Das Budgetloch im Expertencheck

ÖVP-Chef Michael Spindelegger (l.) und SPÖ-Chef Werner Faymann.
Stephan Schulmeister und Christian Keuschnigg über Sparzwang, Pensionen und Deutschland als Vorbild.

KURIER: Die Regierung hat einen Sparbedarf von 24 Milliarden Euro inklusive der Bankenhilfe errechnet. Seither gibt es Streit zwischen SPÖ und ÖVP, ob man deshalb ein Sparpaket braucht oder nicht. Wer hat recht?

Christian Keuschnigg: Sparen ist auf jeden Fall angesagt. Eine ausgabenseitige Sanierung des Budgets ist dabei nachhaltiger. Ob das nun Reform- oder Sparpaket heißt, ist zweitrangig. Es gilt der Grundsatz: Je höher die Steuerquote ist, desto kostspieliger ist eine weitere Steuererhöhung, weil sie zunehmend Wachstum hemmt und in die Schwarzwirtschaft abdrängt.

Stephan Schulmeister: Es braucht jedenfalls Konsolidierungsmaßnahmen. Diese sollten aber die Konsumnachfrage möglichst wenig dämpfen, spürbare Einschnitte bei den Sozialausgaben wären daher kontraproduktiv. Die Entwicklung in Südeuropa, aber auch in Großbritannien zeigt die verheerenden Folgen einer solchen Sparpolitik: In all diesen Ländern ist die Staatsverschuldung dramatisch gestiegen. In Ländern, die stärker einnahmenseitig konsolidierten, haben sich die Staatsfinanzen besser entwickelt.

Das Hauptproblem liegt offenbar im Pensionssystem. Sollte man mit neuen Maßnahmen nicht lieber sofort kommen, statt zuzuwarten?

Das Budgetloch im Expertencheck
Keuschnigg: Auch hier gilt: Zuwarten ist sehr kostspielig. Man muss sofort Reformen angehen, damit ab 2020 eine größere Stabilisierung bewirkt werden kann. Aufgrund des Vertrauensschutzes dürfen Versprechen an ältere Arbeitnehmer aber nicht gebrochen werden. Neue Regeln können nur den Jüngeren zugemutet werden.

Schulmeister: Der einzig nachhaltige Weg, das Pensionssystem – und den Sozialstaat generell – zu sichern besteht darin, die Erwerbstätigkeit auszuweiten, also Arbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigung einzudämmen. Gelingt das nicht in ausreichendem Ausmaß, ist es noch immer besser, die Finanzierung auf eine breitere Basis zu stellen als an den Symptomen herumzudoktern. Ein Symptom ist das frühe Pensionsantrittsalter – gäbe es mehr Jobs, würden viele Menschen länger arbeiten – wie etwa zur Zeit der Vollbeschäftigung. Ein anderes Symptom sind die Finanzierungsprobleme, bei Vollbeschäftigung hätten wir keine.

Beim Pensionsantrittsalter liegt Österreich im Vergleich relativ schlecht. Wäre nicht eine Pensionsautomatik, wo man das Antrittsalter an die ständig steigende Lebenserwartung koppelt, ein gangbarer Weg?

Das Budgetloch im Expertencheck
APA15354054 - 29102013 - WIEN - ÖSTERREICH: Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister während der Podiumsdiskussion "Kleiner, besser oder anders? - Österreichische Bankenlandschaft vor einem radikalen Wandel?" am Dienstag, 29. Oktober 2013, in Wien. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER
Schulmeister:Nein, sondern nur, wenn das Antrittsalter auch an die gesamte Beschäftigungslage gekoppelt wird. Koppelt man es nur an die Lebenserwartung und geht das gesamte Volumen an Arbeitsstunden, das die Wirtschaft braucht, zurück, dann produziert man systematisch Jugendarbeitslosigkeit und einen weiteren Anstieg der prekären Beschäftigung (wie in den letzten Jahren). Beides wirkt wiederum dämpfend auf die Wirtschaft zurück.

