Ganztagsschule: "Haben keine Hausaufgaben"

Ganztagsschule: "Haben keine Hausaufgaben"
Eine Schule in Wien wurde bereits 1974 umgestellt – und heute sind alle zufrieden.

In der Ecke steht ein Tablett mit Mohnweckerln. In der Mitte sitzt die Lehrerin und erzählt den Viertklässlern über Hitler, den Reichsparteitag und den Faschismus. Die 13-Jährigen hören zu, zeigen auf. Klar: Die Direktorin, ein Fotograf und ein Reporter sind im Klassenzimmer. Vorführeffekt. Aber das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern sei in der Mittelschule in der Roterdstraße im Wiener 16. Bezirk tatsächlich besonders, sagt Christine Zeiler, die Direktorin. Seit 1974 bietet die Schule Ganztagesbetreuung an, als eine der ersten in Wien.

Damals waren externe Erzieher für die Betreuung zwischen den Schulstunden zuständig; das übernehmen seit den 80er-Jahren die Lehrer. „Davon haben alle was“, sagt Franz Koschier-Friedl, Lerndesigner und stellvertretender Direktor. „Ein besseres Verhältnis zueinander. Wir sind hier nicht im Wunderland, aber die disziplinären Probleme sind viel kleiner als an anderen Schulen.“

Geplant

Die Politik streitet, wie und wie schnell die Ganztagsbetreuung ausgebaut wird – die Roterdstraße ist ein Modell für die verschränkte Version, in der die Schüler am Nachmittag nicht bloß beaufsichtigt werden. Unterricht, Lern- und Freizeitangebote wechseln sich im Laufe des Tages ab. So erklärt sich das gute Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern, das Koschier-Friedl hervorhebt. „Wir müssen auf die Schüler eingehen und vorausplanen. Wir können nicht am Vormittag Stoff durchboxen und das Lernen nach Hause delegieren. Denn wir haben dann die Schüler übermüdet und überfordert in der Lernstunde am Nachmittag immer noch da.“

Die Direktorin sagt: „Lehrer müssen hier Multitalente sein – Erzieher und Freunde. Wir essen auch gemeinsam.“ Sie warnt: „Sinnvolle Modelle kosten Geld. Man braucht eine Küche und Freiflächen. Und man muss ein attraktives Angebot haben.“ In der Roterdstraße werden unter anderem Tanz-, Volleyball-, Informatik- und Sprachkurse geboten. Der Tagesablauf wirkt entspannt: Während in der Küche das Essen vorbereitet wird, sitzen andere gerade in der Klasse. Eine Gruppe spielt Fußball auf dem Hartplatz – ihr Lehrer und Trainer Thomas Hofer passt auf.

Gemeinsam

Er findet es gut, dass in der Roterdstraße eine ganze Lehrer-Gruppe einen Jahrgang von der ersten bis zur vierten Klasse begleitet – so wie ein Klassenvorstand seine Klasse im regulären Modell. Die Beziehung zum Schüler sei besser, man erkenne Probleme früher. Ein Jahrgang wird von acht bis zehn Lehrern geleitet, „mindestens eine Stunde pro Woche tauschen wir uns aus und planen die nächste Zeit.“ Einige Meter weiter sitzt Zehra auf der Schaukel, sie verbringt ihre freie Zeit gerade mit Freundinnen. Auch sie sieht Vorteile im Ganztagsmodell: „Wir haben keine Hausaufgaben, das ist super.“

Die Schule in der Roterdstraße ist eine Wiener Mittelschule, eine Sonderform der Mittelschule. Die Schüler können mit dem Abschluss die AHS-Berechtigung erwerben. Sie sind regulär bis 16.20 Uhr in der Schule. In Schulen der Stadt kostet diese Betreuung bis zu 10,13 Euro pro Tag – inklusive Essen. Die Beiträge sind sozial gestaffelt: Familien mit weniger als 1000 Euro Einkommen im Monat zahlen nichts.

Gefahren

Koschier-Friedl sagt: „Die öffentliche Hand muss die Finanzierung im Auge behalten. Sonst wird das erst recht sozial selektiv.“ Nicht die einzige Gefahr, sagt Direktorin Zeiler: „Das Modell verleitet einige Eltern auch dazu, die Erziehung komplett an die Schule zu delegieren. Das kommt nicht häufig vor, aber es nimmt zu.

Die ÖVP hat sich bewegt, aber in zentralen Fragen ist sich Regierung noch uneins SPÖ und ÖVP sind sich noch nicht einig, wie der Ausbau der Ganztagsschule aussehen soll. Fix ist nur, dass ausgebaut werden soll. Die SPÖ will das sowieso längst; die ÖVP ist jüngst auf die Linie eingeschwenkt: Man könne darüber reden, wenn SPÖ-Bildungsministerin Schmied ein mit den Ländern akkordiertes Konzept vorlegt. Derzeit gibt es 119.000 Plätze – 17,5 Prozent der Sechs- bis 14-Jährigen haben einen.

Dazu kommen 50.000 Hortplätze, somit sind gut 25 Prozent dieser Altersgruppe in einem Nachmittagsbetreuungsangebot. Aber der Bedarf läge laut Umfragen bei 350.000 Plätzen. Beschlossen ist, dass bis 2014 jährlich 80 Millionen Euro in den Ausbau fließen, so sollen es 160.000 Plätze werden. Die SPÖ will das Tempo erhöhen, bis 2018 jeweils 160 Millionen jährlich investieren und so auf 200.000 Plätze kommen. Rechnet man die Horte ein, so hätten 37 Prozent der Pflichtschüler einen Platz. Die Knackpunkte: Die SPÖ will verschränkte Angebote (abwechselnd Unterricht und Betreuung); die ÖVP will am Nachmittag nur Betreuung, den Unterricht am Vormittag unverändert lassen.

Offen ist auch die Einbindung der Lehrer in die Standort-Entscheidungen: Tirols Landeshauptmann Platter (ÖVP) plädierte in der ORF-Pressestunde gestern dafür, das Land entscheiden zu lassen, wenn sich Lehrer und Eltern nicht einigen. Um den Ausbau zu finanzieren, will die SPÖ die Erbschaftssteuer wieder einführen; die ÖVP setzt auf Privatisierungen.

Kommentare