"Zäsur für Europa": Reaktionen zum Tod von Helmut Schmidt

Helmut Schmidt trat bis ins hohe Alter als leidenschaftlicher Raucher auf
Europas Sozialdemokratie zeigt sich tief betroffen. Auch politische Gegner würdigen die Leistungen Schmidts.

Europas Sozialdemokratie hat sich bestürzt über den Tod von Helmut Schmidt gezeigt.

SPD-Chef Sigmar Gabriel würdigte Schmidt als einen "großen Europäer" und "großen Sozialdemokraten". Schmidt habe "mit Zuversicht und Realismus unser Land gestaltet". "Wir Deutschen haben eine Vaterfigur verloren", sagte Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). "Generationen - auch ich - haben seine Klugheit und Autorität gesucht und geschätzt."

Frankreichs Präsident Francois Hollande würdigte den am Dienstag gestorbenen früheren Bundeskanzler ebenfalls als "großen Europäer". Schmidt sei ein "großer Staatsmann" gewesen, der stets dafür plädiert habe, der Marktwirtschaft eine soziale Dimension zu geben, sagte Hollande in Paris.

Schmidt habe in der Europapolitik vorbereitet, was sein Nachfolger Helmut Kohl und der damalige französische Staatspräsident Francois Mitterrand vollendet hätten. "Er war ein Mann, der bis zu seinem letzten Atemzug Stellung bezogen hat, vor allem, um den Deutschen zu sagen, welche Rolle sie zu spielen haben", sagte Hollande.

Ministerpräsident Manuel Valls betonte während einer Sitzung der Nationalversammlung die Bedeutung Schmidts für die Verbindung zwischen Deutschland und Frankreich. "Er hat durch seine Äußerungen und seine Persönlichkeit stets seine Überlegungen klargemacht zur Rolle und zum Platz Deutschlands in Europa und den besonderen Beziehungen mit Frankreich." Die Abgeordneten der Nationalversammlung erhoben sich anschließend für anhaltenden Applaus.

Schulz sieht "Zäsur"

"Sein Tod ist eine Zäsur für Deutschland und Europa", sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in einer Stellungnahme am Dienstag in Brüssel. Mit Schmidt starb "ein herausragender deutscher Bundeskanzler, ein großer und kämpferischer Europäer und ein Mann, der die Sozialdemokratie in Deutschland und Europa wie kaum ein anderer geprägt hat", sagte Schulz. "Sein Wort hatte auch lange nach seiner Kanzlerschaft Gewicht. Bis ins hohe Alter war er ein wichtiger und gefragter Ratgeber, mischte sich in die politische Debatte ein, mahnte Reformen und Veränderungsbereitschaft in Deutschland und Europa an und scheute dabei keine kontroverse Debatte. Für meine Politikergeneration bleibt Helmut Schmidt eine Leitfigur wegen seiner Geradlinigkeit und Prinzipientreue", so Schulz.

Schröder: "Hat Europa und Deutschland geprägt"

Deutschlands Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) hat Helmut Schmidt als eine der "ganz großen politischen Persönlichkeiten unseres Landes" gewürdigt. Als Kanzler von 1974 bis 1982 habe Schmidt nachhaltig Europa und Deutschland geprägt, schrieb Schröder in einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung.

"Wie nur wenige in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat er es verstanden, durch beherztes staatliches Handeln existenzielle Krisen zu meistern und zugleich den Menschen Orientierung in Zeiten der Unsicherheit zu geben." Schmidt habe "das Bild Deutschlands als eines der Freiheit, der Demokratie und dem sozialen Ausgleich verpflichtenden Landes nach innen und außen verkörpert" und es verstanden, "die Gesellschaft über die Partei- und Milieugrenzen hinweg zu integrieren".

In den ARD-"Tagesthemen" sagte Schröder am Dienstagabend laut im Voraus verbreiteter Mitteilung über den am Nachmittag Verstorbenen: "Wir haben ihm enorm viel zu verdanken".

