Zukunft der SPÖ: "Alle wollen einen neuen Kreisky"

Bundeskanzler Werner Faymann
SPÖ-Urgesteine Kienzl, Gehmacher und Ex-Kreisky-Mann Petritsch für neue Personal- und Wirtschaftspolitik und Internationalisierung.

Die SPÖ braucht einen Kompass und eine Führung, der die Anhänger vertrauen. Die Führung muss die Anhänger aber auch inspirieren." – Das sagt Heinz Kienzl, der ehemalige Spitzenfunktionär im ÖGB, Ex-Notenbankgeneral und Mitbegründer der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft (SWS), die regelmäßig Umfragen u.a. für die Nationalbank durchführt. Der 93-Jährige ist seit Gründung der SPÖ 1945 Partei-Mitglied.

"Die SPÖ braucht einen Parteichef, der neue Dynamik entwickelt."

Er ortet eine Sehnsucht nach einer charismatischen Figur an der SPÖ-Spitze. "Alle wollen einen neuen Kreisky. Dieser ist aber nicht am Brunnenmarkt zu kaufen. Es braucht einen Parteichef, der neue Dynamik entwickelt", betont der Ökonom. Wichtig für die Zukunft der SPÖ findet er daher die Personalpolitik. "Die Partei braucht gescheite, dynamische Typen."

Wachstum & Jobs

Zukunft der SPÖ: "Alle wollen einen neuen Kreisky"
APAKMA13 - 05102007 - WIEN - OESTERREICH: ZU APA 326 WI - . Der fruehere Generaldirektor der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) Heinz Kienzl, feiert am Montag, dem 8. Oktober, seinen 85. Geburtstag. (Archivbild vom 13.03.1997 ) APA-Photo: Hans Techt
Gemeinsam mit der EU müsse die Partei auf Wachstum und Beschäftigung setzen. "Mit entsprechender Politik kann ein reifer Industriestaat wie Österreich zwei Prozent Wachstum erreichen". DieSPÖwäre gut beraten, sich an dem erfolgreichen Wahlkampf-Slogan von Bill Clinton, "it’s the economy, stupid!" zu orientieren (Clinton gewann damit im Jahr 1992 die Präsidenten-Wahl, Anm.).

Die größte Sorge der Menschen sei aktuell die Angst vor der Arbeitslosigkeit. Die SWS führt derzeit zu der Frage "Verlorene Sicherheit" eine Umfrage durch, sagt Kienzl. In Kürze werden die Ergebnisse vorliegen.

Ernst Gehmacher, der viele Jahre das SPÖ-nahe Institut für Empirische Sozialforschung (IFES) geleitet hat, sieht die Zukunft der Parteien optimistisch. Es werde künftig aber mehr Bewegungen geben, die Partikular-Interessen vertreten. "Die vielen zersplitterten Interessen und innovativen Ansätze müssen dann aber in einem partnerschaftlichen System zwischen Gruppen und Parteien zusammengeführt werden", sagt der 89-jährige Sozialwissenschaftler. Sein Fazit: "Nur in der Balance der verschiedenen Interessen können die großen Probleme bewältigt werden. Parteien alleine können das nicht mehr leisten."

Partei provinzieller

Wolfgang Petritsch, der langjährige Pressesprecher von Bundeskanzler Bruno Kreisky, warnt die Sozialdemokratie vor einer nationalen Ausrichtung. "Die Partei ist heute weniger international als in den 1970er-Jahren. Das ist im Zeitalter der Europäisierung und Globalisierung einfach nur paradox."

Der Spitzendiplomat und international gefragte Balkan-Experte sieht die künftige Herausforderung für die SPÖ in "einer Dialektik zwischen globaler Ausrichtung sowie lokaler politischer Umsetzung und Praxis". Die Partei brauche beides, verlangt der Harvard-Gastprofessor. "Man kann den Bürgern nicht mehr vormachen, dass Entscheidungen autonom auf nationaler Ebene getroffen werden können."

Eine zentrale Frage werde weiterhin die SPÖ beschäftigen: Soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. "Das hat sich nicht verändert."

Bürgermeister Michael Häupl gibt als Gastgeber im Rathaus den Fremdenführer: "Der Rote Salon hat nichts mit der Farbe einer Partei, sondern nur mit der Tapezierung zu tun."

Auch sei der Ort für die historischen Zusammenkünfte vor 70 Jahren nicht aus politischen Gründen gewählt worden, sondern aus praktischen. Häupl: "Das Rathaus war nur an einer Ecke von einer Bombe getroffen, während das Parlament doch erheblich zerstört war."

Die Geschichtsstunde mit Bürgermeister Häupl und Kanzler Werner Faymann gestern im Wiener Rathaus hatte offiziell einen, aber eigentlich zwei Anlässe. Der offizielle ist der 70. Geburtstag der SPÖ. Am 14. April 1945 ging die SPÖ aus "Revolutionären Sozialisten" und "Sozialdemokratischer Arbeiterpartei" (SDAP) hervor. Im Roten Salon wurde der erste provisorische Parteivorstand unter dem Vorsitz von Adolf Schärf gegründet.

