Rathkolb: "Zivilcourage muss man suchen"

In Österreich wird "jede Innovation als politische Bedrohung der herrschenden Elite empfunden", beklagt Rathkolb
Der Zeithistoriker warnt vor dem Wunsch nach dem "starken Mann" und autoritären Strukturen.

Der bekannte Zeithistoriker Oliver Rathkolb hält mit seinem Werk "Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2015" dem Land einen Spiegel vor. Spannend beschreibt der Universitätsprofessor politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte: Eine Periode, die Erfolge und negative Erscheinungen aufweist. Österreich tut sich schwer mit Reformen, es gibt einen starken Drang nach autoritären Strukturen und "die Korruption ist schlimmer geworden".

KURIER: Herr Professor, ist der Skandal um die Hypo Alpe Adria der negative Höhepunkt?

Oliver Rathkolb: Wir hatten schon in den 1950er- und 60er-Jahre Korruption, dann in den 1980er-Jahre den Korruptionsfall AKH bis hin zu Neutralitätsverletzungen durch Waffenexporte der verstaatlichten Industrie. Im Rahmen der Transformation Südosteuropas in den 1990er- Jahren ist es zu wahnsinnigen Geschäften gekommen, wie der Landeshaftung Kärntens für die Hypo. Man bräuchte eine Legion von Prüfern, um die systemimmanente Korruption in derartigen wirtschaftlichen Umbruchzeiten in den Griff zu bekommen.

Was ist die Ursache für korruptives Verhalten?

Die hemmungslose Sucht nach extremen Gewinnen ist ein Phänomen, das zeigt, dass sich der Turbokapitalismus unglaublich entwickelt. Das Gewinnstreben schaltet normale Geschäftsusancen, den gesunden Menschenverstand und wirtschaftliche Ethik scheinbar aus.

Welche Herausforderungen sehen Sie für Österreich?

Für die Zukunft gibt es einige ganz große Bereiche, wo die Zeit beginnt, davonzulaufen. Das sind der Bildungsbereich, mehr Chancengleichheit, Europa und die Gefahr des Autoritarismus.

Was müsste in Schulen und Universitäten passieren? Es gelingt nicht, politische Mehrheiten für Bildungsreformen zustande zu bringen. Die Initiative von Hannes Androsch, das Bildungsvolksbegehren, ist gescheitert. An den Universitäten ist die soziale Durchlässigkeit extrem schlecht geworden, das zeigt sich bei Studentinnen und Studenten mit Migrationshintergrund. Man braucht eine breite Reform, sonst taumeln wir in eine große, nachhaltige Krise. Vor dem Hintergrund der Globalisierung werden sich nur jene Gesellschaften durchsetzen können, die von einem sehr hohen und breiten Bildungsniveau ausgehen.

Ist Österreich schon in Europa angekommen?

Der EU-Beitritt war das letzte große politische Projekt der Zweiten Republik. Aber die Österreicher müssen sich noch besser in der EU zurechtfinden. Die Zukunft Österreichs liegt in Europa.

Warum tun sich Österreicher so schwer mit der EU?

Das hängt mit der Erfolgsgeschichte der Zweiten Republik und unserer Identitätskonstruktion zusammen. Wir haben den Kalten Krieg zu unserem Vorteil ausgenützt. Wir sind die Brücke zwischen Ost und West geworden, Wien ist ein Amtssitz der Vereinten Nationen, und es gab ganz niedrige Wehrbudgets, weil wir die Illusion hatten, die NATO würde uns verteidigen. Es gab einen Schulterschluss der Großen Koalition, die Neutralität zum Kristallisationspunkt der österreichischen Identität zu machen. Ab 1989 begann die Angst, dass die Mehrheitsgesellschaft durch Migrationsschübe marginalisiert wird, das verstärkt sich seither. In den 1990er-Jahren veränderten sich die Lebensentwürfe. Umso leichter wurde es für Rechtspopulisten und nationalistische Debatten.

Worauf führen Sie die Reformresistenz Österreichs zurück?

Es ist eine Form von Autoritätsgläubigkeit. Man kritisiert den Staat und die Parteien. Zivilcourage muss man aber suchen. Es gibt ein unglaubliches Potenzial, das sich aber nicht artikuliert, öffentlich Druck auf die Politik zu machen. Jetzt in der Krise kommt der Autoritarismus wieder voll zurück. Das ist ein Mega-Problem. Der Wunsch nach dem starken Mann ist viel stärker geworden.

Zeigen Österreichs Politiker zu wenig Leadership, dass das Bedürfnis nach dem starken Mann so groß ist?

Das hängt mit den autoritären Strukturen der Monarchie zusammen. Jede Innovation wurde als politische Bedrohung der herrschenden Eliten empfunden. Auch das ist ein Paradoxon und hat sich bis heute fortgesetzt. Es fehlt die Begeisterung für das Neue.

Ist der starke Föderalismus ein Hemmschuh für Erneuerung?

Die Landeshauptleute sind heute stärker als vor zehn Jahren. Was paradox ist, weil sie realpolitisch an Einfluss verloren haben, die symbolische Macht ist aber gestiegen. Landeshauptleute bespielen das mit finanzpolitischen Trapezakten. Die Föderalismus-Reform wird eine Utopie bleiben. Das ist schade für die Regionen, denn im EU-Verbund gäbe es für sie neue Möglichkeit. Eine Europa der Regionen wäre ein Ziel.

Sie sind Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates für ein Haus der Geschichte. Gibt es für das Projekt das Geld und den politischen Konsens?

Ich bin optimistisch. Im Juni oder Juli wird eine erste adaptierte Machbarkeitsstudie vorliegen. Ziel ist es, die Geschichte Österreichs neu zu drehen, die Außenperspektive stärker einzubeziehen und zu zeigen, dass wir Teil eines größeren europäischen Kultur- und Politiksystems sind. Der Beirat liefert die notwendigen Informationen zur konkreten Umsetzung in der Neuen Burg und am Heldenplatz, der Ball liegt dann bei der Politik, aber die Signale sind positiv. Alle sind sich bewusst, dass wir in einer Zeit, wo unsere Identität in Diskussion ist, einen Ort brauchen, wo es den reflexiven und tiefsinnigen Blick für die Vergangenheit und die Zukunft gibt.

Info

Rathkolb: "Zivilcourage muss man suchen"
Buchcover Die Paradoxe Republik_Oliver Rathkolb
Rathkolb, Oliver: Die paradoxe Republik, Zsolnay-Verlag, Wien 2015, 30,80 €.

Das Buch ist spannend, leicht lesbar, absolut informativ.

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