Warum Österreich in Russland gute Chancen hat

Klettermaxe: Marcel Koller will auch abseits des Platzes hoch hinaus.
Unter Marcel Koller kann das Team auch auswärts siegen. Der nächste Streich soll gegen Russland folgen.

Wie die Zeit vergeht und sich die Zeiten doch ändern: Es ist nicht allzu lange her, dass ein österreichisches Nationalteam in der Ferne nur nicht untergehen wollte. Oder sich so teuer wie möglich verkaufen. Oder so lange wie möglich kein Gegentor erhalten. Vielleicht sogar, wenn der Doppelpass mit Fortuna gelang, einen Punkt erobern.

Und heute? Da lässt der wagemutige Teamchef auf Sieg spielen. Marcel Koller meint mit einem Seitenblick auf die Tabellenführung vor dem Spiel am Sonntag in Moskau: "Wenn wir aus Moskau einen Punkt mitnehmen, dann könnten wir damit gut leben. Das wäre wieder ein weiterer Schritt." Nachsatz: "Aber wir fliegen nach Russland, um zu gewinnen."

Lang, lang ist’s her

Vor fast 19 Jahren wurde zum letzten Mal in einem Qualifikationsspiel ein hochklassiger Gegner aus der Kategorie Russland besiegt: Andreas Herzog ebnete mit seinem Siegestreffer zum 1:0 in Schweden am 9. Oktober 1996 den Weg zur WM 1998. Nach der Endrunde in Frankreich ging es bei den Auswärtsspielen steil bergab.

Der damalige Teamchef Herbert Prohaska ist der letzte Trainer, der für Österreich eine positive Bilanz in der Fremde geschafft hat – mit insgesamt zehn Siegen, drei Unentschieden und acht Niederlagen (siehe Grafik).

Marcel Koller startete auswärts ähnlich schlecht wie seine Vorgänger: Nach den ersten sechs Versuchen durfte nie gejubelt werden. Aber mit dem 3:0-Erfolg auf den Färöern – nachdem der Schweizer seinen Vertrag verlängert hatte – wurde eine für den ÖFB einzigartige Serie gestartet: vier Auswärtsspiele, vier Siege.

Siegesserie

Warum Österreich in Russland gute Chancen hat
Auf das 3:0 folgten ein 2:1 im Test in Tschechien, ein 2:1 in Moldawien und das 5:0 in Liechtenstein. Damit kann Koller nach zehn Auswärtsspielen immerhin auf eine ausgeglichene Bilanz mit vier Siegen und vier Niederlagen blicken. Kein Vergleich zu den Jahren davor.

Prohaska-Nachfolger Otto Baric hatte ebenso wie Hans Krankl und Josef Hickersberger eine negative Auswärtsbilanz. Danach schafften Karel Brückner (in drei Versuchen) und Dietmar Constantini (in immerhin sieben Spielen) nicht einmal einen einzigen Sieg außerhalb von Österreich.

Ganz schlecht lief es vom Finish der Krankl-Ära 2005 bis zum Abgang von Constantini: Das 4:1 in Aserbaidschan im Oktober 2011 unter Interimstrainer Willibald Ruttensteiner beendete eine schwarze Serie mit einem einzigen Auswärtssieg in 19 (!) Partien. Und dieser Erfolg war ein erzittertes 2:1 in einem Test im Jahr 2006 in Liechtenstein, das Hickersberger mit zwei späten Treffern nach dem zwischenzeitlichen 0:1 gerade noch den Job gerettet hat.

Einer der "Retter" damals war Torschütze Gyuri Garics, der heute zwar Teil des Teams, aber nicht mehr erste Wahl ist. Vor allem, weil ihm die Spielpraxis fehlt. Garics will Bologna verlassen, obwohl sein Vertrag beim Doch-noch-Aufsteiger bis 2016 läuft. "Ich möchte einen Klub finden, der meine Qualitäten zu schätzen weiß. Was ich im letzten Jahr erlebt habe, hatte mit Fußball nur am Rande zu tun."

Viel besser

Aber Garics verspürt im Team ebenso wie seine Kollegen das neue Selbstbewusstsein. "Das ist der Lohn harter Arbeit", meint Martin Harnik, der seit 2007 mit von der rot-weiß-roten Partie ist. "Lange Zeit hatten wir eine Schwäche, nicht nur auswärts. Das hatte mit der Gesamtverfassung des Teams zu tun. Jetzt sind wir einfach viel besser. Jeder einzelne Spieler, aber auch im Kollektiv."

Es sei vor allem die Art und Weise, wie die Österreicher das Fußballspiel praktizieren, die ein neues Selbstverständnis erzeugt. "Wir sind ja zu Recht derzeit Tabellenführer. Dementsprechend breit ist die Brust, dementsprechend erfolgsorientiert treten wir auf", erklärt Harnik, der auf eine schwere Aufgabe hinweist: "Körperlich wie geistig wird es eine harte Sache. Jeder muss noch einmal in dieser Saison 90 Minuten lang alles raushauen."

Um die Tabellenführung nicht nur zu verteidigen, sondern gar auszubauen – das ist der neue Anspruch im Team. Auch auswärts.

Bis zu Sepp Blatters endgültigem Rücktritt wird täglich irgendein FIFA-Skandal aufgedeckt werden. Gleichgültig, ob die Zeugen halten oder nicht. Konträr zur Moral der FIFA-Bonzen wird das Spielniveau immer besser. Das haben Barcelona und Juventus im Champions-League-Finale eindrucksvoll bewiesen.

Auch in Russland, wo Verbandspräsident Tolstych abgesetzt wurde, dominiert Korruption. Auch dort lässt das Funktionärs-Hickhack die Profis kalt, zumal der Sieben-Millionen-Euro-Teamchef Fabio Capello immer noch im Amt ist. Die Reaktion des Moskauer Publikums könnte das Österreich-Match indes beeinflussen: Gelingt den Russen nicht rasch ein Tor, droht gar ein Heimnachteil. Denn noch nie, sagt Kollege Sergej aus Moskau, war eine russische Nationalelf so unbeliebt.

Im Gegensatz zum ÖFB-Team, das Marcel Koller ausnahmslos aus Legionären bilden kann, gehört Capellos Kader kein einziger Auslandsprofi an. Dies ist aber primär auf die Topgagen in der russischen Liga zurückzuführen. Warum soll ein Kicker die gewohnte Umgebung verlassen, wenn daheim dermaßen der Rubel rollt? So kassiert Dinamo-Stürmer Kokorin fünf Millionen jährlich. Angeblich in Euro. Das von Sparzwängen gebeutelte Volk ist wütend ob solcher obszönen Summen. Und Reporter, die nur noch halb so viel verdienen wie im Vorjahr, können den Zorn nachvollziehen. Sie werden ihre Laptops in Salzsäure tauchen, wenn gegen Österreich nicht …

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