"Schelling ist absolut ein Gewinn für die Politik"

Landeshauptmann und Landesparteivorsitzender Steiermark Franz Voves im Interview. Wien, 07.10.2014
Franz Voves im Interview. Bei der Landtagswahl 2015 tritt er zum dritten Mal als SPÖ-Spitzenkandidat an.

Die Entscheidung vor zehn Tagen wurde weit über die Steiermark mit Spannung erwartet: Der steirische Landeshauptmann, Franz Voves, tritt noch einmal als SPÖ-Spitzenkandidat bei der Landtagswahl 2015 an. Die Reformpartnerschaft mit ÖVP-Chef Hermann Schützenhöfer, die harte Einsparmaßnahmen durchsetzte, gilt als Vorzeigemodell für ganz Österreich. Im großen KURIER-Interview erklärt er, wie das funktionieren konnte, nimmt die Regierung in Wien ins Visier, lobt aber den Neustart der ÖVP mit Mitterlehner und Schelling.

KURIER: Herr Voves, Sie werden bei der Wahl im Herbst 2015 noch einmal als SPÖ-Spitzenkandidat ins Rennen gehen. 38 Prozent wie bei der letzten Wahl wird es wohl nicht mehr geben. Wegen der schmerzhaften Reformen drohen markante Verluste für Rot und Schwarz. Warum tun Sie sich die Abstrafung durch den Wähler an?

Franz Voves: Weil es meinem Charakter entspricht, für die vielen Veränderungen, die unsere Reformpartnerschaft ausgelöst hat, die Verantwortung zu übernehmen, indem ich mich dem Wählervotum stelle. Aber es war natürlich auch berührend, wenn man nach 12 Jahren als Parteivorsitzender bei einer geheimen Wahl mit hundert Prozent bestätigt wird.

Warum haben Sie sich für die Entscheidung, ob Sie wieder antreten, so lange Zeit gelassen?

Das war ein innerer Kampf. Im Sommer habe ich mir mehrmals die Frage gestellt: Will ich das wirklich nochmals? Kurz nach der Wahl werde ich 63 Jahre alt. Da überlegt man sich schon, habe ich die Kraft und vor allem die Leidenschaft, mich nochmals in die Wahlschlacht zu werfen. Denn nur der Partei zuliebe wäre zu wenig Motivation. Aber es war unglaublich, wie oft ich im Sommer von Menschen aus ganz Österreich angesprochen wurde – den Weg, den Hermann Schützenhofer und ich eingeschlagen haben, auch weiterzugehen. Bei solchen Begegnungen fühlt man sich sehr geehrt, wird aber auch nachdenklich.

"Schelling ist absolut ein Gewinn für die Politik"
Landeshauptmann und Landesparteivorsitzender Steiermark Franz Voves im Interview. Wien, 07.10.2014

Sie springen ohne Netz. Denn Hermann Schützenhofer, der nun vier Jahre mit Ihnen gemeinsam regierte, hat sich noch nicht entschieden?

Das ist eine sehr persönliche Entscheidung und Hermann Schützenhofer ist noch nicht so weit. Vielleicht auch deswegen, weil in der steirischen ÖVP auch Andere Ambitionen haben, seine Funktion künftig einzunehmen (Anm. d. Red.: z.B. der Grazer Bürgermeister Nagl).

Rot und Schwarz haben sich noch im Wahlkampf 2010 bis aufs Messer bekriegt. Wer machte nach der Wahl den ersten Schritt zur Versöhnung?

Finanzminister Hans Jörg Schelling hat uns diese Woche die gleiche Frage gestellt. Wir haben es gemeinsam geschafft, einen großen Schlussstrich unter fünf Jahre Streit zu ziehen. Nachdem Hermann und ich uns neu gefunden haben, wurde das gesamte Ritual verändert. Es gab keine wöchentlichen Pressekonferenzen mehr. Und ganz wichtig: Wir sind mit Reformen erst an die Öffentlichkeit getreten, nachdem wir hinter dem Vorhang ordentlich gestritten hatten, aber letztlich den Kompromiss gut kommuniziert haben. Also ganz anders als es bis dato in der Bundesregierung läuft. Denn hier regiert leider noch immer das Prinzip, dass man sich wichtige Haltungen über die Medien mitteilt. So kommt man nicht zu den richtigen, notwendigen Entscheidungen.

Warum dieser radikale Kurswechsel?

