Der Friseur des Königs Pelé

João Araújo, den alle nur Senhor Didi nennen, ist der bekannteste Friseur Brasiliens.
Brasiliens Ikone Pelé lässt seit 58 Jahren nur einen Mann aus Santos an seine Haare.

Es ist nicht die feinste Gegend in der brasilianischen Hafenstadt Santos, weit weg von den noblen Appartements in Strandnähe, die sich nur vermögende Leute aus São Paulo leisten können.

Hier, unweit des legendären Santos-Stadions Vila Belmiro sind die kleinen Mehrfamilienhäuser grau und der Putz bröckelt von den Wänden. Straßenhunde bellen ihr Lied, am Horizont ziehen sich die Favelas die Serra do Mar hoch. Über das Küstengebirge hinweg liegt eineinhalb Autostunden entfernt São Paulo mit geschätzt 20 Millionen Einwohnern.

Der kleine Mann auf dem Plastikstuhl nahe der Vila Belmiro hat mit dem Stress des Molochs nichts zu tun. João Araújo, alle nennen ihn nur Senhor Didi, hält ein Nickerchen. Das passt gut, schließlich sind seine Kunden beim Mittagessen. Der 74-Jährige ist der bekannteste Friseur Brasiliens. Seit 1956 schneidet er einem der prominentesten Sportler die Haare: Edson Arantes do Nascimento. Pelé. O Rei. Der König.

Salon mit Geschichte

Gleichmäßiges Grau liegt an diesem Dienstag über Santos, der Stadt mit dem größten Hafen Südamerikas. "Heute ist es recht ruhig. Normalerweise habe ich sechs Kunden am Tag", sagt Didi und betritt sein Geschäft. "Friseur von Pelé und von Euch auch. Didi" steht auf dem Ladenschild. Santos-Wimpel, Zeitungsausschnitte, Pelé-Fotos – Didis Laden könnte leicht mit dem Museum des ruhmreichen Santos FC verwechselt werden, der nur noch im Mittelfeld der ersten Liga herumdümpelt. Doch das ist ein paar Meter weiter.

Der prominente Gast 1956 war für João Araújo ein Glücksjahr. Als 17-Jähriger kam er aus Minas Gerais, einem Bundesstaat im Südosten Brasiliens, nach Santos und heuerte in einem Friseurgeschäft nahe des Stadions an. "Pelé wechselte nach Santos und unterschrieb nach einem Probetraining mit 15 seinen ersten Vertrag", erinnert sich Didi. Eines Tages stand er plötzlich im Salon. "Er war zunächst nicht sonderlich begeistert, weil ich ja noch ganz neu war und er nicht einschätzen konnte, ob ich mein Handwerk verstehe. Ich sagte: Versuchen wir es. Und wenn es Ihnen gefällt, dann habe ich einen neuen Kunden und Freund."

Schnitt für die Ewigkeit

Der Friseur des Königs Pelé
Senhor Didi Friseur von Pele, Brasilien WM Tripmaker
Seitdem lässt Pelé nur noch ihn an seine Haare und verlangt immer den gleichen Schnitt. Auch ehemalige Santos-Granden wie Zito, Durval oder Pepe lassen sich noch regelmäßig bei Didi zum Haareschneiden blicken.

Der zweite Kunde des Tages betritt das Friseurgeschäft, das sich direkt neben dem Santos-Fanbeiserl "Zum Deutschen" befindet. "Bom dia Didi. Tudo bem?" – "Tudo!" Schon sitzt der Mann mit den lockigen Haaren auf dem Friseurstuhl, den sich Didi angeschafft hat, als er 1970 das Geschäft übernahm. Wenn dieser Stuhl erzählen könnte. Didi nimmt die Sprayflasche, feuchtet die Haare des Kunden an und kürzt die Locken. Knappe zehn Euro muss man dafür auf den Tisch legen. "Pelé zahlt natürlich etwas mehr", sagt Didi über seinen vermögenden Kunden. Pelé, das sei mittlerweile ein riesiges Sport-Unternehmen, das aus New York gesteuert werde.

Friseur zum Abholen

"Vor einer Woche habe ich ihm zuletzt die Haare geschnitten. Aber bei ihm zu Hause", berichtet Didi. Immer häufiger schneidet der Cabeleireiro dem Weltfußballer auswärts die Haare, "wenn wir das hier machen, spricht sich das herum wie ein Lauffeuer und das ganze Viertel steht vor der Tür, will Fotos und Autogramme", sagt Didi. Eigentlich könne man Eintritt kassieren, witzelt er.