Faymann lobt "Jahrhundertpolitiker"

Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann lobte Schmidt in einer Aussendung als "großen und prinzipienfesten Sozialdemokrat" und "Jahrhundertpolitiker". Sein Lebenswerk habe ihm über die Länder- und Parteigrenzen hinweg Achtung, Bewunderung und Anerkennung verschafft. "Mit Helmut Schmidt verliert die Sozialdemokratie einen großen Mitstreiter und ebenso wachen wie kritischen Geist, dessen Wortmeldungen, Kommentare und Bücher unverzichtbare Orientierungshilfe in einer zunehmend komplexer werdenden Welt waren", so der Kanzler.

"Zäsur für Europa": Reaktionen zum Tod von Helmut Schmidt

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"Zäsur für Europa": Reaktionen zum Tod von Helmut Schmidt

Brandt, Schmidt und Wehner
"Zäsur für Europa": Reaktionen zum Tod von Helmut Schmidt

GERMANY REUNIFICATION HELMUT SCHMIDT
"Zäsur für Europa": Reaktionen zum Tod von Helmut Schmidt

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Merkel: "politische Institution"

Anerkennung haben auch politische Gegner Helmut Schmidt gezollt. Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihn als "politische Institution der Bundesrepublik" bezeichnet. Deutschland verdanke ihm viel, sagte sie am Dienstagabend in Berlin. Schmidts Standfestigkeit habe der Republik geholfen, die "schwere Prüfung" des Terrors der 1970er Jahre zu bestehen.

Merkel erinnerte an Schmidts Einsatz für den NATO-Doppelbeschluss und das europäische Währungssystem. "Ich stehe hier in tiefem Respekt vor den Leistungen Helmut Schmidts", sagte die Kanzlerin und wünschte Schmidts Lebensgefährtin und seiner Tochter Trost in der Erinnerung an sein "langes und gut gelebtes Leben". Merkel betonte: "Er war auch für mich eine Instanz, dessen Rat und Urteil mir etwas bedeuteten."

Den Deutschen sei er über seine Heimatstadt Hamburg hinaus mit der Sturmflut 1962 ein Begriff geworden. Als Innensenator habe er entschlossen und mit der Gabe zur Improvisation gehandelt. "Ich weiß noch ganz genau, wie ich damals als kleines Mädchen und natürlich auch meine Eltern in der DDR am Radio buchstäblich hingen, weil wir uns unglaubliche Sorgen um unsere Großmutter und unsere Tante in Hamburg machten, und wie wir gerade Helmut Schmidt vertrauten, dass er die Lage in den Griff bekommen wird."

Juncker: "Hat mit politischem Mut viele bewegt"

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, wie Merkel ein Christdemokrat, lobte Schmidt als herausragende Figur. "Er war ein Freund, der mir, ebenso wie Europa, fehlen wird. Denn mit ihm verlieren wir einen besonderen Menschen, dessen politischer Mut viele bewegt hat", sagte Juncker. Schmidt habe "politische Ehrlichkeit vorgelebt, seine Beiträge zu politischen Debatten hatten auch deswegen besonderes Gewicht, weil er gradlinig war", erklärte Juncker am Dienstag. Schmidt habe auch "der Mut in die Zukunft zu denken" ausgezeichnet.

"Dieser Mut ist auch sein Auftrag an uns, niemals aufzugeben, wenn es um Europa geht", erklärte Juncker. Dabei habe Schmidt von sich selbst gesagt, er sei kein europäischer Idealist. "Sein Engagement für Europa beweist also, dass dies kein Projekt für abgehobene Idealisten, sondern für europäische Realisten ist. Er ist mit mehr Leidenschaft als viele andere für das Zusammenwachsen des Kontinents eingetreten, auch weil er immer verstanden hat, dass wir zusammenhalten müssen, wenn wir in der Welt eine Rolle spielen wollen." Juncker würdigte Schmidts Rolle bei der Gründung des Europäischen Währungssystems, das die Weichen für den Euro gestellt hat.

ÖVP: "Mitbegründer des europäischen Gedankens"

"Mit Helmut Schmidt verliert nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern ganz Europa einen großen Staatsmann. Er hat sich für ein geeintes Deutschland eingesetzt und gehörte zu den Mitbegründern und Verstärkern des europäischen Gedankens", sagte ÖVP-Bundesparteiobmann Reinhold Mitterlehner.

