"Der Papst gibt uns eine Steilvorlage"

Kirchenaustritte um 20 Prozent gestiegen: „Was würde Jesus tun?“
Der neue Salzburger Erzbischof Lackner über Kirchenaustritte, mangelnde Glaubwürdigkeit und den Pflicht-Zölibat.

KURIER: Herr Erzbischof, ein Rollenspiel. Ich komme als frustrierte Katholikin zu Ihnen und sage: „Ich trete aus der Kirche aus, mich interessiert das nicht mehr.“ Was antworten Sie?

Erzbischof Franz Lackner: Ich überlege: Was würde Jesus tun? Er würde wahrscheinlich sagen: „Gut. Was darf ich noch für dich tun?“

Sie würden nicht versuchen, mich umzustimmen?
Wenn das ein Mensch aus freien Stücken entschieden hat, muss man ihn ernst nehmen. Ich kann nicht auf jemanden einwirken, wie einer, der etwas verkaufen möchte. Kirche ist das nicht. Ich bin als Erzbischof berufen worden und sehe es wie der Heilige Franziskus, der vor seinem Tod gesagt hat: „Ich habe das Meine getan.“

2013 ist die Zahl der Kirchenaustritte in der Erzdiözese Salzburg um 20 Prozent gestiegen. Weit mehr als im Bundesdurchschnitt (4,8 Prozent, Anm.) Was ist da schiefgelaufen?
Es wäre nach so kurzer Zeit im Amt nicht angemessen, eine Einschätzung zu machen. Jedenfalls tut es mir um jeden leid, der die Kirche verlässt. Grundsätzlich denke ich, dass die Gesellschaft nie ganz auf den christlichen Glauben verzichten können wird. Aber offensichtlich gelingt es uns nicht, die frohe Botschaft an den Mann, die Frau, zu bringen.

Was ist Ihre Strategie, um die Austrittswelle zu stoppen?
Ich nehme mir konkret Sprechtage mit jenen vor, die mir etwas zu sagen haben. Außerdem werden wir in der Diözese an die Ursachenforschung gehen und uns selbst an die Brust klopfen müssen. Die Frage ist: Wo ist unser Leben nicht so glaubwürdig, wie es sein sollte?

Christen wenden sich ab, weil die Kirche unglaubwürdig ist?
Der Glaubensgrund ist letztlich nicht unsere Glaubwürdigkeit, es ist die Begegnung mit Jesus Christus. Nur weil wir gut dastehen, sagen die Leute auch nicht, die Kirche ist eine super Institution. Wir müssen zeigen, die Kirche ist eine Gemeinschaft, die uns verbindet.

Zum Beten braucht man eigentlich keinen Pfarrer.
Das hat sich individualisiert. Wobei ich schon Bedenken habe, ob die Fülle des Glaubens die einzelne Festplatte nicht überfordert?

Warum gehen immer weniger Leute in die Kirche? In der Großelterngeneration wäre das vielerorts ein Affront gewesen.
In meiner Heimat in der Oststeiermark hat es eine Familie gegeben, die am Sonntag nicht in die Kirche gegangen ist. Die haben sich was getraut. Der Glaube war früher eine Absicherung, ein Anker, im Leben. Da hat man dafür gebetet, dass die Ernte gut ist und das Haus nicht abbrennt. Heute gibt es Versicherungen. Den Menschen gelingt es, über weite Strecken ohne Gott auszukommen.

Sie haben eine Elektrikerlehre gemacht, waren UN-Soldat auf Zypern – haben das „echte Leben“ gesehen. Verschafft Ihnen das einen Vorsprung in puncto Glaubwürdigkeit?
Ich war bis ins 22. Lebensjahr kirchenfern, mein Leben war auf Freunde und das Wirtshaus reduziert. Ich habe aber gemeint, da muss mehr drin sein. Die Kirche hat mir das gegeben. Eine gewisse Lebenserfahrung ist sicher wichtig. Wir als Priester müssen bezeugen können, dass der Glaube eine Investition ist, die einem im Leben hilft. Wir müssen auf die Menschen zugehen und ihnen diesen Mehrwert einer Glaubensgemeinschaft zeigen.

Hat die Kirche das in der Vergangenheit zu wenig getan?
Ich vergleiche nicht, was vorher besser oder schlechter war. Im Himmel gibt es keinen Komparativ. Jede Zeit hat ihre Anforderungen. Jetzt bin ich da und jetzt müssen wir die Kirche im dritten Jahrtausend leben.

Wird sich die Kirche unter dem neuen Papst Franziskus öffnen?
Er hat uns eine Steilvorlage gegeben, und jetzt müssen wir rennen. Franziskus hat bei einem Kongress gesagt: „Mir ist eine Kirche hundert Mal lieber, die Beulen hat, als eine Kirche, die sich nur mit sich selbst beschäftigt.“

Der Papst gibt sich bescheiden, zugänglich. Es macht den Eindruck, als hätte die Ära des Pomp und Prunk ein Ende.
Mit Franziskus wird ein Schub Bergpredigt kommen. Er macht das auf seine Art, die nicht immer einfach ist. Dieses Zeremonielle hat ja eine Geschichte und einen Sinn. Schauen Sie sich die Mode an – warum setzt jemand seine Kappe verkehrt au? Wem es gefällt, der soll seine Freude damit haben.

Eine Frage der Prinzipien ist auch: Wie stehen Sie zur Freistellung des Zölibats?
Ich persönlich habe sehr viel investiert in den Zölibat, mir ist er wichtig geworden und ich bin dankbar für die Herausforderung. Aber ich würde sicher nicht demonstrieren gehen, wenn er eines Tages nicht mehr Pflicht wäre. Ich finde aber diese Individualisierungstendenz fragwürdig. Wir können diesen Bruch nicht leichtfertig machen. Man diskutiert anlassbezogen, sieht es nicht im Ganzen – mit seinen positiven Seiten. Das stört mich an dieser Diskussion.

Zur Person

Franz Lackner, geboren am 14. Juli 1956, ist in St. Anna am Aigen in der Oststeiermark in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Nach der Lehre als Elektriker und dem Präsenzdienst war er 1978/’79 als UN-Soldat auf Zypern. Dort sei er von einem Priester zum Glauben inspiriert worden. Seine Matura holte er daraufhin am Aufbaugymnasium in Horn nach – und trat 1984 in den Franziskanerorden ein. 1991 wurde er zum Priester geweiht, 2002 zum Weihbischof der Diözese Graz-Seckau ernannt.

Der Ruf aus Rom kam, als im Herbst 2013 die Pensionierung des Salzburger Erzbischofs Alois Kothgasser bekannt geworden war. Das Domkapitel hat Lackner am 10. November aus einem Dreier-Vorschlag gewählt. Bei einer feierlichen Amtseinführung am Sonntag hat er den Hirtenstab von Kothgasser übernommen.

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