Italien ist schneller als Österreich

Schule, Verwaltung, Wahlrecht: Matteo Renzi schafft in einem Jahr, worauf wir seit Jahrzehnten warten.

Sicher, Italien hat viele Probleme: Einen unterentwickelten Süden, extrem hohe Arbeitslosigkeit vor allem unter Jugendlichen und eine gefährlich hohe Staatsverschuldung. Dennoch können wir in mancher Hinsicht neidvoll nach Italien blicken. Unser südliches Nachbarland hängt uns bei Reformen ab, und zwar in einem atemberaubenden Tempo.

Schulreform

Während wir seit Jahrzehnten über eine Schulreform diskutieren, hat Premier Matteo Renzi seine "Buona Scuola" binnen zehn Monaten in Kraft gesetzt. Im September 2014 legte er das Projekt vor, dann wurde diskutiert, im Juli stimmte das Parlament zu, ab dem kommenden Schuljahr, in wenigen Wochen, gilt die Reform bereits.

Was Renzi in Italien umgesetzt hat, gilt in Österreich als Ketzerei: Die Lehrergehälter steigen nicht mehr automatisch in Dreijahres-Sprüngen, sondern werden auf ein Basiseinkommen und eine leistungsabhängige Prämie umgestellt. Alle Lehrer, außer jene, die drei Jahre vor der Pension stehen, werden in das neue System übergeführt.

Schuldirektoren werden von der Verwaltungsakademie ausgesucht, nicht mehr von regionalen (Polit-)Gremien. Die Direktoren werden Chefs, die Schulen weitgehend autonom. Es wird ein Lehrerregister mit persönlichem Qualifikationsprofil erstellt, die Lehrer müssen wie andere Arbeitnehmer mobil werden, denn jede Schule kann sich ihr Team aussuchen. Lehrer müssen sich weiterbilden und bekommen einen 500-Euro-Gutschein pro Jahr für den Besuch von Kulturevents.

Die "gläserne Schule" in Italien muss alljährlich ihr Schulprofil und ihr Budget publizieren, aus dem hervorgeht, wofür die Schule öffentliches und privates Geld ausgibt. Schulen sollen private Drittmittel nehmen dürfen, private Spenden für Schulen werden steuerbegünstigt. Jede Schule muss einen Selbstbewertungsbericht erstellen, der sich an einem vorgegebenen Referenzrahmen orientiert, und sie muss zumindest ein "Verbesserungsprojekt" pro Jahr nachweisen.

Lehrer, Administratoren und Direktoren sind aufgerufen, unnütze Bürokratie zu melden, der Staat verspricht, diese abzuschaffen. Motto: Mehr Vertrauen in die Lehrer, mehr Zeit der Lehrer für die Schüler.

Die Schulen müssen sich vernetzen – real, mit ihrer regionalen Umgebung, mit alten Menschen und Berufstätigen, mit Firmen und Kultureinrichtungen; sowie virtuell, indem "Breitband und WLan in jede Dorfschule" Einzug halten.

Italiens Lehrer dürfen nicht mehr nur Wissen pauken, sie müssen kritisches Denken, Begreifen, Problemlösen, Entscheidungsfindung, Kommunikation und Zusammenarbeit lehren.

Im Unterricht ausgebaut werden Musik, Kulturgeschichte, Design, Fremdsprachen ab 6 Jahre, Umwelterziehung, Computertechnik und Wirtschaftswissen.

In lediglich einem Punkt ist Österreich voraus. In Italien werden – je nach Schultyp und Altersstufe – 200 bis 400 betriebliche Praxisstunden pro Jahr eingeführt – ein Element der dualen Ausbildung, das wir bereits haben.

Verwaltungsreform

Im April 2014 hat Renzi eine Verwaltungsebene, die Provinzen, de facto aufgelöst. Deren Kompetenzen wurden auf andere Ebenen übertragen und zu Verwaltungszentren in größeren Städten zusammengefasst. Von den 109 Provinzen sind 107 abgeschafft, nur das Trentino und Südtirol sind wegen der Autonomie ausgenommen.

Diese Woche passierte ein weiterer Teil der Verwaltungsreform das italienische Parlament. Ähnlich wie bei Lehrern werden Beamte künftig mehr nach Leistung und weniger nach Altersvorrückungen bezahlt. Beamte in Führungspositionen können entlassen werden, falls ihre Ämter wegrationalisiert werden. Die Kontrolle der Beamten– etwa deren Krankenstände – wird verschärft.

Bei Großprojekten werden die Entscheidungsfristen verkürzt.

Die Zahl von 8000 öffentlichen Gesellschaften soll stark sinken.

Außerdem führt Italien die Informationsfreiheit und ein "Recht auf Online-Information" ein. Der Zugriff auf öffentliche Daten wird damit erleichtert. Ob diese Verwaltungsreform Italiens ineffizienten Staatsapparat tatsächlich beschleunigt und bürgernahe macht, bleibt abzuwarten. In den vergangenen Jahren wurden mehrere Verwaltungsreformen durchgeführt, hatten aber nicht die gewünschte Wirkung erzielt.

Doch es wurde zumindest probiert– während bei uns diese Reformvorhaben ständig verschoben, abgesagt oder schubladisiert werden.

Wahlrecht

Italien hat im Mai überdies ein interessantes Modell eines Mehrheitswahlrechts eingeführt. Das Modell sieht – ähnlich unserer Bundespräsidentenwahl – einen zweiten Wahlgang vor, wenn im ersten Wahlgang keine Partei die erforderliche Mehrheit von 40 Prozent erreicht.

Erster Wahlgang: Die stärkste Partei bekommt einen Mehrheitszuschlag, damit sie ohne Koalition regieren kann.

Falls keine Partei mehr als 40 Prozent der Stimmen erhält, gibt es im ersten Wahlgang keinen Mehrheitszuschlag. In diesem Fall findet ein zweiter Wahlgang statt. Bei diesem können die Italiener in einer Stichwahl zwischen den beiden stärksten Parteien entscheiden, von welcher Partei sie regiert werden wollen.

Renzi

Matteo Renzi (40) ist seit Februar 2014 Chef einer linken italienischen Regierung, die sich jedoch auch auf Berlusconi stützt. Renzi hat als Motto „jeden Monat eine Reform“ ausgegeben und trotz Protest aus Gewerkschaft und Partei haarige Großprojekte durchs Parlament gebracht.

Faymann

Werner Faymann (55) ist seit Dezember 2008 Bundeskanzler. Im Schulbereich ist so gut wie nichts passiert, für 17. November wird eine Reform versprochen. Eine große Verwaltungsreform ist ausständig, eine Reform der Demokratie oder des Föderalismus ist nicht in Sicht.

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