Der Weltmeister schlittert in ein Debakel

Höhenflug der Niederländer: Arjen Robben tanzte sich durch die gesamte Hintermannschaft der Spanier und traf zum 5:1.
Die Niederländer nehmen in der Neuauflage des WM-Endspiels von 2010 Revanche und siegen 5:1.

War’s das? War’s das jetzt mit der Hochblüte des spanischen Nationalteams. Sind die Zeiten der Dominanz und des Tiki-Taka endgültig vorbei? Wurden die baff erstaunten Zuseher im Stadion von Bahia bereits Augenzeugen vom Anfang des Endes einer Erfolgsgeneration?

Der erste Auftritt des amtierenden Welt- und Europameisters bei dieser WM in Brasilien musste den Fans jedenfalls ziemlich spanisch vorkommen: eine 1:5-Demütigung gegen die Niederlande, in der Neuauflage des Endspiels von 2010 fand der Titelverteidiger im WM-Zweiten auf eine spektakuläre Art und Weise seinen Meister, wie sie kaum jemand für möglich gehalten hätte. Immerhin dominierten die Vereine aus Spanien gerade erst die Europacup-Saison. Und immerhin schenkte der spanische Erfolgstrainer Vicente del Bosque sieben Spielern das Vertrauen, die 2010 im WM-Finale standen, während die Niederländer eine großteils unerfahrene Truppe ins Rennen schickten.

Konterspiel

Doch es war nicht nur ein Triumph der Jugend, es war auch ein Kantersieg der Disziplin und der Strategie.Mit perfektem Konterspiel und blitzschnellen Gegenstößen führte Bondscoach Louis van Gaal das Tiki-Taka ad absurdum und die Niederländer ließen die Weltmeister vor allem nach der Pause wie Anfänger ausschauen.

Nicht einmal der Schiedsrichter konnte den Spaniern aus ihrer Bredouille helfen. Nicola Rizzoli, der beste italienische Schiedsrichter, hatte der Nummer 1 der FIFA-Weltrangliste zu einer billigen 1:0-Führung durch Xabi Alonso verholfen ( 27.) – der Körperkontakt zwischen Stefan De Vrij und dem spanischen Angreifer Diego Costa erfüllte niemals den Tatbestand eines Elfmeterfouls.

Dass Rizzoli später dann vor dem niederländischen 3:1 durch De Vrij (64.) ein Foul von Robin van Persie am spanischen Tormann Iker Casillas übersah, fiel dann gar nicht mehr ins Gewicht. Zu einseitig war da bereits die Angelegenheit, nachdem Van Persie mit einem gefinkelten Kopfballheber (44.) und Arjen Robben (53.) das Spiel binnen weniger Minuten gedreht hatten. Zwei Mal genügte ein simpler Steilpass, um die Defensive der Spanier in all ihre Bestandteile zu zerlegen.

Was dann in der letzten halben Stunde folgte war eine Galavorstellung der Niederlande, sowie eine Performance von Spanien, die phasenweise an eine Selbstaufgabe erinnerte. Dem Sturmlauf des Vizeweltmeisters hatten die Spanier nichts mehr entgegen zu setzen. Das 1:4 durch Van Persie nach einem Patzer von Goalie Casillas (42.) passte genauso ins Bild wie das 5:1 durch Robben, der ohne Gegenwehr durch die spanische Defensive spazieren konnte. Am Ende waren die Spanier mit der höchsten WM-Niederlage seit 1950 noch gut bedient.

Seltenheitswert

Für die Spanier sind Niederlagen und Gegentore ein ungewohntes Bild. Seit 2008, seit der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz, hatte die Nationalmannschaft den Weltfußball dominiert und scheinbar mühelos von einem Titel zum anderen spaziert. Die nackten Zahlen machen die Dominanz der Spanier erst richtig deutlich. Die letzte Bewerbsspielniederlage kassierte die Mannschaft von Del Bosque vor vier Jahren. Während des gesamten WM-Turniers 2010 in Südafrika hatten die Spanier nur zwei Gegentore hinnehmen müssen, bei der erfolgreichen EM-Titelverteidigung 2012 hatte Goalie Casillas sogar nur einen einzigen Gegentreffer kassiert.

