Asyl: Länder fühlen sich völlig "überfordert"

Camping-Zelte oder nur der freie Himmel: Noch immer Alltag im Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen
Aufnahmestopp in Traiskirchen verschärft Streit mit Ländern um Quartiere.

Eine junge Frau, die im Erstaufnahmelager Traiskirchen offenbar im Freien schlafen musste, hat in der Nacht auf Mittwoch einen Sohn zur Welt gebracht. Das Kind wurde knapp vor vier Uhr morgens in einem Rettungswagen geboren. Nach ersten Angaben sind Mutter und Sohn wohlauf, sie wurden ins Klinikum Mödling gebracht.

Aufnahmestopp

Nachrichten wie diese heizen die Debatte um Flüchtlingsquartiere an. Sie zeigen, wie sich die Situation rund um die Versorgung der Kriegsflüchtlinge verschärft hat. Seit Mittwoch gilt in Traiskirchen ein behördlich verfügter Aufnahmestopp. Derzeit sind dort rund 4500 Asylsuchende untergebracht.

34 Prozent der Asylbescheide positiv

Der Andrang ist ungebrochen hoch: Im ersten Halbjahr 2015 wurden fast so viele Asylentscheidungen getroffen wie im gesamten Vorjahr. Das Asyl-Bundesamt konnte bis Ende Juni 17.472 Asylentscheidungen fällen, im gesamten Vorjahr waren es 18.196. In 34 Prozent der Fälle wurde Asyl gewährt, vor allem für Menschen aus den Kriegsregionen Syrien, Irak und Afghanistan.

Den Landesregierungen macht die Quartiersuche für die täglich neu ankommenden Flüchtlinge schwer zu schaffen. "Das Tempo, mit dem die Asylfälle wachsen, überfordert uns", schlägt Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer im Gespräch mit dem KURIER Alarm.

Lösung auf EU-Ebene

Die Bundesregierung, so Pühringers Forderungen, müsse mit aller Kraft versuchen, auf europäischer Ebene eine faire Verteilung der Flüchtlinge zu erreichen. Und die EU müsse zudem viel mehr unternehmen, um das Schlepperwesen nach Europa zu unterbinden. "Ich war als Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz bei Kommissions-Präsident Juncker, er versteht unsere Probleme. Denn die EU soll sich nicht mit Ölkännchen beschäftigen, sondern die große Probleme lösen. Da geht es um nichts weniger als die Glaubwürdigkeit Europas bei den Bürgern."

Bund gegen Kärnten

Inzwischen droht der Streit zwischen Innenministerin Mikl-Leitner und Kärntens Landeschef Peter Kaiser weiter zu eskalieren. Kaiser kritisierte Mikl-Leitner scharf, weil sie entgegen einer Vereinbarung große Asylzwischenlager in Bundesbetreuung errichten ließ. Die Innenministerin wehrte sich am Mittwoch gegen die Kritik während eines Arbeitsbesuchs in Bayern (siehe rechts). Sie kritisiert die "Doppelbödigkeit" von Länderchefs wie Kaiser. Dieser habe es selbst in der Hand, Quartiere zu schaffen. Das Innenministerium werde für die Obdachlosigkeit der Asylwerber und die Zustände in den Unterkünften verantwortlich gemacht und "an den Pranger gestellt", sagt die VP-Politikerin.

Dass der Druck auf die Länder wächst, zeigt auch die Belegung eines Übergangsquartiers in Innsbruck. 160 Asylwerber hätten in der ehemaligen Tennishalle untergebracht werden sollen. Inzwischen sind es rund 300. "Das ist der Situation in Traiskirchen geschuldet. Es ist hier allemal besser, als auf einer Wiese zu schlafen", sagt Harald Bachmaier von den Tiroler Sozialen Diensten. Die Baupolizei gab trotz Überbelegung für die Unterkunft grünes Licht.