Keuschnigg: Ich bin für diese Pensionsautomatik. Sonst erdrückt man die Menschen entweder unter der Beitrags- und Lohnsteuerlast oder produziert Altersarmut durch Absenkung der Leistungen. In Österreich müssen wir zwei Herausforderungen gleichzeitig bewältigen, nämlich die Versäumnisse der Vergangenheit aufholen und das Pensionssystem auf die kommende Alterung vorbereiten. Daher bin ich auch dafür, dass das gesetzliche Pensionsantrittsalter in kleinen Schritten angehoben wird, in vier Jahrzehnten in Richtung 70.

Sind Steuererhöhungen gerechtfertigt, damit die Regierung auch ein Offensivprogramm finanzieren kann?

Keuschnigg: Ich kann nur wiederholen: Die Steuerbelastung ist im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch und eine Hypothek für das Wachstum. Es muss das Kunststück gelingen, zu sparen und gleichzeitig in die Wachstumsmotoren Bildung und Forschung zu investieren, ohne die Steuerquote anzuheben.

Schulmeister: Man könnte die Krise überwinden, indem wir solche Aufgaben energisch angehen, die wir früher oder später sowieso erledigen müssen. Ein Beispiel: Bekämpfung des Klimawandels, etwa durch folgendes Großprojekt: Über einen Zeitraum von zehn Jahren soll der gesamte (Wohn-)Gebäudebestand Österreichs thermisch saniert werden. Das würde etwa 100.000 zusätzliche Jahresarbeitsplätze bringen. Ohne staatliche Förderungen – nicht nur in der Finanzierung, sondern auch beim Management des Großprojekts – ist das nicht zu schaffen, und dafür bräuchte es zusätzliche Beiträge der Vermögenden. Also: Eine Solidarabgabe auf Wertpapierdepots, eine einheitliche Vermögenssteuer oder die temporäre Erhöhung des Spitzensteuersatzes über 100.000 Euro.

Neben Wachstum, Steuern, Arbeitsmarkt wären aus Ihrer Sicht welche Reformen in welchen Bereichen notwendig?

Keuschnigg: Die Liste wäre lange. Entscheidend ist, dass der Staat mit den bestehenden Steuereinnahmen auskommt, aber davon mehr in die Bildung und Forschung lenkt. Bildung ist die wichtigste Investition, um gegen Armut und Arbeitslosigkeit vorzubeugen und den Anstieg der Sozialausgaben zu begrenzen. Forschung ist zentral, damit die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt und neben hohen Löhnen auch eine hohe Steuerbelastung tragen kann.

Schulmeister: Es gäbe noch viele andere Projekte, welche die ökonomische Effizienz und des sozialen Zusammenhalt stärken, man denke nur an eine Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund, an Investitionen ins Bildungssystem, an Verbesserungen der Infrastruktur, oder den Aufbau eines differenzierten Pflegesystems. Die 24-Stunden-Frauen aus der Ostslowakei sind das nicht.

Die Deutschen sagen: Keine neuen Steuern und keine neuen Schulden ab 2015. Was macht Berlin besser als Wien?

Schulmeister: Nichts. Deutschland betreibt seit Jahren eine Politik auf Kosten anderer Länder, insbesondere durch Reallohnsenkungen und ein Spardiktat, das Südeuropa in eine Depression trieb. Wenn sich die Krise vertieft und der Euro wankt, wird Deutschland dafür einen hohen Preis bezahlen müssen.

Keuschnigg: Deutschland hat nach wie vor eine wettbewerbsfähige und innovationsstarke Wirtschaft und kann jetzt die Früchte früherer Reformen ernten. Ich erinnere an die Arbeitsmarktflexibilisierung oder die Rente mit 67. Auch die Staatsschuld in Prozent des BIP sinkt. Das hat für Österreich durchaus Vorbildcharakter.

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