Wir hatten fünf Jahre lang einen erbitterten Kampf geführt. Aber letztendlich waren wir bei der Wahl beide Verlierer. Hätten wir diesen Stil so weiter fortgeführt, hätten wir die Steiermark an die Wand gefahren. Die SPÖ und die FPÖ hatten nach der letzten Wahl eine Mehrheit von einem Mandat. Ich habe zwar mit der FPÖ Gespräche geführt, aber sie war nie eine echte Option. Beim Gespräch mit Hermann Schützenhofer habe ich ihm auf den Kopf zugesagt: "Hermann, hör zu, übernehmen wir doch einfach Verantwortung für unser Land. Oder willst so weitermachen?" Darauf antwortete Schützenhofer etwas überrascht: "Heißt das, du willst nochmals mit uns koalieren, obwohl du mit der FPÖ eine Mehrheit hättest?" Meine Antwort war klar: "Ja, wenn wir in der Lage sind, einen ganz dicken Schlussstrich zu ziehen. Niemand zieht den anderen mehr über den Tisch – und wir sind als echte Partner unterwegs." Dann gab es einen Handschlag zwischen uns. Ab diesem Moment hat es unglaublich toll funktioniert. Die Wege zu unseren Kompromissen waren oft harte Arbeit. Aber die "Chemie" zwischen uns hat bis heute gestimmt.

Bei der Nationalratswahl 2013 war die FPÖ in der Steiermark bereits Nummer 1. In allen Umfragen zur steirischen Landtagswahl sind Rot und Schwarz klar vorne. Was machen Sie besser als die Koalition in Wien?

Weil einfach die "Chemie" bei den Führenden stimmt! Vielleicht ist es ein glücklicher Zufall, dass wir beide aus sehr einfachen Verhältnissen kommen. Ich bin ein Arbeitersohn aus der Puch-Siedlung in Graz. Der Vater vom Hermann war auch Arbeiter, gelebt hat die Familie in einem Pfarrhof. Zwei Männer, die ähnliche Herkunft und ähnlichen Hintergrund haben, die Handschlag leben und denen es gelungen ist, auch das ganze Team mitzunehmen. Inzwischen sind wir eine eingeschworene Truppe. Sie müssen sich vorstellen, das gab es noch nie, dass die SPÖ und die ÖVP Steiermark gemeinsame Klubsitzungen in den Räumen der ÖVP abgehalten haben. Das war einmalig, einzigartig und unglaublich wichtig für die Steiermark.

Was war in den vier Jahren das für beide Partner schwierigste Reform-Projekt?

Sehr sensibel war die Gemeindereform. Das war unheimlich viel Arbeit. Hermann Schützenhofer und ich haben Hunderte Gespräche geführt – von Drüberfahren kann da nicht die Rede sein. Der beste Beweis dafür, dass es ein hochdemokratischer Prozess war: Von 387 involvierten Gemeinden gab es in 308 Gemeinden freiwillige Gemeinderatsbeschlüsse für eine Fusionierung. Die Steiermark war von allen Bundesländern das Kleinstrukturierte. Wir haben jetzt noch 100 Gemeinden unter 500 Einwohner und 200 Gemeinden unter 1000 Einwohner. Hermann Schützenhöfer hatte einen wesentlich höheren Anteil an dieser Arbeit zu leisten.

Wie wollen Sie bei so viel Harmonie einen Wahlkampf führen? Gibt es vielleicht ein gemeinsames Plakat "Lasst Voves und Schützenhofer arbeiten?"

(lacht) Ich habe schon gesagt, ich werde keinen Wahlkampf gegen die ÖVP führen. Es wird ein kurzer und billiger Wahlkampf. 2010 haben wir noch viel versprochen, obwohl wir wussten, dass es nicht finanzierbar ist. Das war ein Fehler! Jetzt haben wir wieder finanzielle Handlungsspielräume geschaffen und SPÖ und ÖVP können einen "Wahlkampf der besseren Ideen" für 2015 bis 2020 führen.

Wie groß ist der Spielraum, wenn noch immer fünf Milliarden Euro Schulden da sind?

Wir haben durch sehr restriktiven Budgetvollzug in den letzten Jahren so 400 bis 500 Millionen Euro bei einem Budget von fünf Milliarden geschaffen für künftige Investitionen. Deswegen können SPÖ und ÖVP sehr wohl einen sehr unterschiedlichen Wahlkampf führen.

Trotz der Reformen war die FPÖ bei den letzten Nationalratswahlen Nummer 1 in der Steiermark. Wie sehr schmerzt das?

Die Wähler unterscheiden genau zwischen Bundes- und Landeswahlen. Das war keine Watschen für die steirischen Reformer. Sie hatten nur einen geringen Anteil an diesem Wahlergebnis. Die bundesweite Grundstimmung vor allem in den steirischen Industriezonen ist vielmehr so: "Die zwei Großparteien in Wien tun nichts mehr für uns." Deswegen habe ich schon vor einigen Jahren eine Entlastung des Faktors Arbeit über eine Steuerreform verlangt.

Finanzminister Hans-Jörg Schelling war diese Woche bei Ihnen in der Steiermark. Welche Tipps haben Sie ihm auf den Weg gegeben?

