Frankreich ist gewarnt, aber verwundbar

Deutliche Worte: Patrice Evra (li.) fordert ein mutigeres Auftreten.
Souverän war der EM-Gastgeber bisher nicht, gesucht wird die rasche Entscheidung.

Eigentlich dürfte nichts schiefgehen. Frankreich ist gewarnt. Frankreich müsste durchschaut haben, was die Isländer so stark macht, und die Grande Nation darf sich als Gastgeber und haushoher Favorit keine Blamage gegen die Isländer erlauben beim Jubiläum, dem 80. Heimspiel im Stade de France.

Also, was tun? Torhüter Hugo Lloris nimmt Anleihe beim Gegner: "Es reicht nicht, eine große Nation zu sein und schönen Fußball zu spielen, um zu gewinnen. Es kommt mehr auf die kollektiven Werte an." Es könne nicht funktionieren, mit dem Gefühl rauszugehen, Franzosen hätten mehr Talent und seien ohnehin besser.

In der Außendarstellung übt sich der Titelfavorit jedenfalls in Demut und lässt keine Gelegenheit aus, den Isländern Respekt zu zollen. Für ihre geschlossene Spielweise und für die Ergebnisse, die sie ins Viertelfinale gebracht haben. "Nein", sagt Trainer Didier Deschamps, "Island besteht nicht nur aus langen Einwürfen." Es ist nicht nur die objektiv betrachtet höhere Klasse der französischen Spieler, es ist auch die Statistik, die den vorzeitigen Abschied vom Turnier unwahrscheinlich macht. Seit 16 Spielen haben die Franzosen daheim bei einer EM oder WM nicht mehr verloren.

Die Bilanz gegen Island stimmt ebenfalls optimistisch: Elf Auseinandersetzungen gab es bisher, acht wurden gewonnen, keine verloren. Trainer Deschamps hatte als Spieler 1998 aber ziemlich zu kämpfen. In der damaligen EM-Qualifikation musste er sich mit einem 1:1 begnügen.

Angestrebt wird die Entscheidung in der regulären Spielzeit, Elfmeterschießen hat Deschamps in der vergangenen Wochen nicht trainieren lassen. Das mache er aber ohnehin nie.

Zitterpartien

Die durchwachsenen Vorstellungen bereiten die größte Sorge im Lager des Gastgebers. Darum sprach auch Ex-Kapitän Patrice Evra Klartext: "Es reicht mit dem ständigen Reagieren. Eines Tages klappt das nicht mehr. Wir sind verrückt. Wir müssen aufhören, uns Angst zu machen." Klaglos, also ohne Zittern, brachten die Franzosen noch kein Spiel zu Ende.

Immer benötigte man fast eine Stunde, um endlich zum Torerfolg zu kommen. Und es erforderte nervenaufreibende Geduld, bis die Entscheidung kam. Zwei Mal jeweils erst in den Schlussminuten. Zwei Gegentore schluckte man bereits in den ersten beiden Spielminuten. Linksverteidiger Evra drängt also auf die schnelle Entscheidung im Viertelfinalspiel gegen die Isländer: "Wir wollen diesmal nicht bis zur zweiten Halbzeit warten."

Der Routinier will auch nicht schon wieder bei einer Endrunde in der Runde der letzten acht den Hut nehmen. "Dazu habe ich keine Lust", meint Evra und erinnert sich mit Grauen an die WM 2014 in Brasilien, als Frankreich nach dem 0:1 in der Verlängerung die Heimreise antreten musste. Gegner war allerdings der spätere Weltmeister Deutschland.

Das Rezept für Sonntag? "Ideal ist es, gut zu beginnen und gut aufzuhören", sagt Trainer Deschamps.

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