Saigon: Geister, Götter, Garküchen

.
Der Zauber einer versunkenen, kolonialen Welt. In einer Stadt, die von Kriegen beherrscht war. Und durch Ho Chi Minhs Enkel zu einer der pulsierendsten Metropolen Asiens aufstieg.
Saigon: Geister, Götter, Garküchen
Michael Horowitz
Zart und zerbrechlich wie ein Vogel nennt Thomas Fowler in „Der stille Amerikaner“ das Mädchen Phuong, deren schöne, schmale Gestalt, deren bernsteinfarbene Haut wie Opium duftet. Der alternde britische Reporter – in der Verfilmung von Michael Caine verkörpert – verfällt gegen Ende des französischen Indochina-Krieges dem Charme der jungen Vietnamesin. Und des kolonialen Saigons. Er mochte den Anblick der seidenbehosten Gestalten nicht entbehren, die sich graziös durch die feuchte Mittagshitze bewegen. In der Stadt, in der es oft knallte, es konnte vom Auspuff eines Autos oder von einer Handgranate herrühren. Vor mehr als 60 Jahren erschien Graham Greenes Vietnam-Epos. Danach wurde der Schriftsteller bis zu seinem Tod 1991 vom US-Geheimdienst überwacht. Sein Romanheld hatte bald die journalistische Objektivität aufgegeben und sich in die Kriegswirren eingemischt, indem er sich an einem Mordkomplott gegen einen CIA-Agenten beteiligte. Und die spätere Niederlage der Amerikaner vorausahnte und beschrieb.

Längst heißt das schicksalsbehaftete Saigon, das man Paris des Ostens nannte, Ho-Chi-Minh-Stadt. Nennen wir es weiterhin Saigon. Klingt schöner. Die rastlos wirkende südostasiatische Hafenstadt im kommunistischen Vietnam hat sich bis heute eine ganz eigene Kolonialidylle erhalten. Die Villen, Paläste und Wahrzeichen der französischen Besetzer, wie das Theater oder das von Gustave Eiffel erbaute Hauptpostamt, wurden restauriert.

Zauberhafte Innenstadt

Anders als in asiatischen Mega-Metropolen wie Bangkok, Singapur oder Shanghai, wo das modernisierungswütige Regime reizvolle Altbauviertel abriss und durch Kathedralen des Konsums ersetzte, blieb hier die Innenstadt erhalten. Mit einer seltsamen, großstädtischen Intimität, die den Fremden sofort umfängt. Wenn er unter Eukalyptusbäumen durch das ehemalige Saigon spaziert. Mit kleinen, verwunschen wirkenden Pagoden und Tempeln, der Heimat geheimnisvoller Geister, Drachen und Tiger, aus denen Weihrauch dringt. Mit Bäuerinnen, die zeitig morgens in die Stadt geströmt sind. Und am Straßenrand in Käfigen lebende Hasen und Hühner, Schildkröten und Schlangen anbieten. Und Enteneier mit Embryo – viel Protein, gut für Mann …

Saigon: Geister, Götter, Garküchen
Michael Horowitz

Im aufwendig renovierten Jugendstil-Postgebäude residiert Herr Duong Van Ngo. Der 87-Jährige übersetzt Briefe. Und schreibt auch für Menschen, die nicht die richtigen Worte finden. Manchmal 30, manchmal auch bis zu 100 pro Tag. Früher verfasste er – mit seinem Bleistift der Gefühle – vor allem Liebesbriefe. Von jungen Mädchen an GI’s, die nach Texas oder Tennessee zurückgekehrt sind. Und gebrochene Herzen zurückgelassen hatten. Heute, Herr Duong benötigt schon eine starke Lupe, übersetzt und verfasst er hauptsächlich nüchterne Geschäftskorrespondenz.

In der Halle der Hauptpost prangt ein gigantisches Ho-Chi-Minh-Porträt. Onkel Ho nennen sie ihn, er ist allgegenwärtig. Onkel Ho – unsere Hoffnung, unser Glaube sieht man überall auf Spruchbändern. Auf Feuerzeugen, Kaffeehäferln und Dong- Geldscheinen. Doch man merkt kaum, dass man in einer kommunistisch regierten Stadt unterwegs ist. Trotz Tradition und sozialistischem System spürt man auf Schritt und Tritt den Lebenswillen der Jungen. Den Optimismus von Ho Chi Minhs Enkeln. Keine andere vietnamesische Stadt bietet derartige Chancen. Die Löhne sind drei Mal so hoch wie im nationalen Durchschnitt. Der Motor des Aufschwungs ist durch gigantische Investitionen der ehemaligen Kolonialherren und Kriegsgegner – Franzosen, Japaner, Amerikaner – in Gang gebracht worden. Der alte Feind ist heute gern gesehener Gast. Viele in den Himmel stürmende Beton-, Glas- und Marmor-Protzbauten trüben den Blick auf die kolonialen Relikte der Innenstadt. Die Börse boomt, über die ehemaligen Reisfelder am Rande der Stadt führt eine schwungvoll gebaute Autobahn, U-Bahn-Trassen werden gelegt, es entsteht ein rund 16 Milliarden US-Dollar teurer neuer Flughafen. Für mehr als 100 Millionen Passagiere jährlich (in Wien sind es weniger als 30 Millionen).