Neben seinem politischen Schaffen war Schmidt als Publizist und Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit erfolgreich und über Partei- und Landesgrenzen hinweg für seine Analysen geschätzt. "Er gehörte zu den prägendsten Persönlichkeiten seiner Zeit", so ÖVP-Generalsekretär Peter McDonald in einer Aussendung, der ebenfalls auf Schmidts Einsatz für ein gemeinsames Europa und sein Mitwirken an der Einführung des Europäischen Währungssystems verweist.

Gauck: "Hat als Bundeskanzler Großes geleistet"

Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck hat Schmidt als "einen der bedeutendsten deutschen Politiker der Nachkriegszeit" gewürdigt. Gauck schrieb am Dienstag an Schmidts Tochter Susanne Kennedy-Schmidt: "In seinen öffentlichen Ämtern, ganz besonders als Bundeskanzler, hat Helmut Schmidt Großes geleistet. Mit den Tugenden, die ihn auszeichneten - Unabhängigkeit des Geistes, Mut und Pflichtbewusstsein - wird er auch künftigen Politikergenerationen ein bleibendes Vorbild sein."

Fischer: "Seine Stimme hatte im In- und Ausland Gewicht"

Sein österreichischer Amtskollege Heinz Fischer betonte in einer Aussendung: "Seine Stimme hatte im In- und Ausland Gewicht, ein großer Staatsmann ist von uns gegangen."

Schmidt sei "in schweren Stunden entscheidungsfreudig" gewesen, so Fischer, "und seine Handlungen waren von großem Verantwortungsbewusstsein und moralischen Kategorien geprägt." Der Bundespräsident sprach von "aufrichtigem Respekt gegenüber einem Mann, dessen Denken und Handeln für Deutschland, Europa und die Welt viel Nutzen gebracht hat."

"Zeit"-Chefredakteur: "Jetzt erwachsen werden"

Die deutsche Wochenzeitung Die Zeit trauert um ihren langjährigen Herausgeber. "Wir, die ihn überlebt haben, müssen jetzt erwachsen werden. Ob wir es wollen oder nicht", sagte Chefredakteur Giovanni di Lorenzo am Dienstag in Hamburg. Der Geschäftsführer des Verlags, Rainer Esser, ergänzte: "Ich bin sehr glücklich, dass ich einen so klugen, liebenswürdigen und immer hilfsbereiten großen Mann über 16 Jahre regelmäßig treffen durfte. Wir werden ihn unendlich vermissen."

Als Herausgeber, zeitweise auch als Verleger und Geschäftsführer, habe Schmidt 32 Jahre lang über die Geschicke des Blattes gewacht, teilten Redaktion und Verlag mit. "Mit ungebrochener Schaffenskraft und nie versiegender Wissbegier hat Helmut Schmidt bis in seine letzten Lebenswochen an der Redaktionsarbeit Anteil genommen. Er hat sich lebhaft an unseren Konferenzen beteiligt, hat in unsere Diskussionen eingegriffen und Themen angeregt. Er hat nie aufgehört zu arbeiten und ist deshalb jung geblieben", schrieben die Blattmacher über den 96-Jährigen. "Sein kluges Urteil, seine Weisheit und seine Warmherzigkeit werden uns fehlen."

Bures: "Großer Europäer"

Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) zeigte sich in einer Aussendung ebenfalls tief betroffen: "Helmut Schmidt war einer der ganz großen Nachkriegspolitiker der Bundesrepublik Deutschland und vor allem auch ein großer Europäer. Als Kanzler war er ein tatkräftiger Visionär, Deutschland profitiert bis heute von seinem Einsatz für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Auch nach seiner politischen Laufbahn setzte er sich als Journalist und Vordenker sehr erfolgreich für humanistische, solidarische und weitsichtige Politik in Deutschland, Europa und der Welt ein. Und nicht zuletzt war Helmut Schmidt auch einer der ganz großen Sozialdemokraten Europas."

Auch FPÖ und Grüne zollen Anerkennung

In Österreich gab es Anerkennung für Schmidts Lebenswerk auch von FPÖ und Grünen. Der blaue Parteichef Heinz-Christian Strache ließ in einer Aussendung wissen, er betrachte den deutschen Altkanzler als "einen bedeutenden Politiker mit Vorbildwirkung", der unangenehme Wahrheiten ausgesprochen habe. Grünen-Chefin Eva Glawischnig lobte Schmidt als "großen Befürworter eines vereinten Europa".

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