem Finale, genauer gesagt schon vor der WM, glaubten laut einer Studie des europäischen Forschungsprojekts Football Research in an Enlarged Europe (FREE) 25 Prozent der Österreicher, dass Deutschland Fußball-Weltmeister wird. 19 Prozent gaben dabei sogar an, dem großen Bruder explizit die Daumen zu drücken – mehr als in jedem anderen teilnehmenden Land.

Versteckt

"Dass das Verhältnis zwischen Österreichern und Deutschen, gerade beim Fußball, nicht immer von großer Zuneigung geprägt ist, habe ich erst in den letzten Jahren erfahren", sagt Nora aus Hamburg, die seit vier Jahren in Salzburg lebt und arbeitet. Doch gerade zu dieser WM sei es anders: "Wir schauen die Spiele zusammen mit österreichischen Freunden und Kollegen und viele drücken der deutschen Elf die Daumen, denn sie meinen, Deutschland habe sich den Sieg dieses Mal wirklich verdient."

Auch wenn Nora im Deutschland-Trikot quer durch Salzburg in eine Fußballkneipe radelt, erntet sie keine bösen Blicke, "im Gegenteil, die Leute lächeln mich an." Das, gibt die 36-jährige zu, könnte allerdings auch an der mehr als fußballgroßen Rundung unter ihrem Shirt liegen, die nicht etwa vom übermäßigen Bier- und Currywurst- Genuss kommt. "Eigentlich wäre der Geburtstermin am Dienstag des Halbfinales gewesen", sagt Noras Mann Dennis. "Aber die Kleine wollte offenbar nicht in den deutschen Torhagel hineingeraten."

Jetzt hofft das Paar, dass die Wehen nicht ausgerechnet während des Finales am Sonntag einsetzen.

Verkauft

Eine nie dagewesene Sympathie für die Deutschen erkennt auch Markus Strobl. Sein Fußball-Fan-Shop in der Strozzigasse in Wien ist ein Familienbetrieb und mit 32 Jahren so alt wie Markus Strobl selbst. "Früher hat keiner Deutschland-Trikots gekauft, die waren fast ein Ladenhüter. Aber in den vergangenen Jahren merke ich stark, dass immer mehr Kunden die Dressen wollen", sagt Strobl.

Bei den Käufern handle es sich aber keinesfalls nur um deutsche Numerus-Clausus-Flüchtlinge. Auch die Österreicher empfänden die Farben Schwarz, Rot, Gold in letzter Zeit als höchst kleidsam. Strobl: "Nachdem unser eigenes Nationalteam selten irgendwo mitspielt, halten sich eben viele an die Nachbarn."

Die Hauptursache für den Deutschland-Hype kann er aber mit nur einem Wort erklären: Alaba. Seitdem der Liebling der Massen bei Bayern München brilliert, "gehen die Bayern-Leiberln weg wie warme Semmeln – oder eben Brötchen".

"Durch Alaba kennen und mögen viele Österreicher plötzlich den FC Bayern", hat auch Jockel Weichert beobachtet – "und die Nationalmannschaft besteht ja großteils aus Bayern-Spielern."

Versprochen

Außerdem: "Der deutsche Fußball ist anders als früher. Es ist nicht mehr dieser Brechstangenfußball", sagt Weichert. Und: "Früher war auch der Ton ein ganz anderer." Die Statements von Toni Kroos ("Weltmeister ist noch niemand im Halbfinale geworden") oder Jogi Löw ("Niemand sollte sich unbesiegbar fühlen") nach dem Brasilien-Match "zeigen, dass jetzt mehr Understatement herrscht". Früher habe es eben "einen Kahn gegeben oder einen Ballack – und die haben sich mit ihrer typisch arroganten Art keine großen Freunde gemacht".

