Popstar Tuchel gibt endlich den Ton an

Der Grübler: Thomas Tuchel gilt als äußerst akribisch und interessiert an allen Facetten des Fußballs.
Der 41-jährige Trainer-Wunderwuzzi nimmt am Montag in Dortmund die Arbeit auf.

Am Montag ist es so weit: Thomas Tuchel leitet erstmals ein Training von Borussia Dortmund.

Der 41-Jährige tritt ein schweres Erbe an. Jürgen Klopp hatte in sieben Jahren eine Mannschaft entwickelt, die stilbildend war. Solche Fußstapfen sind groß. Das zeigte sich in Barcelona nach dem Abgang von Guardiola, das war ein Problem bei Manchester United nach dem Pesionsantritt von Ferguson.

Aber wenn es einem zugetraut wird, den Fußball in Dortmund weiterzuführen oder gar weiterzuentwickeln, dann ist das Thomas Tuchel. Klopp stand für Außenseiterfußball, für schnelle Überfälle mit dem gerade erst eroberten Ball. Bei Tuchels Vorstellung von Fußball muss ebenfalls alles schnell gehen. Das Umschalten auf dem Spielfeld ebenso wie das Umschalten im Kopf.

Tuchel hörte im Sommer 2014 nach fünf Jahren bei Mainz trotz aufrechtem Vertrag auf, weil er nicht mehr viel Entwicklungspotenzial gesehen hat. Seither sind alle verrückt nach Tuchel, er spukte wie ein Phantom durch die deutsche Bundesliga. Schalke, Stuttgart, HSV und RB Leipzig wollten ihn, Hamburg und Leipzig setzten gar Übergangslösungen auf die Bank in der Hoffnung auf seine Zusage.

Doch Tuchel nahm sich ein Jahr Zeit. Er reiste mit seinem Manager nach Wien, um Museen zu besuchen, die beiden schauten sich in Katar ein Nachwuchsfußballturnier an und WM-Baustellen. Bei einem Konzert des Sängers und Songwriters Clueso hatte Tuchel den Hamburger Anwalt Olaf Meinking kennengelernt. Der 48-Jährige bezeichnet seinen Schützling als Popstar. Meinking vertritt normalerweise Bands wie Fettes Brot, Silbermond oder Clueso.

Der Regelbrecher

Tuchel fuhr auch nach Bamberg zum Basketballmeister, um sich über Regenerationszeiten zu erkundigen, er schaute sich bei Fiorentina die Krafträume an. Er war auch in München Essen mit Pep Guardiola. Und in der Schweiz nahm Tuchel an einem Treffen der "Rulebreaker Society" teil, einem internationalen Klub von Menschen, die in ihrer Branche die Grundregeln brechen. Tuchel erzählte dabei, wie er innerhalb eines Spiels die Taktik wechselte.

Tuchel flog auch nach London – um Matthew Benham zu treffen. Der 46-Jährige hat den FC Brentford, einen kleinen Verein aus dem Norden Londons, an die Schwelle zur Premier League geführt. Benham hat in Oxford Physik studiert, arbeitete als Derivatehändler, gründete eine Sportwettenfirma und trieb die englischen Buchmacher mit seinen Berechnungen zur Verzweiflung. Seine mathematischen Modelle brachten ihm ein Vermögen ein. Und eine neue, intelligente Vision zum Profifußball, die er nun mit großem Erfolg in die Realität umsetzt. Von langfristigen Investitionen in die Infrastruktur bis zur Auswahl der Elfmeterschützen wird alles auf der Grundlage mathematischer Modelle und statistischer Analysen entschieden. Midtjylland, Benhams zweiter Klub, wurde in Dänemark Meister.

"Benham sagt selbst von sich, er könnte niemals eine Fußballmannschaft trainieren, aber er kann sagen, von welcher Position aus es statistisch gesehen am wahrscheinlichsten ist, dass der Stürmer ein Tor schießt", erzählte Tuchel nach dem Treffen. Er selbst ließ auch schon Spielfelder nach Erkenntnissen der Hirnforschung abstecken – so wollte er mutige Pässe lehren.

Tuchel nimmt nach Dortmund einen Co-Trainer mit, einen Athletiktrainer und einen Videoanalysten. Aber Klubs, mit denen er verhandelte, berichteten von weiteren Wünschen – es sollen auch Experten für Statistik, Hirntraining und Meditation beschäftigt werden.

Drei Österreicher arbeiteten unter Thomas Tuchel bei Mainz.

Andreas Ivanschitz kam 2009 leihweise von Panathinaikos Athen. Wenige Tage vor Saisonbeginn wurde Jörn Andersen nach einer Cup-Blamage als Trainer durch den damaligen Mainzer U-19-Coach Thomas Tuchel abgelöst. Ivanschitz blieb bis 2013, sein Vertrag wurde nicht verlängert. "Ich war aber überrascht, zumal es bei mir sehr gut lief in dieser Saison", sagte er. Tuchel schätzte den Edeltechniker, sagte aber einmal bezeichnenderweise: "Ich fürchte, ich muss Andi wieder emotionalisieren und motivieren, wieder alles und mehr zu geben." Ivanschitz kann diese Vorgangsweise des Trainers nur bestätigen: "Er forderte Einsatz und Konzentration, bereitete uns akribisch auf die Gegner vor."

Christian Fuchs stieß 2010 von Absteiger Bochum leihweise für ein Jahr zu Mainz. Das mit der Akribie kann Österreichs Teamkapitän nur bestätigen: "Wir haben schon drei Tage vor einem Spiel begonnen, uns mit dem Gegner zu beschäftigen. Und nach jeder Besprechung bist du mit einer noch breiteren Brust heraus gekommen. Du warst überzeugt: Die Partie können wir sicherlich gewinnen." Fuchs spricht in höchsten Tönen über den neuen Dortmund-Coach. "Vom Fachlichen als Trainer brauchen wir gar nicht zu reden. Da ist er Spitzenklasse. Er ist der beste Vereinstrainer, den ich gehabt habe."

Julian Baumgartlinger kam im Jahr 2011 von der Wiener Austria zu Mainz. Auch bei Baumgartlinger kommt die Akribie ins Spiel. "Tuchel ist ein akribischer Arbeiter, der nichts dem Zufall überlässt. Natürlich ist er anspruchsvoll. Ich bin mit ihm sehr gut ausgekommen." Baumgartlinger bleibt auch nach dessen Abschied bei Mainz, obwohl auch über einen Transfer nach Dortmund zum Ex-Coach gemunkelt wurde. "Ich bin mit ihm stets in Kontakt gewesen nach seinem Abgang aus Mainz", sagt Baumgartlinger. Der Wechsel zu Dortmund ergab sich nicht.

Thomas Tuchel wurde am 29. August 1973 im bayerisch-schwäbischen Landkreis Günzburg, in Krumbach, geboren. Mit Ehefrau Sissi hat er zwei Töchter, Emma (5) und Kim (4). 1998 beendete er seine Karriere als Kicker verletzungsbedingt. Er arbeitete als Nachwuchstrainer bei Stuttgart, Augsburg und Mainz. Am 3. August 2009 wurde er in Mainz Cheftrainer, beendete seine Arbeit im Sommer 2014.

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