"Wir haben vier Menschen erschossen. Alles ist gut"

Eines der ersten Bilder des Putschversuchs, das über die Nachrichtenagenturen kam.
Das WhatsApp-Protokoll von einem Teil der türkischen Putschisten in Istanbul zeigt nicht nur, wie diese sich organisierten, sondern auch ihre menschenverachtende Seite.

„Vernichte sie, verbrenne sie, keine Kompromisse.“ Alleine diese WhatsApp-Nachricht eines Majors zeigt, wie kompromisslos und teils menschenverachtend die Putschisten in der Türkei agierten. Spätestens in den Morgenstunden am 16. Juli, als der Putschversuch langsam aber sicher zerschlagen wurde.

Bereits einige Stunden früher, als Teile des Militärs versuchten, die Regierung um Präsident Recep Tayyip Erdoğan zu stürzen, beginnt ein WhatsApp-Protokoll um eine Gruppe von hochrangigen Militärvertreter, das von der renommierten Rechercheplattform Bellingcat zusammengetragen wurde.

Als Quelle diente den Journalisten ein Video, das die ersten circa eineinhalb Stunden des Chats zeigt. Anschließend verweist Bellingcat auf Fotos des türkischen Journalisten Selahattin Günday, der der Plattform entsprechende Screenshots zur Auswertung überließ. Das gesamte Protokoll zum Download finden Sie hier.

„Yurtta sulh“ - „Friede in der Heimat“

Demnach gründete ein Major um Punkt viertel nach neun am Abend des Putschversuchs die WhatsApp-Gruppe unter dem Namen „Yurtta sulh“ - es sind die ersten beiden Worte des berühmten Zitates von Mustafa Kemal Atatürk „Yurtta sulh, cihanda sulh“ („Friede in der Heimat, Friede auf der ganzen Welt“), das später zum Leitspruch des türkischen Militärs wurde. In der Gruppe finden sich insgesamt 25 verschiedene Nummern und Namen. Darunter Soldaten in den Rängen Brigadegeneral (zwei), Oberst (elf), Oberstleutnant (zwei), Major (sechs), Hauptmann (drei) und Leutnant (eins). Es sind Putschisten in Istanbul, der Gruppengründer steht laut dem Protokoll allerdings auch im Kontakt zu Ankara.

Der Anfang

Kurz nach der Gruppengründung werden in militärischer Tonalität Aufträge erteilt. „Den Verkehr auf der E5 und TEM außerhalb von Istanbul lassen wir, wie er ist. Verkehr, der nach Istanbul führt, wird aufgehalten und zurückgeschickt“, steht in einer dieser Nachricht oder auch: „Der Kontrollpunkt auf der zweiten Brücke wurde erreicht. Keine Probleme“. Es waren die ersten Maßnahmen, die die Putschisten trafen.

Etwas später, um kurz nach zehn Uhr, war unter anderem die öffentlich-rechtliche TV-Station TRT unter Kontrolle der Putschisten. Damit sollte die öffentliche Kommunikation unterbunden werden. Allerdings vergaßen sie dabei offensichtlich auf die Privatsender. Das gab Erdogan unter anderem die Chance, doch mit „seinem Volk“ zu kommunizieren. Via Facetime und CNN Türk – ein Sender, den Erdogan normalerweise selbst lieber abdrehen würde – rief der türkische Präsident um 0.26 Uhr sein Volk auf, sich den Putschisten entgegenzustellen. Das Volk hörte auf seinen Führer. Und die Putschisten reagierten.

Schießbefehl

Dass der Putschversuch nicht ohne Blutvergießen ablaufen wird, wussten die Putschisten wohl von vornherein. Und sie waren schnell dazu bereit, die Zivilbevölkerung ins Visier zu nehmen: „Es gibt Berichte, dass sie die Bevölkerung bewaffnet haben, Kommander. Wenn sich die Menge auf euch zubewegt, schießt zuerst Warnschüsse in die Luft und den Boden und dann auf sie“, liest sich ebenso wie, „ich schieße, schieße auf die Menge“. Immer wieder wird versucht, die Moral der Truppe zu heben – natürlich im typischen Militärduktus: „Wir werden bis zum letzten Tropfen von unserem Blut weitermachen.“

„Sollen wir fliehen?“

Bis zum letzten Tropfen Blut kämpften die wenigstens Soldaten und manchen war bald klar, dass der Versuch zerschlagen wurde. Auf das bereits erwähnte Zitat „Vernichte sie, verbrenne sie, keine Kompromisse“ antwortete ein Chatteilnehmer mit „C’mon Mehmet“ und ein zweiter mit „Wenn wir das Feuer eröffnen, können wir 3 oder 5 treffen, aber wir können sie nicht stoppen.“ Bis zum Ende des Putschversuch sollen es laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu 264 Menschen ihr Leben gelassen haben – darunter 173 Zivilisten, 67 regierungstreue Sicherheitskräfte und 24 Putschisten.

Manche davon dürften sich auch selbst das Leben genommen haben. Zumindest dachten sie darüber nach: Ein Oberst fragt: „Sollen wir fliehen?“ Ein Major antwortet: „Bleib am Leben, Kommander. Es ist deine Entscheidung. Wir haben uns bis jetzt noch nicht entschieden. Aber wir haben unsere Position verlassen. Ich schließe die Gruppe. Löscht die Nachrichten, wenn ihr wollt.“

Es ist die letzte Nachricht in der Gruppe und dem Protokoll, dass die Nacht des Putschversuchs von einer anderen Seite zeigt.

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