Taufkirchen, acht Kilometer südlich von München, knapp 17.700 Einwohner – und bald 300 Flüchtlinge: Ein paar ältere Damen stehen in der sengenden Mittagshitze neben dem Sportplatz unter einem Baum und plaudern. "Mei, der Moritz ist halt beleidigt, aber sonst ist das schon eine gute Sache", sagt Gisela Dohnal. "Der Moritz" ist Terriermischling – und "die gute Sache" ist eine Traglufthalle, die seit einer Woche in der bayerischen Gemeinde als Unterkunft für Asylwerber dient.

Beleidigt ist der Moritz, "weil die Halle auf seiner ehemaligen Spielwiese steht", erklärt Frau Dohnal mit einem Schmunzeln. "Spaß beiseite. Die Leute", also die Flüchtlinge, "müssen ja irgendwo unterkommen", befindet die Pensionistin. Ihre Freundin Brigitte aus Düsseldorf nickt.

Gab es keine Aufregung im Ort, als die Pläne bekannt geworden sind? "Nein", sagt eine andere Dame. Und Frau Dohnal ergänzt: Der Moritz ist "auch ein Zugereister, er stammt aus Ungarn". Also müsse er Verständnis haben, dass jetzt seine Wiese für "Zugereiste" verwendet wird.

Unaufgeregte Debatte

Um diese Unaufgeregtheit in Sachen Asyl beneidet Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) Deutschland. Bei ihrem Arbeitsbesuch am Mittwoch in Bayern schilderte sie ihrem Amtskollegen Joachim Herrmann, dass die Debatte in Österreich "emotionaler und unsachlicher geführt wird". Die Länder kämen in Deutschland auch ihren Verpflichtungen nach: "Wenn ein Bundesland zu wenig Quartiere hat, stellt es selber Zelte auf. Diese Ehrlichkeit würde ich mir in Österreich auch erwarten."

Den Ländern empfiehlt die Ministerin Traglufthallen wie jene in Taufkirchen. Daher waren auch Ländervertreter dabei. In Bayern soll es bald noch mehr solcher Hallen geben, in Berlin stehen schon zwei davon.

Die Übergangsunterkunft, die von außen wie ein überdimensionaler Polster wirkt und die Größe eines Fußballfeldes hat, ist im Gegensatz zu Zelten winterfest – und im Sommer kühlbar. Im Inneren wurden mit Spanplatten abgetrennte Schlafkojen mit Stockbetten geschaffen, die den Familien "ein bisschen Privatsphäre bieten", stellt Mikl-Leitner fest. Es sind auch Duschen und WCs vorhanden.

Auf einer Couch im großzügigen Aufenthaltsbereich sitzt gerade ein Vater mit seiner Tochter, daneben steht ein rotes Rutschauto. Beide wirken entspannt – und beäugen den Besucher-Tross gelassen. Sonst sieht man kaum Leute, erst 30 Flüchtlinge sind da, aber täglich kommen mehr: "Afghanen, Bosnier, Iraker, Somalier, Syrer ...", zählt ein Gemeindevertreter auf.

Gute Alternative

Mikl-Leitner sagt, die Hallen seien "eine gute Alternative zu festen Quartieren, weil sie eine humane Betreuung ermöglichen".

Das hat natürlich auch seinen Preis. 81.000 Euro sind an Kosten für 300 Flüchtlinge pro Monat zu berappen.

Die ÖVP-Politikerin kann derzeit keine derartigen Hallen aufstellen, weil ihr die rechtliche Handhabe fehlt. Aber bald wird sie ein Durchgriffsrecht haben. Im Herbst soll das entsprechende Verfassungsgesetz im Parlament beschlossen werden. Dann kann die Ministerin auf allen Bundesgrundstücken in ganz Österreich ohne Zustimmung von Landes- und Gemeindepolitik Quartiere errichten. Das will sie tun – "wenn auch nur im Notfall".

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