"Armen-Arzt": Von der "Schande", arm zu sein

Der Priester Ignaz Hochholzer hält frühmorgens die Messe und freut sich über den neuen Papst, der die Kirche zu den Armen bringen will
Als Armen-Arzt und Priester kennt Internist Ignaz Hochholzer Leid aus nächster Nähe.

Kurz vor sechs Uhr Früh hält er in der Klosterkirche die Morgenmesse; dann geht er ums Eck, in seine Ambulanz, und behandelt Patienten; und am Abend ist Ignaz Hochholzer dann mitunter auch im Stephansdom – als Seelsorger. Hochholzer leitet die Ambulanz im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien – eine „Armen-Station“, in der jedes Jahr Tausende Patienten behandelt werden, die nicht krankenversichert sind.

Der Internist ist geweihter Priester und darf dank Genehmigung von Kardinal Christoph Schönborn beide Jobs ausüben. Im KURIER-Gespräch erzählt er von der Gelassenheit der Obdachlosen, wie er mit dem Tod von Unschuldigen umgeht und was Weihnachten bedeutet.

"Armen-Arzt": Von der "Schande", arm zu sein
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KURIER: Herr Dr. Hochholzer, Hilfsorganisationen klagen, Arm und Reich würden in Österreich immer weiter auseinanderdriften. Stimmt der Befund?

Ignaz Hochholzer: Wir merken, dass jedes Jahr mehr Menschen zu uns kommen. Die Armut ist eine versteckte, Patienten kaschieren ihre Not, weil sie sich genieren. Wir machen keinen Unterschied zwischen versichert oder nicht-versichert – alle sitzen nebeneinander im Warteraum. Aber selbst bei denen mit Versicherung merkt man, dass sie finanziell mitunter kämpfen.

Wie merken Sie das?

Manchmal empfehle ich ein Medikament, das die Kasse nicht bezahlt. Da antworten Betroffene nicht selten: „Wenn ich es selbst bezahlen muss, dann kommt es leider nicht infrage.“

Laut Sozialversicherung sind 99,9 Prozent der Österreicher krankenversichert. Wie passt das mit den Tausenden Nicht-Versicherten zusammen, die bei Ihnen behandelt werden?

Zum einen suchen uns Nicht-Österreicher auf, die keine Versicherung haben. Und was die Österreicher angeht: Der soziale Abstieg passiert schnell. Wenn jemand den Job verliert und sich nicht beim AMS meldet, ist er schutzlos.

Aber es ist doch nur eine Formalität sich anzumelden.

Leicht gesagt. Kommen zum Jobverlust Trennung oder Depressionen hinzu, wird’s schwierig. Ich habe längere Zeit einen Staatsanwalt behandelt. Natürlich fragst du dich: Wie kann ein Mensch, der intellektuell so gut dasteht, so tief fallen? Aber im Leben ist vieles möglich. Es braucht nur eine schwere Kränkung – in diesem Fall eine Scheidung und die Frau hat die Kinder ferngehalten. Kommt dann noch der Alkohol dazu, verliert man einfach den Boden unter den Füßen.

Aber wir sind heute ohnehin gegen fast alles versichert?

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Sicher, aber das ist trügerisch. Die beste Versicherung im Leben sind gute Beziehungen, ein verlässlicher Partner, Kinder, Freunde. Wir sehen das bei den Hilfseinrichtungen. Es ist gut und wichtig, dass wir Pflege-Einrichtungen haben. Aber eine mobile Krankenschwester, die vorbeikommt und Insulin spritzt, ersetzt liebende Angehörige einfach nicht.

Die Beziehungspflege kommt in unserer Gesellschaft zu kurz?

Das Leid unserer Zeit ist die Vereinsamung. In der Ich-bezogenen Gesellschaft entstehen viele Beziehungen erst gar nicht, man bleibt vorsorglich allein, weil man nichts riskieren will. Nicht finanziell, nicht emotional.

Hadert der Mediziner Hochholzer manchmal mit dem Priester Hochholzer? Gibt’s Schicksale, die Sie zweifeln lassen?

Johannes Paul II. hat gesagt, das größte Geheimnis ist das Leid der Unschuldigen. Wenn Kinder sterben oder Menschen gehen, die dringend gebraucht werden, gibt es oft keine befriedigende Antwort. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Einer jener Polizisten, die kürzlich von einem Wilderer erschossen worden sind, war mein Cousin. Das war eine ideale Familie. Sie haben sich gut verstanden, hatten einen Bergbauernhof, den Tochter und Frau alleine nur schwer bewirtschaften können. Natürlich fragt man sich: Warum der Johann? Warum wird der aus dem Leben gerissen?

Und was antwortet der Priester Hochholzer?

Ich bin bescheiden genug zu sagen: Ich habe keine Antwort. Auch Jesus hat das Leid auf sich genommen. Aber das Geheimnis bleibt ein Geheimnis.

Lernen sie von Patienten?

Ständig! Da gibt’s Sandler, die stinken erbärmlich, haben offene Füße und wissen in der Früh noch nicht, wo sie am Abend schlafen. Trotzdem lachen sie viel, sind fröhlich. Die machen sich oft weniger Sorgen als wir.

Weil sie längst abgeschlossen haben mit ihrem Leben?

Nicht unbedingt. Der Punkt ist ein anderer: Manche leben gern auf der Straße, sie haben sich dafür entschieden. Natürlich sind sie nicht überglücklich, aber: Es ist ihr freier Wille so zu leben. Und die Gelassenheit, die damit einhergeht, die könnten wir uns durchaus von ihnen abschauen. Wie geht’s Ihnen eigentlich mit dem aktuellen Papst?

Bestens, für mich ist er eine große Freude. Franz von Assisi, nach dem sich Franziskus benannt hat, steht für viele wichtige Dinge. Für das Ur-Vertrauen in Gott, für die Nähe zur Natur. Der Franz hat sich zum Sterben auf die Erde gelegt und den Tod als „Bruder Tod“ begrüßt. Für mich gilt das auch in der Medizin: Natürlich tut man alles, um den Tod zu vermeiden. Aber wenn es so weit ist, muss man ihn annehmen können.

Was ist für Sie die Weihnachtsbotschaft?

Jesus kommt, Gott kommt – ganz banal als Kind. Für mich ist das ein Auftrag – auch im Sinne des Papstes. Mit Konstantin dem Großen wurde das römisch-kaiserliche Gehabe in die Kirche getragen und das ist nicht immer hilfreich. Viel wichtiger als das Hermelin ist, dass wir nahe bei den Bedürftigen sind. Jesus war ja auch direkt unter den Menschen.

Barmherzige Brüder: „Armen-Ambulanz“

Wiens ältestes Spital

Im Wiener Krankenhaus der Barmherzigen Brüder werden seit 1614 Patienten versorgt. Das Ordensspital ist Wiens ältestes Krankenhaus. In der Ambulanz werden pro Jahr 130.000 Menschen versorgt, darunter geschätzte 13.000 Patienten ohne Krankenversicherung. Die genaue Zahl ist nicht zu ermitteln, weil Unversicherte aus Scham oft unter falschem Namen kommen.

Unversichert

In der „Armen-Ambulanz“ landen vermehrt Patienten mit Beschwerden wie Infektions- oder Geschlechtskrankheiten, Lungenentzündungen, Magengeschwüren und psychischen Erkrankungen.

Laut Sozialversicherung sind mehr als 99 Prozent der Österreicher sozialversichert.

Das bedeutet: Potenzielle 80.000 sind nicht versorgt.

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