Vranitzky: Der Boulevard hat zu viel zu reden

Ex-Kanzler Vranitzky: Spitzenpolitiker müssen sich heute mit Themen abplagen, die diese Aufmerksamkeit nicht verdienen
Ex-Politiker wie Franz Vranitzky suchen Wege, wie die Kluft zwischen Politik und Bürgern kleiner wird.

Als Franz Vranitzky Bundeskanzler war, da stellte er sich recht oft die Frage: Wie werden die Medien diese Idee kommentieren? Werden wir vorgeführt und zerrissen? Oder gibt es allenfalls Beifall?

Der Umgang mit der veröffentlichten Meinung gehörte immer schon zu den größten Herausforderungen, denen sich Spitzenpolitiker zu stellen hatten. In einem ist sich der frühere Partei- und Regierungschef aber sicher: Die Angst vor dem Boulevard war damals bedeutend kleiner.

"Heute ist die Boulevardlastigkeit der Politik viel, viel größer geworden. Das kann man allein daran erkennen, wie häufig sich Spitzenpolitiker mit Themen abplagen müssen, die diese Aufmerksamkeit nicht verdienen. Da muss man schon fragen: Was bewegt denn eigentlich die Bevölkerung?", kritisiert Vranitzky in einem nun erschienenen Buch von Thomas Hofer.

Identitätskrise

Unter dem Titel "Dagegen sein ist nicht genug" hat Politik-Analyst Hofer insgesamt 15 Autoren versammelt, um sich mit der Identitätskrise der institutionalisierten Politik auseinanderzusetzen. Vranitzkys Beitrag gehört dabei zweifelsohne zu den spannendsten.

Wie kann die Kluft zwischen Politik und Bevölkerung verkleinert werden? Wie gelingt es, dass kompetente Menschen trotz des teils miserablen Images der Spitzenpolitik für diese noch gewonnen werden können?

Das sind die Fragen, mit denen sich Politiker wie Reinhold Mitterlehner, Rudolf Hundstorfer und Sebastian Kurz, aber auch frühere Amtsinhaber beschäftigen.

Susanne Riess, Ex-Vizekanzlerin und seit bald zehn Jahren Versicherungsmanagerin, erklärt, wie man den Job Politiker wieder zu einer attraktiven Karriere-Option machen könnte. Irmgard Griess erörtert ganz grundsätzlich die Frage nach der politischen Verantwortung.

Und Marie Ringler, die zwei Legislaturperioden für die Grünen im Wiener Landtag gesessen ist, beschreibt in einem ausnehmend persönlichen Beitrag, wie dramatisch schwer ihr damals als 24-Jährige der Einstieg in die Parteipolitik fiel: "Ich stellte erstaunt fest, dass Titel auf Türschildern zu einer Sache von Leben und Tod wurden. Eine Sache, für die man Banden wie am Schulhof gründete, um sich mit den anderen in der Pause zu prügeln."

Zu den amüsantesten Beiträgen gehört zweifelsohne Matthias Strolz’ "Do-it-yourself-Bauanleitung" zur Gründung einer Partei. Darin erzählt der Parteichef der Neos, dass die Bewegung in der Gründungsphase einen Studenten als Strohmann brauchte, um nicht frühzeitig aufzufliegen. Er verrät, dass für die Neos auch Namen wie "phönix" oder "NEU" im Gespräch waren – und warum die Parteifarbe am Ende nicht Violett (schon von den Piraten besetzt) oder Petrol (zu düster und depressiv), sondern Pink wurde. Die Entscheidung lief so: Pink? Schon heftig! Aber was soll’s?

Buchtipp Dagegen sein ist nicht genug, Thomas Hofer (Herausgeber), Kremayr & Scheriau, 223 Seiten, 22 Euro.

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