Mit Schelling und Mitterlehner kann die ÖVP wirklich einen Neustart zuwege bringen. Meine persönliche Ansicht hat sich nach dem Gespräch bestätigt. Schelling analysiert jetzt genau, erarbeitet klare Konzepte und wird dann zu allen Beteiligten sagen: "So machen wir das jetzt. Macht ihr mit? Und wenn ein Nein kommt, wird Schelling antworten: "Ihr macht nicht mit? Dann machen wir es trotzdem." Ich bin überzeugt, dass es so kommen wird, und ich habe ihn dazu auch motiviert.

Schelling ist ein Gewinn für die Regierung?

Schelling ist absolut ein Gewinn für die Regierung. Jeder, der nicht materiell abhängig von der Politik ist, ist ein Gewinn, ist eine Chance für richtige, wichtige sachbezogene Politik.

Braucht auch die SPÖ mehr Schellings?

Da sind wir bei der grundsätzlichen Frage, wie gelingt es uns die Qualität in der Politik wieder zu stärken. Wenn wir uns darauf reduzieren, dass die Abgeordneten und Minister nur mehr aus zwei Berufsgruppen kommen, dann ist das nicht gesund. Wir haben am 15. November einen Reformparteitag in der Steiermark und werden die Öffnung der steirischen SPÖ beschließen. Neben der Stammorganisation wird es auch eine Zielgruppenorganisation geben, wo wir ganz gezielt Menschen einladen werden, ihr Wissen aus unterschiedlichen Fachgebieten sowie ihre Leidenschaft der Politik zur Verfügung zu stellen. Und wir wollen auch Parteilosen, die mit unseren Grundwerten übereinstimmen, Mandate im Landtag bzw. Gemeinderat geben.

Wie viele Mandate wollen Sie für Parteilose in der SPÖ freischaufeln?

Wenn man 23 Mandate im Landtag hat, dann kann es drei bis vier Mandate durchaus für Parteilose geben. Dazu gibt es schon einstimmige Beschlüsse vom Landesparteivorstand und wir werden das bei den Landtagswahlen schon so umsetzen. Wir wollen viele einladen – wie seinerzeit Bruno Kreisky – ein Stück des Weges mit der steirischen Sozialdemokratie zu gehen.

Sie waren einer der Ersten, der die Reichensteuer gefordert hat. Glauben Sie, werden Sie mit der Umsetzung der Reichensteuer schon in den Wahlkampf ziehen können?

Ich glaube, dass die Regierung schon bis zum Sommer Klarheit geschaffen hat, wie sie die Gegenfinanzierung von fünf bis sechs Milliarden für die Lohnsteuersenkung aufstellen will. Ich habe Steuerrecht studiert und war 13 Jahre Finanzvorstand in einem Unternehmen. Ich kenne die sieben Einkunftsarten sehr gut und weiß, wie z. B. Konzerne steuerschonend agieren können. Man soll mir einmal erklären, warum die CDU/CSU in Deutschland die Erbschaftssteuer wieder eingeführt hat – und bei uns ist die ÖVP dagegen. Was hat Erben mit der Leistung jener zu tun, die erben? Was sind das für Signale? Ich habe nie von Reichensteuer gesprochen, sondern ich meinte immer vermögensbezogene Steuern. Ich brauche nicht den Rückenwind einer Reichensteuer, sondern den Rückenwind einer starken Regierung.

Wie werden Sie die Kasernenschließungen im Wahlkampf verkaufen?

Die Schließung der beiden steirischen Kasernen war schon seit 2005 beschlossen. Daher ist es für uns keine große Überraschung. Aber es geht um einen ganz anderen Punkt: Welchen Beitrag ist Österreich überhaupt noch imstande zu leisten, wenn es eine europäische Aktion im Sinne von Landesverteidigung geben müsste. Von sehr hohen Offizieren weiß ich, dass wir nicht einmal in der Lage sind, eine Brigade über alle Waffengattungen zur Verfügung zu stellen. Dann soll sich die Bundesregierung schon gut überlegen, welche Wertschätzung das in der Staatengemeinschaft auf Zeit bedeutet.

Wie hält man sich als 61-Jähriger fit für einen Wahlkampf? Sie haben deutlich abgenommen ...

Die Diät habe ich mir zum 60. Geburtstag geschenkt. Mit der Dukan-Diät (Anmerk. d. Red.: Diät mit 4 Phasen und Eiweiß-Schwerpunkt) habe ich 15 Kilo abgenommen. Meine Frau hat extra für mich nach diesem Prinzip gekocht. Das war auch notwendig, weil ich aus meiner Zeit als Eishockey-Spieler mit den Bandscheiben Probleme habe. Mittlerweile praktiziere ich dieses Ernährungsprinzip schon automatisch und denke gar nicht mehr daran. Erst ab diesem Zeitpunkt hat man die Ernährungsumstellung geschafft. Aber nicht nur deswegen fühle ich mich fit für den Wahlkampf 2015.

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