"Bei den Lehrern geht es rein um Machtpolitik"

Buchautor Andreas Salcher: „Ich habe das Gefühl, dass viele Lehrer schon das Wort Reform nur als Bedrohung wahrnehmen“
Experte Salcher erklärt, warum alle von einem Systemwechsel profitieren würden.

KURIER: Eltern wünschen sich ein Bildungssystem, das Beruf und Familie ermöglicht und in dem die Kinder gefordert und gefördert werden. Ist das zu viel verlangt?

Andreas Salcher: Es wäre unrealistisch, von der Schule zu fordern, Kinder glücklich zu machen. Aber das System sollte zumindest verhindern, dass sie unglücklich werden. Ein gutes Schulsystem soll Freude am Lernen erzeugen und den Aufbau sozialer Beziehungen ermöglichen. An diesen Aufgaben scheitert unsere Schule derzeit.

Wie können Lehrer in immer stärker gemischten Schulklassen erfolgreich unterrichten?

Das ist die Hauptfrage. Die Klassen sind nirgendwo mehr homogen. In den Klassen fadisiert sich ein Drittel wegen Unterforderung, ein Drittel ist überfordert und steht gewaltig unter Druck – und ein Drittel schwimmt mit. Deswegen braucht es eine umfassende Individualisierung des Unterrichts.

Und geht es darum auch in der Bildungsreform, die in zwei Wochen präsentiert werden soll?

Es geht jedenfalls um die Frage: Schaffen wir einen Systemwechsel oder nur ein Papier mit Überschriften?

Von dem, was bisher bekannt ist: Wird das die Revolution?

Das kann ich noch nicht sagen. Besonders umstritten, wenn auch pädagogisch völlig irrelevant, ist die Frage ob es nur mehr Landes- oder Bundeslehrer geben soll. Ich denke, dass die Lehrer wie im bevölkerungsmäßig größeren Bayern durchaus zentral verwaltet werden können. Das ist aber keine Fahnenfrage für mich. Ein Lehrer wird mit dem Wechsel des Dienstgebers kein besserer Lehrer. Da geht es rein um Machtpolitik.Welche Macht soll das sein? Rot gegen Schwarz, der historische Kulturkampf verläuft über die Schule. Weil über die Schule gewinne ich Einfluss auf die Gesellschaft und damit auf das Wahlergebnis. Jetzt stellt sich heraus, dass das nicht mehr funktioniert, wenn man sich die Wahlergebnisse anschaut. Ist die Politik im Schulsystem heute dennoch präsent?Bei den Lehrern sind 90 Prozent parteipolitisch organisiert, auch wenn es weniger werden. Heute geht es um etwas anderes: Wer die Macht über die Lehrer hat, wer zum Beispiel entscheidet, wer an welcher Schule Lehrer wird, hat die Macht über das Schulsystem. Und wenn einige Länder heute sagen: ,Naja, der Bund kann doch eh die Ziele vorgeben‘, dann ist das ein Witz. Wie wenn es bei einer Zeitung zwei Chefredakteure gibt, wo der eine das Redaktionsstatut formulieren darf, der andere aber die Redakteure aussucht. Da ist schnell klar, wer der Stärkere ist.

Der Bund sagt, er muss für alles zahlen, weiß aber nicht, wie viele Lehrer unterrichten oder in der Verwaltung arbeiten. Genau das ist ja die Planwirtschaft in unserem Schulsystem. Hier kann nach Belieben gefälscht und Zahlen manipuliert werden wie damals zwischen der Kolchose und der Zentralbehörde.

Also der Bund sollte künftig zumindest kontrollieren können?Wenn es einmal einheitliche Bildungsdirektionen gibt, und die einzelne Schule die Macht hat, dann wird auch das Controlling klappen. Und die Qualitätskontrolle von Direktor, Lehrern und Schülern geht dann über die Bildungsstandards. So ist das international üblich. Wir dürfen derzeit noch immer nicht wissen, welche Leistung die einzelnen Schulen erbringen. Das ist ja absurd. Es braucht volle Transparenz der Bildungsdaten. Dann können die nicht so guten von den guten Schule lernen, wie es besser gehen kann.

Also eine totale Transparenz? So kann man den schwachen Schulen helfen, die Qualität zu verbessern.

Wer soll denn sein Kind in eine Schule geben, die zu den Schlusslichtern gehört?

