Der Kanzler und die Schraubstöcke

„Der Schalter ist o.k., Herr Bundeskanzler“: Konzernboss Christian Kern und SPÖ-Chef Werner Faymann lassen sich von ÖBB-Lehrlingen die Feinheiten des FI-Schalters erklären.
Werner Faymann holte sich Ezzes von Österreichs größtem Lehrlingsausbildner, den ÖBB.

Zuweilen darf sich ein Regierungschef auch für die kleinen Dinge im Leben interessieren. Und weil dem so ist, starrt Werner Faymann jetzt auf eine grüne Linie, die auf einem winzigen Bildschirm zittert. "Wir machen eine Gleichrichter-Schaltung. Die braucht man zum Beispiel in Ladegeräten von Handys", erklärt der Lehrling.

Der Kanzler schaut ihm über die Schulter. ÖBB-Generaldirektor Christian Kern steht daneben, und gemeinsam beobachten sie, wie der angehende ÖBB-Techniker mit Kondensatoren hantiert und am Messgerät dreht. Als die Linie auf flachem Niveau vibriert, hat er sie, seine "saubere Gleichschaltung". Der Lehrling ist zufrieden, das Publikum auch. Kurzer Applaus, ein Händedruck vom Kanzler – schon geht es weiter in den nächsten Raum. Werner Faymann ist unterwegs bei den Menschen.

An der Peripherie

Die Bundesbahnen haben den SPÖ-Chef zum Besuch in die Floridsdorfer Lehrwerkstatt geladen. Der Ausflug an die Peripherie ist aktuell, denn das wichtigste Thema für die Kanzlerpartei ist – immer noch – die Situation am Arbeitsmarkt.

Die Konjunktur will nicht anziehen, wegen der Russland-Krise müssen die Sozialpartner bald über neue Kurzarbeit-Modelle verhandeln.

Arbeitslosigkeit verhindern, heißt also die Priorität. Und gerade was Jugendliche angeht, können die ÖBB wertvolle Tipps geben – immerhin ist man bei technischen Jobs der größte Ausbildner im Lande.

"Wir haben rund 1800 Lehrlinge, 321 davon in Floridsdorf", sagt Günter Hell.

Der Diplompädagoge ist zuständig für die Ausbildung der angehenden ÖBBler. Es sind "seine" bzw. "unsere Lehrlinge". Hell mag die Jungen, das merkt man schnell, wenn man ihm zwischen den Tischen mit den Schraubstöcken zuhört.

Die Zahl der Ausbildungsplätze verrät freilich wenig über die Qualität der Schulungen. "Wir gehen mit unseren Lehrlingen ins Theater, lassen sie an Geschichte-Projekten teilnehmen, kurzum: Wir versuchen ihnen mehr als nur eine Berufsausbildung zu bieten", sagt Hell.

Der Erfolg scheint ihm recht zu geben. 98 Prozent schaffen den Lehrabschluss beim ersten Mal; sechs von zehn gelingt ein ausgezeichneter Erfolg.

Pensionierungen

Die Bahn tut gut daran, sich frühzeitig um neue Mitarbeiter zu kümmern. "2019, 2020 steht eine Pensionierungswelle bevor", sagt ÖBB-Boss Kern. "Wenn wir nicht vorbauen, fehlen uns später die qualifizierten Mitarbeiter."

Und dann kommt er auf die 40 Jugendlichen zu sprechen, denen die Bahn de facto eine zweite Chance gibt. Bewerber mit besonderen Handicaps (kein oder nur Sonderschulabschluss, zerrüttetes Elternhaus, etc.) werden als vollwertige Lehrlinge ausgebildet. "Wir wählen im Jahr aus 100 Kandidaten die zehn besten aus", sagt Kern.

"Da tut mir das Herz weh", sagt der Kanzler. "Warum nicht 20, 30 Jugendliche?" "Weil wir auch am Geld scheitern. Ein Ausbildungsplatz kostet 20.000 Euro im Jahr." Kurz unterhält man sich übers Geld. Über Förderungen, die Wirtschafts- und Sozialministerium noch locker machen sollten. Konjunktur und Lehrlinge: Das ist das eine spannende Themenfeld an diesem Tag. Eine andere, nicht minder interessante Frage lautet: Wie gehen sie eigentlich miteinander um, die beiden Herren?

Denn selbst wenn Kern und Faymann darüber so nie sprechen, wird in Wiener Zirkeln gerne spekuliert, ob und wann der ÖBB-Boss den SPÖ-Chef beerbt.

In Floridsdorf ist an diesem Vormittag nicht die leiseste Konkurrenz zu spüren, im Gegenteil: Man parliert angeregt und heiter, tauscht Nettigkeiten aus. Zum Abschluss halten die beiden vor versammelter Mannschaft eine Rede, die Rollen-Aufteilung ist klar: Hier der Top-Manager, dort der Kanzler. Zwei Sozialdemokraten machen ihren Job. Sie ziehen das durch. Hoch professionell und bis zur Verabschiedung in der Maschinenhalle.

ÖBB-Lehrlinge: Fakten

Ausbildung Die ÖBB sind Österreichs größter Ausbildungsbetrieb für technische Berufe. In elf Lehrwerkstätten werden 1800 Lehrlinge ausgebildet, die 22 Lehrberufe gehen vor allem in die technische Richtung (Elektro, Metall, Maschinenbau, Eisenbahntechnik, etc.).

Frauenquote Die Bundesbahnen peilen bei den Lehrlingen eine 20-prozentige Frauenquote an. Derzeit sind 16 Prozent der in Ausbildung stehenden ÖBBler weiblich, die Hälfte davon in technischen Berufsfeldern.

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