UNO-Experte warnt vor Untätigkeit

Kilian Kleinschmidt hat ein riesiges Flüchtlingslager in Jordanien geleitet und unterstützt nun die heimische Regierung.
Kilian Kleinschmidt berät Innenministerin in Asylfragen: "Krisenherde ernst nehmen wie Griechenland."

KURIER: Sie managten das Lager Zataari in Jordanien mit über 100.000 Flüchtlingen. Fühlen Sie sich da angesichts der wenigen Tausend Flüchtlinge in Traiskirchen nicht unterfordert?

Kilian Kleinschmidt: Nein, es geht hier ja auch um etwas völlig anderes. Ich soll nicht die Aufnahmestelle managen, sondern will versuchen, dabei zu helfen in Österreich Strukturen zu schaffen, um langfristig die Kapazitäten bereitzustellen, damit man mit Kriegsflüchtlingen in einem der reichsten Länder der Welt menschenwürdig umgehen kann. Diese Aufgabe finde ich schon sehr spannend, ein letztlich sehr antiquiertes System umzustellen und zu modernisieren. Natürlich ist es schwierig, mitten in der Krise das Problem anzugehen. Aber ich denke, das kriegen wir hin.

Was war Ihr erster Eindruck von Traiskirchen? Anfangs sagten Sie, da hat offenbar jemand seinen Job nicht gemacht.

Mittlerweile sehe ich das Problem bei den vielen unterschiedlichen Ebenen der Verantwortung und natürlich bei den Hürden der Bürokratie wie etwa den Bauvorschriften. Wenn es alle Beteiligten schaffen die Humanität in den Vordergrund zu stellen und Flexibilität zu demonstrieren, bin ich zuversichtlich, dass man vernünftige Verbesserungen in Traiskirchen umsetzen kann. Das Thema sollten nicht die Zahlen sein, sondern wie die Einrichtung ausgestattet ist, mit einer bestimmten Zahl Menschen umzugehen und sie menschengerecht zu versorgen. Das Zeltlager muss dringend verbessert werden, mit dem Ziel es aufzulösen. Damit wäre das größte Problem vor dem Winter gelöst. Es sollten dann ja idealerweise nur mehr 1800 Flüchtlinge in Traiskirchen sein, mit dem Ziel diese Zahl noch weiter zu verringern. Aber wir müssen uns alle bewusst sein, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt, in der wir alle zusammenarbeiten müssen. Es ist sicher gut, dass die Caritas anfangen kann, die vielen Sachspenden der Zivilbevölkerung zu koordinieren und zu verteilen und damit die teils chaotischen Verhältnisse um die Anlage herum zu beenden.

Es scheint, dass die Flüchtlingskrise für uns überraschend kam, oder täuscht der Eindruck?

Wenn irgendjemand sagt, das wäre sehr überraschend gekommen, dann ist das nicht wahr. Denn die Regierungen der betroffenen Region warnen seit Jahren und rufen: "Unsere Kapazitäten sind erschöpft". Was wirklich fehlt, ist eine echte internationale Solidarität.

Gehen Sie davon aus, dass noch mehr Flüchtlinge kommen, wenn vor Ort nicht ausreichend investiert wird?

Genau, das passiert dann auf jeden Fall. Wenn sie nicht legal kommen können, werden sie illegal kommen. Egal, was man dagegen unternehmen will – sie werden einfach kommen, denn anders können sie nicht überleben.

Wenn wir uns nicht um die Krisen kümmern, kommen die Krisen zu uns?

Wir sind ja direkt vernetzt mit den Krisen in der Welt. Wir müssen die Krisenherde so ernst nehmen wie Europa das bei Griechenland getan hat. Tatsächlich sind jedoch von den Staaten der Welt bis jetzt nur etwa 35 Prozent der humanitären Geldmittel für den Nahen Osten zur Verfügung gestellt worden. Da fehlt es an Wasser, Essen, Energie und auch wirtschaftsfördernden Maßnahmen. Das sind nicht nur Almosen sondern durchaus auch Investitionen in die Wirtschaft, die dort benötigt werden. Derzeit haben die Menschen in dieser Region keine Chancen, in irgendeinem Land dieser Region vernünftig aufgenommen zu werden. Keine Arbeitsmöglichkeiten, keine Studienmöglichkeiten, keine guten Schulen. Deswegen sehen wir ja gerade so viele Jugendliche auf dem Weg hierher.

Haben sich Österreich und Deutschland für Flüchtlinge nicht zu attraktiv gemacht?

Kommunikation ist für alle zugänglich , die Flüchtlinge wissen genau, wo sie hinkommen. Das ist aber nicht, weil wir jetzt "Willkommen" sagen. Es gibt ja auch einen demografischen Bedarf, unsere Bevölkerung wird immer älter. 600.000 Arbeitsstellen sind in Deutschland allein unbesetzt. Diese Menschen sind einfach notwendig für uns, um zu überleben. Mehr Menschen schaffen ja auch mehr Arbeitsplätze. Wir werden langfristig selbst in eine Krise geraten, wenn wir sie nicht aufnehmen. Deswegen ja auch die Forderung nach einer strukturierten legalen Migration, die sich sehr gut mit gezielter Hilfe für Krisenregionen verbinden lässt.

Die EU versucht, die Außengrenzen dichtzumachen. Dabei scheinen Länder wie Serbien oder Mazedonien jetzt schon überfordert mit der Situation.

Die menschenunwürdige Behandlung, die wir gerade zwischen Ungarn und Mazedonien erleben, das muss aufhören. Das ist skandalös, was da gerade passiert.

Es geht also um eine nationale Kraftanstrengung, um die Menschen zu versorgen und zu integrieren?

Im Augenblick sieht es aus wie ein großer Umbruch. Das muss man nicht unbedingt als Notstand sehen, aber ernst nehmen. Integration ist ein langsamer und schwieriger Prozess und funktioniert nicht immer. Aber das wäre doch gelacht, wenn wir das nicht schaffen, wie es auch in der Vergangenheit immer funktioniert hat, wenn es den Schulterschluss gegeben hat. Da müssen wir alle mitanpacken.

Der Deutsche Kilian Kleinschmidt (53) engagiert sich seit 1988 als humanitärer Helfer in Krisengebieten. Zuletzt managte er eines der größten Flüchtlingslager in Jordanien.
In Wien gründete er eine eigene Firma, die sich mit innovativen Ideen in der Entwicklungshilfe beschäftigt. Er wurde von Innenministerin Mikl-Leitner beauftragt, die Regierung in Flüchtlingsfragen zu beraten.

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