Die Zeit hatte vor Kurzem noch eine andere Erklärung: Das Beste, schrieb Dietmar Krug, was Klinsmann mit dem Sommermärchen von 2006 tun konnte, war, "diese WM gerade nicht zu gewinnen, sondern als tragischer Weltmeister der Herzen in Schönheit zu scheitern. Die Österreicher lieben so etwas. Aber jetzt ist es wieder an der Zeit. Denn wenn sich sogar schon die Österreicher einen Weltmeister Deutschland wünschen, dann sollte man sie nicht enttäuschen." Und die Manner-Wafferln bleiben ja rosa.

„Lass’ dich doch in Sigwarthic umtaufen.“ 1998 war’s, WM in Frankreich, und Schwarz-Rot-Gold rumpelte durchs Turnier. Im Viertelfinale kamen die Kroaten, und wie der Loddarmaddäus und seine Kollegen ein 0:3 drüberbekommen haben, da bin ich daheim im Schwarzwald gesessen und hab’ mich diebisch gefreut. Da haben Fußballer gewonnen, und dass die Franzosen Weltmeister geworden sind, das war überhaupt das Größte. Wir haben dann auch im Elsaß gefeiert.
EM 2000, Vorrunden-Aus, Loddarmaddäus – eh schon wissen. Nur: Inzwischen war ich beim KURIER in Wien, und da haben die neuen Bekannten schön geschaut, wie da neiche Piefke mit ihnen gelacht hat.

Da neiche Piefke hat sich natürlich auch alte Zeitungen angeschaut, und da ist ihm so langsam gedämmert, was da eigentlich los war: Der KURIER zum Beispiel hat sich tagelang und seitenweise gefreut nach dem deutschen Aus bei der 98er-WM, weil die WM jetzt endlich WM sei. Piefke hier, Piefke da, Piefke überall. Nervig. Córdoba!
2001 kam der Jogi. Erst nach Innsbruck, dann zur Austria, dann zum deutschen Team. Und mein Quasi-Nachbar (25 Kilometer Luftlinie) hat’s geschafft: Seit 2006 hat sich’s weitgehend ausgenervt. Und inzwischen ist es „höggschd normal“, wie er und ich sagen würden, wenn man auch mal einen deutschen Erfolg anerkennt.
Höggschd erfreulich, eigentlich. Denn ich hab’ heuer trotzdem wieder den Franzosen die Daumen gedrückt. Und den Schweizern.
Und dem Jogi.

Tschuldige, die Deutschen spielen ja super, ich bin trotzdem für Brasilien“, sagte mir eine Freundin vor dem brasilianischen Desaster. Einige nahmen sich sogar Zeit für lange Analysen über Jogis Truppe, obwohl sie anderen Teams die Daumen hielten. Das ist bemerkenswert. Denn ich kann mich an andere Zeiten erinnern. Deutschland gegen Kroatien, 1998. Mein zweiter Sommer in Wien. Ich hatte gerade gelernt, dass Deutsche null Schmäh haben, es für das Wort Tomate die gelbe Karte gibt und für Tüte einen Platzverweis.

Dennoch wagte ich mich zum Public Viewing in die Wiener City. 90 Minuten Albtraum: Die ungebremste Häme und Schadenfreude der Österreicher als die deutsche Elf (zu Recht) rausgekickt wurde. Man hätte Paradeiser auf den Augen haben müssen und Stanitzel in den Ohren, um nicht zu kapieren: Deutsche mag man hier gar nicht.
Heute ist alles ein bisschen anders. Ein Wiener Taxifahrer erklärte mir erst gestern, warum die deutschen Spieler – beziehungsweise die Deutschen an sich – nicht mehr ganz so unbeliebt seien. Sie zeigten jetzt einen schöneren Fußball, seien lockerer und weniger arrogant. „Sie bemühen sich mehr. Müssen sie auch. Wer will denn schon überall unbeliebt sein?“

Er hat jedes Spiel verfolgt, war immer für den Außenseiter. Sympathisch. Auch heute ist er für Argentinien. Jogis Jungs findet er trotzdem gut.
Zu wem ich halte? Ich wünsche mir endlich das Happy End vom Sommermärchen 2006. Und dann könnt ihr uns bei der nächsten Fußball-Begegnung gerne wieder einmal eins auf die Mütze geben.

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