14 Tage später, am 29. April 1945, sollte in eben diesem Roten Salon die erste Bundesregierung des Nachkriegs-Österreich entstehen. Häupl: "Jenseits der Donau herrschte noch Krieg."

Im Wiener Rathaus ging man daran, das neue Österreich zu bauen. Häupl: "Als Erstes begann die Sozialdemokratie in der Nachkriegszeit mit dem sozialen Wohnbau. Ein Erbe der NS-Zeit war, dass zwei Drittel des Wiener Wohnungs- und Häuserbestands zerstört waren."

Ab dann sollte es nur mehr bergauf gehen. Häupl: "Die Größe der Wohnungen stieg von durchschnittlich 30 auf 70 Quadratmeter."

Heute wie damals sei ein zentraler Auftrag für SPÖ, "die Verelendung von breiten Teilen der Bevölkerung nicht hinzunehmen". Häupl: "Armut frisst Demokratie."

Für die Bundespartei formuliert Werner Faymann: "Die Idee eines starken Sozialstaats zur Sicherung von sozialer Gerechtigkeit hat nichts an Kraft verloren." Als Aufgabe der SPÖ sieht Faymann, neoliberale Ideen zu "verhindern", aber auch "Neues zu schaffen".

Im Moment dominiert in der Politik der SPÖ eher das "Verhindern". Das räumt Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos im KURIER-Gespräch ein – und er steht dazu. "Die SPÖ hat eine Schutzfunktion für Nicht-Privilegierte. Auch wenn das manche als strukturkonservativ kritisieren, halte ich es für richtig, dass sich die SPÖ jenes Spektrums der Bevölkerung – und ja, es sind meist ältere Leute – annimmt, die krank sind und keinen adäquaten Arbeitsplatz mehr bekommen. Es mag budgetpolitisch chic klingen, wenn man die Zahl der Invaliditäts-pensionen um 20 Prozent drückt, aber wir als SPÖ dürfen nicht die Einzelschicksale hinter solchen Statistiken vergessen."

Das "Neue" hält auch Darabos für nötig. Etwa das Thema, wie der Sozialstaat, der auf fixe Angestelltenverhältnisse ausgerichtet ist, an die neuen, wechselhaften Erwerbsbiografien anzupassen ist. Darabos: "Das ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft, auch für die Frage, wie die SPÖ neue Wählerschichten ansprechen kann."

Der gesellschaftliche Wandel in den 1960er-Jahren – der Übergang von der agrarischen Dominanz zur Arbeiter- und Angestelltengesellschaft – hat die SPÖ begünstigt und in die Lage versetzt , absolute Mehrheiten zu erobern. Mittlerweile ist die SPÖ auf rund 25 Prozent geschrumpft. Ein neues Parteiprogramm soll mithelfen, dass die SPÖ wieder neue Wähler bekommt. "Wir haben ein Problem bei den Jungen", räumt Darabos ein.

Die Diskussion über das Parteiprogramm befindet sich in der ersten Phase, 2016 soll es fertig sein. Die Ernsthaftigkeit der Programmarbeit unterstreichen Faymann und Häupl, indem sie zum 70. Geburtstag ein Manifest unterzeichnen, in dem sie "die uneingeschränkte Treue der SPÖ" zu Österreich und "den Menschen in diesem Land" betonen. Ihr Leitspruch: "Die Freiheit des bzw. der Einzelnen ist für uns die Voraussetzung für die Freiheit aller in der Gesellschaft." Die feierliche Unterzeichnung dieses Manifests ist der Abschluss der Geburtstagsparty, zu der die SPÖ 400 Funktionäre von der Bundesspitze und den Länderchefs abwärts ins Rathaus geladen hat. Das Hauptreferat hält Erwin Lanc, Minister in der Ära Bruno Kreisky.

Wie sehr die SPÖ der ferneren Vergangenheit der 1970er nachtrauert, zeigt sich auch darin, dass sie zwei ihrer Kanzler aus jüngster Zeit völlig unter den Tisch fallen lässt. In den "70 Highlights aus 70 Jahren SPÖ" listet die SPÖ 70 Wohltaten mit Jahreszahl auf. Die Kanzlerjahre von Viktor Klima und Alfred Gusenbauer kommen nicht vor – gerade so, als hätte Wolfgang Schüssel von 1998 bis 2008 regiert.

– Phase 1
Derzeit findet an der Basis der SPÖ eine Diskussion über das neue Parteiprogramm statt. Josef Cap hat 25 Fragen an die Mitglieder formuliert. Diese Fragen geben die Themen vor.

– Phase 2
Unter Leitung des Historikers Wolfgang Maderthaner wird das Ergebnis der Debatte verwissenschaftlicht.

– Phase 3
Der erarbeitete Text wird wieder an die Basis zur Debatte geschickt.

– Phase 4
Mitglieder stimmen über das neue Programm ab (2016).

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