Ein Jahr Neos: "Da gab es auch Fettfassln"

Die Neos durchlebten drei Phasen: Nach der Nationalsratswahl war die Welt sehr pink, danach wurde sie immer blasser.
Matthias Strolz ist nicht nur in Vorarlberg vom Traumziel mitzuregieren weit entfernt.

Vor einem Jahr war die Welt der Neos so pink – viel knalliger ging es eigentlich schon gar nicht mehr. Mit fünf Prozent schaffte die liberale Bürgerbewegung überraschend den Sprung ins Parlament.

Fast exakt ein Jahr nach dem historischen Wahltriumph ist Matthias Strolz für einige Tage abgetaucht. Hinter den Klostermauern im Waldviertler Pernegg versucht der quirlige Parteichef bei kargen Fastenspeisen wie Gemüsesuppe, den Ballast von ein Jahr Bundespolitik abschütteln, Ruhe zu finden und seine Geduld zu trainieren. "Es ist eine gute Möglichkeit, von der Politik abzuschalten, die einem oft ganz aufsaugt."

Gemüsesuppe und Obstsaft? Ein pinkes Erfolgsjahr feiert man anders. Der Alltag der Neos ist karger geworden und trägt blassrosa Schattierungen. Auch Neos-Abgeordneter Sepp Schellhorn gibt zu: "Bei den Wahlkämpfen traten wir nicht in Fettnäpfchen, sondern da gab es auch das eine oder andere Fettfassl." Von Fettnäpfchen will Strolz nichts wissen. Aber selbstkritisch räumt er ein: "Vielleicht hätten wir den anfänglichen Hype offensiver dämpfen sollen. Das Baumumarmen und die Yoga-Figuren sind nun vorbei."

Ein Jahr und drei Phasen

Die "Fettfassln" sind noch in bester Erinnerung: Als EU-Spitzenkandidatin Angelika Mlinar in der ORF-Pressestunde über die Privatisierung von Wasser sinnierte, blieb Parteichef Strolz nichts anderes übrig, als persönlich auszurücken und die Positionen zu relativieren. Aber es ging noch "fetter": Bei der letzten Elefanten-Runde im ORF sollte Mlinar einer fiktiven Mindestpensionistin erklären, was dieser die EU bringt. Da rutschte der NEOS-Frontfrau ein "Scheiße, das ist echt schwierig" heraus. Der verpatzte Wahlkampf brachte den Neos bei der EU-Wahl nur magere 7,9 Prozent. "Die Neos durchliefen im letzten Jahr drei Phasen. Phase eins war die Euphorie. Dann wurden die Neos von den Umfragen in den Himmel geschrieben. Das war fast schon gefährlich. Nun sind sie in Phase drei, wo sie die Mühen der Ebene kennenlernen", analysiert Politologe Peter Filzmaier.

Auch im Vorarlberg-Wahlkampf agierte die Spitzenkandidatin Sabine Scheffknecht glücklos, als sie das Aus der Wohnbauförderung forderte. Aus den angepeilten acht Prozent wurde nichts – es reichte nur für 6,9 Prozent. Manch ein Pinker liebäugelte auch mit einer Regierungsbeteiligung im Heimatland von Matthias Strolz – das haben jetzt die Grünen erreicht. "Wir waren maßgeblich am Aufbrechen der absoluten Mehrheit der ÖVP beteiligt. Aber beim Abstauben und Toreschießen sind die Grünen eben noch besser als wir", sagt Strolz. Dieses Defizit könnte ihm zum Verhängnis werden. "Die Neos-Wähler erwarten sich bald eine Regierungsbeiteiligung. Das Fernziel 2018 ist zu weit weg", warnt Filzmaier.

Keine rote Fahne

Auch wenn das Jahr eins in der Bundespolitik ein wenig ernüchternd war, von einer Bruchlandung will kein Neos-Politiker etwas wissen. "Ich würde das Abschneiden in Vorarlberg durchaus befriedigend einstufen. Und das Problem, dass auch die besten KandidatInnen eine politische Schulung brauchen, wurde erkannt", meint Big Spender Hans Peter Haselsteiner. Die Ex-Neos-Wahlkampfmanagerin und Markenstrategin Grace Pardy ist vom Erfolgsweg der Neos überzeugt: "Ich schaue mir die Wählerstromanalysen sehr genau an und kann keine rote Fahne erkennen. Bei weniger als acht Prozent von einer Wahlniederlage zu sprechen, ist überheblich."

Eine, die über die moderaten Wahlergebnisse nicht unglücklich ist, ist Neos-Abgeordnete Beate Meinl-Reisinger, die früher ÖVP-Mitglied war. Sie wird als Spitzenkandidatin in die Wiener Wahlschlacht geschickt. Als Ziel peilen die Neos das Ergebnis der Vorarlberg-Wahl an. "Die Erwartungen der letzten Monate waren viel zu überhöht. Aber ich fürchte mich nicht vor der Zukunft. Denn eine schwierigere Situation als vor einem Jahr kann es für die Partei nicht geben. Unsere Welt ist nach wie vor pink."

Zu wenig intellektuell

Aber es existieren nicht nur glückliche Neos. Einer, der nach exakt 180 Tagen das Handtuch warf, ist der Ex-Neos-Landessprecher in Vorarlberger Chris Alge. "Ich wurde von Matthias Strolz aktiv angesprochen, in die Politik zu kommen und tat das mit großem Idealismus. Damals lagen wir bei den Umfragen im Ländle bei 14 Prozent und der Drive war sensationell. Aber schon bald musste ich erkennen, dass hier Menschen ans Ruder kommen, die intellektuell in der Politik nichts verloren haben. Ich verstand nicht, warum Matthias nach dem Fehler mit Angelika Mlinar den Fehler wiederholt", rechnet der Dissident ab.

Apropos Wiederholungsfehler: Hier warnt Politologe Filzmaier vor dem falschen Themen-Setting. "Die Neos müssen aufpassen, nicht zur Unternehmerpartei zu werden. Dieses Wählerpotenzial ist zu klein. Sie müssen auch die Privatangestellten mitnehmen. Aber mit Themen wie bis zu 1500 Euro Studiengebühren und Senkung der Lohn-Nebenkosten wird man das nicht schaffen", mahnt Filzmaier.

Strolz kontert: "Die Österreicher müssen sich entscheiden, ob sie eine Partei wollen, die sie einlullt, oder eine, die die Wahrheit sagt."

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