Diskrepanz zwischen Schein und Sein

Diskrepanz zwischen Schein und Sein
Analyse. Die ÖVP predigt Sparen seit jeher als Tugend. Doch die Budgetzahlen sehen oft anders aus. Aktuell stampft die ÖVP gerade die groß angekündigte Reform der Förderungen ein.

Diesmal hat die Regierung die Öffentlichkeit nicht angeschwindelt. Kanzler Werner Faymann sagte schon vor der Nationalratswahl, dass Österreich – anders als von der EU-Kommission gewünscht – das strukturelle Nulldefizit erst 2016 umsetzen will. Auch Michael Spindelegger nannte, seit er Finanzminister ist, keine andere Jahreszahl. Er machte sogar in seiner Budgetrede am 29. April im Nationalrat darauf aufmerksam, dass er mit einer Rüge durch die EU rechne.

Warum verschweigt er dann seinen Briefwechsel mit der EU-Kommission?

"Weil es für einen ÖVP-Finanzminister peinlich ist, wenn er die Schuldenbremse nicht einhält", lautet eine Erklärung in Koalitionskreisen.

Tatsächlich herrscht bei der ÖVP eine gewisse Diskrepanz zwischen Schein und Sein in der Budgetpolitik. Fiskalpakt und Schuldenbremse, von der ÖVP stets mit großer Verve vertreten, sehen vor, dass Österreich 2015 ein strukturelles Nulldefizit haben sollte. "Die EU-Kommission legt Wert darauf, dass wir die Regeln einhalten", sagt Fiskalrats-Chef Bernhard Felderer (siehe rechts). Die Regeln bedeuten in diesem Fall, nicht mehr als 0,5 % des BIP Defizit zu machen (siehe Infokasten). Diese 0,5 % strukturelles Defizit sollen in jährlichen Einsparungsschritten von je einem halben Prozent des BIP erreicht werden. Hingegen hat Michael Spindelegger von 2013 auf 2014 eine Einsparung von lediglich einem Zehntelprozent des BIP vorgelegt, was die kritischen Bemerkungen von EU-Kommission und Eurogruppe auslöste. Von 2014 auf 2015 hat Spindelegger erneut nur ein Zehntelprozent Einsparung geplant – dafür kann er bei der Revision durch die EU gleich mit der nächsten Rüge rechnen.

Jan Krainer fragte nach

SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer sprach Spindelegger am vergangenen Freitag im Budgetausschuss des Nationalrats auf dessen Briefwechsel mit der EU-Kommission an. Krainer wollte die Regierung vor dem Vorwurf bewahren, sie würde dem Parlament etwas verschweigen. "Wenn ich den Brief auf der Homepage des Finanzministeriums entdecke, war es nur eine Frage der Zeit, bis ihn jemand anderer auch findet", sagt Krainer (der Brief war in der englischen Version der Homepage versteckt).

Abgesehen von der intransparenten Vorgangsweise geht es in der Causa um die Budgetzahlen. Spindelegger kündigte in dem Brief – aber auch bei anderen Gelegenheiten – eine zusätzliche Konsolidierung um bis zu einer Milliarde im Jahr 2014 an. Wie der KURIER gestern aus dem Finanzministerium erfuhr, will Spindelegger im kommenden Juli "strenge Beichtstuhlgespräche" führen, um den Ministern weitere 350 Millionen Euro Einsparungen abzuverlangen.

Außerdem will Spindelegger laut einem Ministeriumssprecher das faktische Pensionsantrittsalter bei den Eisenbahnern stärker anheben. Verklausuliert steht dies auch in dem ominösen Brief (höheres faktisches Pensionsantrittsalter in Firmen mit Staatsbeteiligung).

Auf SPÖ-Wunsch wird ein Gesetz gemacht, wonach sich selbst anzeigende Steuersünder nicht mehr gänzlich von Strafen befreit werden.

Ein Krach zwischen SPÖ und ÖVP bahnt sich bei den Förderungen an. Im Sparpaket 2012 (damals im Amt: Vizekanzler Spindelegger, Finanzministerin Fekter, Wirtschaftsminister Mitterlehner) wurden massive Einsparungen im überbordenden Förderwesen beschlossen. Doch die ÖVP sagt die "Förderpyramide" kurzerhand einfach ab. "Wir werden das sicher nicht sang- und klanglos hinnehmen", heißt es grollend in der SPÖ.

Auf ein „strukturelles Nulldefizit“ bereits 2015 drängt nicht nur die EU, sondern auch der Vorsitzende des österreichischen Fiskalrates, Bernhard Felderer. Schafft Österreich die um Einmaleffekte und Konjunkturschwankungen bereinigte Null unterm Budgetstrich erst 2016, drohen laut Felderer Sanktionen.
Auch wenn andere Staaten wie etwa Frankreich dieses Ziel erst 2018 erreichen werden: „Man muss abwarten, was mit Frankreich passiert. Aber bei den kleinen Staaten wird die Kommission strikt vorgehen.“ Und sollten viele der Euro-Staaten ihre Budgetziele nicht erreichen, „haben wir wieder ein Riesenproblem in der EU“. Die niedrigen Zinsen, zu denen sich auch die Sorgenkinder wie Griechenland oder Portugal auf dem Kapitalmarkt finanzieren können, seien nur zum Teil auf Konsolidierungserfolge zurückzuführen. Die Zinsen seien unter anderem deswegen dramatisch gefallen, weil die Kapitalflucht aus Russland, Brasilien und Argentinien enorm zugenommen habe: „Dieses Geld sucht Anlagemöglichkeiten.“

Reformen

Zur Einhaltung des Budgetpfades fordert Felderer einen strikten Sparkurs, denn bisher sei die Budgetkonsolidierung hauptsächlich über höhere Einnahmen erfolgt. Felderer: „Wir habe in guten Zeiten kaum gespart.“ Die Regierung müsse rasch weitere Strukturreformen umsetzen, etwa Doppelgleisigkeiten zwischen Bund und Ländern beseitigen. Dafür sei allerdings ein neuer Finanzausgleich mit den Ländern nötig. Denn „der Kampf Bund gegen Länder geht in der österreichischen Realverfassung immer für die Länder aus.“

Eine Steuerreform, „die ihren Namen verdient“, müsste laut Felderer rund 6 Milliarden Euro ausmachen und vor allem Löhne und Einkommen entlasten. Drastisch einsparen dagegen könnte man bei den Förderungen, die fast 16 Milliarden Euro pro Jahr ausmachen. Auch hier seien die Länder gefordert: „Die Förderstrukturen auf Länderebene sind teilweise haarsträubend, Sie würden nicht glauben, was da alles gefördert wird.“ Ein kleiner Teil könnte über höhere Grundsteuern finanziert werden.

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