Hohe Arbeitslosigkeit

Immer mehr Reiche, die im Bentley in den in einer malerischen Meeresbucht gelegenen Paradise Golf Club – dessen Jahresmitgliedschaft 25.000 US-Dollar beträgt – chauffiert werden, stehen über 20 Prozent Arbeitslose gegenüber. Weiterhin leben in Saigons stickig-engen Elendsquartieren oft bis zu drei Generationen in einem Raum, manchmal sieben, acht Menschen. Ein Fabrikarbeiter verdient rund vier Euro pro Tag – wenn er bis zu 14 Stunden lange Schrauben presst, seine Frau zwei Euro – wenn sie in der Nachtschicht Nudelteig rührt. Doch die ganze Nation gibt sich Woche für Woche dem Lottofieber hin. Rund zwei Drittel der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt – da wird man doch noch Zukunftsträume haben dürfen. Und die Hoffnung auf Wohlstand ist größer als jeder gesellschaftliche Gegensatz. Optimismus als Lebensmotto. Schließlich hat man im Jahr 2000 auch die Mekong-Jahrhundertflut überlebt. Und zuvor den Krieg gegen die Amerikaner – den Berichterstatter aus aller Welt bequem und dekadent vom Dach des Caravelle-Hotelturms am zentralen Lam-Son-Platz beobachteten und beschrieben. Der einzige Krieg, über den man von einer Bar aus berichten konnte.

Saigon: Geister, Götter, Garküchen
Michael Horowitz

Am 30. April 1975 wurden die letzten US-Beamten mit Helikoptern aus der Botschaft in Saigon evakuiert. Das Ende des Vietnamkriegs, der sich mit 58.000 Toten für die Amerikaner als Inferno, als schlimmste Niederlage ihrer Geschichte, erwies. Mehr als 40 Jahre sind seit dem Ende des Krieges vergangen. Vor mehr als 20 Jahren etablierte Präsident Clinton wieder diplomatische Beziehungen und hob Sanktionen auf. Der doi moi, der wirtschaftlichen Erneuerung – mit Handy & Sichel – stand nichts mehr im Wege. In der Suppenküche Pho 2000 zeugen noch heute Fotos vom Besuch Bill Clintons, davon wie gut ihm die Bun Bo Hue, die Nudelsuppe aus der Kaiserstadt Hue im Zentrum Vietnams, geschmeckt hat: Dünne Reisnudeln, zarter Zwiebel, Sojabohnensprossen, Bananenblütenstreifen, morning glory (spinatähnliches Gemüse), Rindfleisch, Chilisauce. Und ein mitgekochter Schweinsfuß. Man schlürft die Suppe zum Frühstück, mittags, abends. Und zwischendurch als leichtes Gericht gegen Heißhunger-Attacken.

Saigon ist ein schöner Ort, um ein paar Tage zu vertrödeln, meinte der Romancier Somerset Maugham schon 1923. Wenn sich die feuchte Hitze langsam zurückzieht, legt sich erst ein zarter blau-violetter Schimmer über die Stadt und ihren mächtigen Fluss, bevor die frühe äquatoriale Nacht anbricht. Saigon wird zur Stadt des Lichts. Wie sein Pariser Vorbild. Am Ufer locken illuminierte Musikdampfer die Fremden. Vor den Entrées der eleganten Hotelrelikte aus der Kolonialzeit wie dem Continental, in dem Graham Greene im Zimmer Nr. 214 den Stillen Amerikaner zu Leben erweckte, warten Burschen mit ihren Xe Om (umarmende Vehikel), bonbonfarbenen 125er-Motorrollern, um mit den Touristen am Rücksitz in das Saigoner Nachtleben einzutauchen. Mit Abenteuern für alle Sinne. Mit Opiumpfeifen und Schlangenschnaps, Massage-Salons und Tattoo-Kellern. Mit hunderten Straßen-Garküchen, in denen man Krabben in Knoblauch, Wachteln in Chilisauce oder Ziegenbraten mit Okra-Schoten – und Suppen, Suppen, Suppen bekommt. Danach Open-Air-Clubs und Karaoke-Bars. Bis in den frühen Morgen wird hier immer wieder Vi yeu (weil ich liebe) angestimmt.