Diesmal schossen die Niederländer gleich fünf Tore in 90 Minuten – und schossen sich nach dieser Leistung von der Außenseiterrolle zu einem Mitfavoriten auf den WM-Titel.

Und trotzdem, 1:5-Abfuhr hin, Blamage her – es wäre wohl ein großer Fehler und purer Leichtsinn, die Spanier jetzt schon völlig abzuschreiben. Nur zur Erinnerung: die Spanier sind alles anderes als Frühstarter. 2010 setzte es im ersten Gruppenspiel eine Niederlage (0:1 gegen Schweiz), 2012 bei der EM gab es ein Remis (1:1 gegen Italien) – der Rest der Geschichte ist bekannt.

Salvador, Fonte Nova Arena, SR Rizzoli/ITA

Tore:
1:0 (27.) Xabi Alonso (Foul-Elfmeter)
1:1 (44.) Van Persie
1:2 (53.) Robben
1:3 (64.) De Vrij
1:4 (72.) Van Persie
1:5 (80.) Robben

Spanien: Casillas - Azpilicueta, Sergio Ramos, Pique, Jordi Alba - Busquets, Xabi Alonso (63. Pedro) - Iniesta, Xavi, David Silva (78. Fabregas) - Diego Costa (63. Torres)

Niederlande: Cillessen - Janmaat, Vlaar, De Vrij (77. Veltman), Martins Indi, Blind - De Jong, De Guzman (62. Wijnaldum), Sneijder - Van Persie (79. Lens), Robben

Gelbe Karten: Casillas bzw. De Guzman, De Vrij, Van Persie

Vicente de Bosque (Spanien-Teamchef): "So ist der Sport. Wir haben verloren und das müssen wir akzeptieren. Wir waren vor der Pause besser, die Niederlande danach. Wir haben nach der Pause leider viele Fehler gemacht, das muss man zugeben. Nach ihrem Führungstreffer wurden die Niederländer von der Euphorie getragen, wir waren hingegen verunsichert. Das hat aber mit Physis nichts zu tun. Wir haben uns selbst in diese schwierige Situation gebracht, jetzt müssen wir diese Lage gemeinsam lösen. Das heißt, wir müssen das nächste Spiel gegen Chile gewinnen, das wird schwierig genug."

Andres Iniesta (Spanien-Mittelfeldspieler): "Bei 1:1 haben wir noch Chancen gehabt, aber am Schluss waren die Niederländer einfach wesentlich stärker. Das Resultat ist, wie es ist. Wir müssen das Spiel analysieren, dann schnell vergessen und uns auf Chile konzentrieren. Bei einer WM kann so etwas passieren. Wir müssen jetzt schauen, die nächsten zwei Spiele zu gewinnen. Wenn man so ein Resultat hat wie die Niederländer, ist es leicht zu spielen, für uns ist es unheimlich kompliziert."

Robin van Persie (Niederlande-Stürmer, 2 Tore): "Es ist einfach unglaublich, unerklärlich, unbeschreiblich. Das ist ein Traum für unser ganzes Land. Aber es sind auch nur drei Punkte, das ist die Realität."

Arjen Robben (Niederlande-Stürmer, 2 Tore): "Ich habe immer sehr viel Vertrauen in diese Mannschaft gehabt. Wir können schon Fußball spielen, wir müssen uns das aber zutrauen. Physisch sind wir sehr gut drauf, das hat sich nach der Pause ausgezahlt. Für solche Spiele lebt man. Jetzt heißt es für einige Stunden genießen, genießen, genießen. Aber wir müssen mit zwei Füßen auf dem Boden bleiben und unseren Fokus aufs nächste Match gegen Australien richten."

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