Die schlechten Schulen gibt’s ja schon, die haben auch das entsprechende Image. Eltern, die ihre Kinder dort hinschicken, sind ja meist nicht bei der Bildungsschicht und nehmen Bildung auch nicht wichtig. Nur durch Transparenz kann sich das ändern. Wenn eine Schule schlechte Leistungen erbringt, dann sollen die Eltern die Kinder dort auch nicht hinschicken. Sonst ändert sich ja nichts.

Das scheitert oft schon an der Schulsprengel-Bindung.

Das ist ja der Schutz, diesen positiven Wettbewerb der Schulen zu verhindern.

Der Ausbau der Schulautonomie kommt, wäre das schon für Sie eine erfolgreiche Reform?

Nein, nur ein bissl mehr Autonomie geht sicher nicht. Es muss eine Personalautonomie geben, jeder Chef muss sich seine Mitarbeiter aussuchen können. Wir wollen die Schulen an den Ergebnissen messen können, nicht an der Farbe des Parteibuchs. Wenn die Bundesregierung glaubt, sie kommt mit ein paar Überschriften und ein bisschen Autonomie durch, dann soll sie es gleich lassen.

Sie kritisieren auch, dass bei uns die Frühkind-Pädagogik vernachlässigt wird.

Es muss eine Umschichtung der Mittel hin zu den Kindergärten und Volksschulen geben, keine andere Maßnahme hätte ähnlich positive Wirkungen. Auch wenn das heißt, dass man woanders Geld wegnehmen muss.

Braucht es mehr Geld?

95 Prozent der Pflichtschullehrer gingen in den vergangenen fünf Jahren entweder in die Hacklerpension oder Berufsunfähigkeitspension. Das hat den Staat zwei Milliarden Euro gekostet. Gleichzeitig wurde die Sprachförderung in den Kindergärten von 30 auf 90 Millionen Euro erhöht. Wir sollten zwei Milliarden in die Sprachförderung von Kindern investieren, und maximal 30 Millionen in krankheitsbedingte Frühpensionen. Es ist genügend Geld da, nur wird es für die falschen Dinge verbrannt.

Und wo hapert es beim Ausbau der Ganztagsschulen?

Ganztagsschulen sind mit diesem Lehrerdienstrecht nicht machbar, da würden sich die Kosten verdoppeln. So können wir das vergessen.

Es hängt also auch davon ab, wie die Lehrer die Reform sehen?

Ich habe das Gefühl, dass viele Lehrer schon das Wort Reform nur als Bedrohung wahrnehmen. Sie merken dabei gar nicht, wie sehr sie unter dem bestehenden System leiden. Burn-out, Frühpensionierung, das zeigt ja, das etwas nicht stimmt. Freude und Enthusiasmus von jungen Lehrern, die Eigenmotivation, werden in kürzester Zeit abgetötet. Ich will, dass Lehrer für sich selber wieder freudvoller in den Klassen arbeiten können. Dazu braucht es moderne Arbeitsplätze, Aufstiegschancen und Wertschätzung.

Der Countdown läuft, die Zeit läuft den Verhandlern langsam davon: Am 17. November, also am Dienstag in zwei Wochen, will Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek die Ergebnisse der seit März laufenden Verhandlungen zur Bildungsreform präsentieren. Versprochen wurde eine Revolution im Bildungssystem mit umfangreichen Kompetenzen an jedem Schulstandort und schlanken, effektiven Strukturen, die teure Doppel- und Mehrgleisigkeiten im System eliminieren sollen.

Seit dieser Woche ist bekannt, dass die Ergebnisse der Reformkommission als "Punktation", also als eine Auflistung der wichtigsten Punkte, präsentiert werden sollen.

Es geht um zwei Teile: Um den pädagogischen Teil, die Schulreform, und um die Schulverwaltungsreform. Beim pädagogischen Teil herrscht dem Vernehmen nach Konsens zwischen SPÖ, ÖVP beziehungsweise Bund- und Ländervertretern. Dabei geht es um die Schulautonomie, die die einzelnen Schulstandorte massiv aufwerten soll und den Direktoren deutlich mehr Möglichkeiten geben soll. Echte personelle Autonomie – das Anheuern und Kündigen von Lehrern – wird es dem Vernehmen nach aber nicht geben.

Bei der Schulverwaltung konzentriert sich die Frage vor allem darauf, welche Kompetenzen Gemeinden, Bund und Ländern haben sollen. Darum hatte es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten immer wieder heftige Streitereien gegeben. Auch die Hoffnung, dass der Bund künftig von den Gemeinden die Kindergärten ins Bildungssystem übernehmen kann, um für gleiche Regeln und Öffnungszeiten zu sorgen, dürfte sich nicht erfüllen. Derzeit stehen die Verhandlungen auf der Kippe.

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