Blick in die Zukunft

In den eleganten Hotelbars der Stadt, die auch die Kokotte Vietnams genannt wird, sind hier früher Franzosen und Amerikaner dem nächtlichen Reiz gewisser Stunden verfallen. Und auch heute posieren Graham Greenes zarte, zerbrechliche Mädchen aufmunternd auf den Barhockern. Die meisten anmutig im Ao Dai. Einem hocherotischen, auf Taille genähten, geschlitzten Kleid über einer knöchellangen Seidenhose. Die Zeiten der ausgebeulten Khakiuniformen, der von der Partei gewünschten Einheits-Bekleidung, sind vorbei. Nicht nur Gespielinnen für gewisse Stunden tragen die eleganten, im warmen Wind flatternden Ao Dais. Auch im bunten Straßenbild Saigons sind sie längst präsent.

Saigon: Geister, Götter, Garküchen
Michael Horowitz

Man erlebt auf Schritt und Tritt trotzigen Nationalstolz, aber auch freundlichen, aufgeschlossenen Umgang mit Fremden. Die Kriegsgräuel der Vergangenheit werden nicht verdrängt. Aber sie sind vorbei. Man blickt in die Zukunft. In einer der pulsierendsten Metropolen Asiens. Zwischen geheimnisvollen Tempeln und Pagoden als Erinnerung an die allgegenwärtigen Geister und Götter. Mit kolonialen Relikten voller Reiz und Patina. Ich spüre oft das brennende Verlangen, wieder nach Saigon zurückzukehren, schrieb die italienische Schriftstellerin Oriana Fallaci, Saigon steckt in meinem Leben wie ein Messer. Und Graham Greenes Romanheld, der alternde Kriegsberichterstatter Thomas Fowler, meinte wehmütig: Ich wollte nie wieder nach Hause.

HOTELS


Caravelle
Als das Hotel Weihnachten 1959 eröffnete, war es mit zehn Stockwerken der höchste Bau Saigons. Während des Vietnamkrieges Mittelpunkt für Diplomaten und Journalisten, war die berühmte Dach-Bar des Caravelle für so manchen Kriegsberichterstatter der bequemste Ort, um die Kämpfe zu verfolgen. Inzwischen ist das aufwendig renovierte und 1998 als das beste Luxushotel der Stadt wiedereröffnete 5-Sterne-Haus nicht mehr wiederzuerkennen. Aber die Saigon Rooftop-Bar ist wieder einer der beliebtesten Orte, um bei ein, zwei Cocktails den Abend ausklingen zu lassen.
www.caravelleHotel.com

Continental
Die Grande Dame unter den Hotels der Stadt. Hier wohnte Graham Greene monatelang und machte das Hotel 1955 in seinem Roman „Der stille Amerikaner“ zu einem Hauptschauplatz. Ein Schmuckstück aus der französischen Kolonialzeit, dessen Charme und verblichener Glanz zumindest teilweise bis heute erhalten blieb.
www.continentalvietnam.com

Rex
Eines der Wahrzeichen der Stadt und gemeinsam mit dem Caravelle und dem Continental das Dritte im Bunde der geschichtsträchtigsten Fünf-Stern-Häuser Saigons. Stil und Flair der 1950er-Jahre blieben zum Großteil erhalten und von der Dach-Bar hat man immer noch die spektakulärste Aussicht auf die Stadt.
www.rexhotelvietnam.com

White Luxury
Sauberes, sehr günstiges Dreistern-Hotel mitten im Zentrum des eleganten ersten Stadtbezirkes. Nur drei Minuten vom pulsierenden Ben-Thanh-Markt entfernt. Laptops sind kostenlos auszuleihen.
 +84 8 38235260

RESTAURANTS
Bo Tung Xeo
Eines der beliebtesten und ältesten Lokale der Stadt. Hausspezialität ist Bo Tung Xeo, ein gegrilltes Rindfleischgericht, das von den Gästen auf einem kleinen Grill direkt am Tisch zubereitet wird.
31 Ly Tu Trong,
 +84 8 3825 1330

Mi Keo Soi Trung Hoa
Das bei Einheimischen sehr beliebte und preislich günstige Mittags- und Abendlokal serviert als Spezialität des Hauses frisch, vor den Gästen zubereitete Nudeln mit knusprig gegrilltem Schweinefleisch. Dazu gibt es Frühlingsrollen und eine große Auswahl an Dim Sum – sehr zu empfehlen.
86 Bis Le Thang Ton,  +84 8 3827 4407

Vietnam House
Top-Adresse für traditionelle vietnamesische Gerichte in französisch-elegantem, sehr luxuriösem Ambiente. Ausgezeichnete Küche.
vietnamhousesaigon.com

Hum
Bestes vegetarisches Restaurant der Stadt. Lotuswurzeln in Chili-Oliven-Sauce. Und gedämpfte Pilze in Kokosnussmilch. Pflichtgerichte – nicht nur für fanatische Vegetarier.
www.hum-vegetarian.vn

Kommentare