Also schließt Didi seinen Laden zu, wird von Pelés Fahrer abgeholt und zum Anwesen ins eine halbe Stunde entfernte Guarujá gefahren. In dem Nobelbadeort mit den herrlichen Stränden hat auch schon Michael Schumacher residiert, wenn in São Paulo Rennwochenende war. Auch der in Brasilien wie Pelé verehrte Ayrton Senna hatte dort Eigentum. "Pelé hat ein riesiges Haus. Dort haben wir unsere Ruhe", sagt Didi. Und ja, der Rei habe ein großes Herz und sei sehr großzügig. Etwa ein Mal im Monat sehen die beiden einander. "Wenn er mehr als tausend Tore geschossen hat, dann muss ich ihm mehr als 1000 Mal die Haare geschnitten haben", schätzt Didi.

Generation ohne Magie

"Für Didi, den besten Friseur Brasiliens", hat Pelé auf ein Plakat geschrieben, das prominent im Geschäft hängt. "Jeder kennt hier Didi. Er ist eine Institution", kann der frisch frisierte Kunde nur bestätigen, klopft dem Friseur auf die Schulter und verlässt den Salon: "Até logo" – bis bald! Die heutige Generation des Santos FC lässt sich nicht mehr so oft bei Didi blicken. "Neymar war noch nie hier. Aber das wäre mit seinem Hahnenkamm und den ständig wechselnden Looks wohl auch ein wenig zu kompliziert für mich", erzählt Didi über den nach Barcelona gewechselten Superstar.

"Hoffentlich bleibt er bei all dem Geld auf dem Boden", sagt Didi, der kein Spiel seiner "Peixe" auslässt. Früher live in der Vila Belmiro, heute lieber am Fernseher. "Das ist einfach bequemer. Und außerdem fehlt mir heute im Team diese Magie, die man als Zuschauer noch zu Zeiten Pelés gespürt hat."

Warten auf den König

Wann der nächste Termin beim Rei ist, weiß er noch nicht genau. "Er ist als WM-Botschafter für Brasilien viel unterwegs. In Paris und London zum Beispiel", weiß Senhor Didi, der sich von Pelé gerne von dessen Reisen erzählen lässt. In drei Wochen müsste wieder das Telefon klingeln. Es kann aber genauso gut sein, dass der König plötzlich vor der Tür steht.

Ausgezeichnet Pelé wurde am 23. Oktober 1940 als Edson Arantes do Nascimento in Três Corações geboren, einer Kleinstadt, 300 Kilometer von Rio de Janeiro und São Paulo entfernt. Die Auszeichnungen "Weltfußballer des 20. Jahrhunderts" (FIFA) und "Sportler des Jahrhunderts" (IOC) zeigen seinen Stellenwert. Begründet ist dieser mit dem dreifachen Gewinn der Weltmeisterschaft (1958, 1962, 1970) sowie 1281 erzielten Toren in 1363 Spielen. Pelé ist mit 77 Treffern der Rekordtorschütze der brasilianischen Nationalmannschaft. Im Trikot seines langjährigen Vereins FC Santos gewann der Offensivgeist in 17 Jahren insgesamt 26 Titel.

Kritisiert Nach der Fußball-Karriere war Pelé von 1995 bis 1998 brasilianischer Sportminister. Gelitten hat seine Popularität im Juni letzten Jahres. Anlässlich der Proteste im Land postete er auf Facebook: "Lasst uns die ganze Konfusion, die in Brasilien passiert, vergessen, und denken wir daran, dass die brasilianische Seleção unser Land ist, unser Blut. Wir werden die Seleção nicht auspfeifen, sondern bis zum Finale unterstützen."

Diese Äußerung löste einen Sturm der Entrüstung aus. Die Brasilianer warfen Pelé "Ignoranz" vor, er solle "zur Hölle" fahren. Pelé ruderte zurück und stellte klar, dass er lediglich darum gebeten habe, die Nationalmannschaft zu unterstützen und "nicht die Frustrationen an ihr auszulassen". Wie das brasilianische Team unterstützt auch er mittlerweile die Protestbewegung im WM-Gastgeberland.

Wettquoten Für die Buchmacher ist der Gastgeber der erste Anwärter auf den WM-Titel. Der amtierende Welt- und Europameister Spanien wird überraschend nur an dritter Stelle geführt.

Rekordhalter Fünf Mal holte sich Brasilien den WM-Titel, zuletzt 2002.

2,57 Mio. Tickets sind bereits verkauft. Die letzten knapp 200.000 Karten sind seit letzter Woche erhältlich.

10 WM-Partien sind schon ausverkauft, darunter das Eröffnungsspiel und alle Partien von Gastgeber Brasilien.

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