Die Angst vor dem Abstieg

Die Angst vor dem Abstieg
Egal, ob Wirtschaftsflaute, Asylwerber-Debatte oder Griechenland-Krise: Vieles macht den Österreichern gerade enorme Sorgen, der Mittelstand fürchtet um seine Zukunft. Zu Recht?

Habe ich in einem Jahr noch meinen Job? Wie geht das alles mit den Flüchtlingen und den Zuwanderern weiter? Und ist meine Wohnung noch vor Einbrüchen sicher, wenn ich zwei Wochen auf Urlaub fahre?

Es sind diese drei, von Sorgen getragenen Fragen, die Österreichs Bevölkerung derzeit massiv beschäftigen, sagt Wolfgang Bachmayer. Seit Jahrzehnten erforscht der Chef des OGM-Instituts die Gemütslage der Bürger. Und für Bachmayer ist klar, "dass die Entwicklungen der Wirtschaft, die Frage der Flüchtlingsproblematik sowie die allgemeine Sicherheit zu Hause derzeit die drei drängendsten Sorgen sind".

Nun klingt das durchaus plausibel – allein die Zahl der Arbeitslosen ist seit geraumer Zeit auf Rekord-Niveau. Die Frage ist nur: Sind diese Ängste berechtigt? Oder fürchten sich die Österreicher weitgehend unbegründet?

Roland Verwiebe ist Soziologe an der Universität Wien, und Fragen der sozialen Ungleichheit, des Arbeitsmarktes und der Migration sind sein Thema. Geht es nach Verwiebe, so hat die latent spürbare Angst sehr reale (Hinter-)Gründe.

"Es ist belegbar, dass der Mittelstand schrumpft", sagt Verwiebe zum KURIER. Einer der wesentlichen Gründe sei, dass sich der Arbeitsmarkt in den letzten 20 Jahren enorm verändert habe. Ausnehmend gut bezahlte Jobs, wie sie etwa die Industrie lange Zeit geboten habe, seien sukzessive durch vergleichsweise schlechter bezahlte Jobs im Dienstleistungsgewerbe – Stichwort McJobs und Teilzeit – abgelöst worden.

Parallel dazu würden insbesondere in den Ballungsräumen die Karrieren der Menschen mit Migrationshintergrund für Unsicherheit sorgen. Verwiebe: "Man lebt Tür an Tür und sieht zwei Entwicklungen: Diejenigen, die mit schlechter Ausbildung hier in zweiter oder dritter Generation leben, sind zunehmend von Armut und Arbeitslosigkeit bedroht. Im Gegenzug werden die Zuwanderer aus den EU-Nachbarländern vielfach als Konkurrenz empfunden, weil sie sehr gut ausgebildet sind – in Wien hat jeder zweite Zuwanderer Hochschulabschluss."

Die gefühlte Bedrohung wird durch reale Einkommensverluste noch weiter verstärkt.

So bestätigen Zahlen der Statistik Austria, dass der in den letzten Jahrzehnten auf ein respektables Niveau gestiegene Wohlstand sinkt: Die Einkommen der untersten 25 Prozent der Angestellten lagen schon 2012 um 18 Prozent unter dem Niveau von 1998; und das verfügbare Einkommen der Haushalte wächst seit 1995 (!) nicht mehr so wie das Bruttoinlandsprodukt.

All das – die gefühlte Bedrohung gemeinsam mit der stotternden Wirtschaftsentwicklung – ist eine Mischung, die Zukunftsängste letztlich befeuert, und die die Menschen empfänglicher macht für holzschnittartige Botschaften und vermeintlich simple Lösungen.

"Im Wesentlichen leidet die Gesellschaft darunter, dass die Wirtschaftskrise nicht aufgearbeitet wurde. Sie dauert seit 2008 ununterbrochen an, es fehlt ein Narrativ", sagt Walter Ötsch, Ökonom und Kulturwissenschaftler.

Ötsch bemüht ein Beispiel aus der Geschichte: "Ein Vorbild, wie’s gehen kann, war US-Präsident Franklin D. Roosevelt in den 30er-Jahren des vorigen Jahrhunderts."

FDR habe ebenfalls eine große Wirtschafts- und Bankenkrise zu bewältigen gehabt. "Und was hat er gemacht? Er hat erklärt, warum die Banken in die Krise schlitterten, was zu tun sei – nämlich neue Aufsichts- und Versicherungsbehörden zu schaffen –, und er hat das letztlich durchgezogen."

Das einzige "Narrativ", das in der Innenpolitik derzeit in Sachen Krise kursiere, sei, dass man über die Verhältnisse gelebt habe. "Und das", sagt Ötsch, "ist nicht nur nicht positiv besetzt, es entspricht zudem auch nicht den Tatsachen."

Welche Möglichkeiten gibt es sonst noch, aus der krisenhaften Stimmung zu steuern?

Meinungsforscher Bachmayer gibt sich eher pessimistisch: "Ich will nicht Kassandra spielen, aber zwei der drei großen Angstmacher, nämlich die Situation der Wirtschaft sowie die internationale Entwicklung, was Krisen und Flüchtlingsströme angeht, kann die Politik de facto kaum beeinflussen. Hier braucht es einfach Geduld."

Soziologe Verwiebe, selbst Deutscher, gibt sich optimistischer: "Die Politik sollte hierzulande tun, was in Deutschland bei der Wiedervereinigung geschah: Man hat den Menschen schonungslos die Wahrheit gesagt und schmerzhafte Reformen umgesetzt. Langfristig war das eine erfolgreiche Strategie."

Kommentare