Ungarn bleibt fest in Orban-Hand
Ich bin sehr zornig", brummt Laszlo, während er missmutig an seiner Spritzdüse herumdreht. Der Lagerarbeiter will sein Auto umfärben, eine uralte Kiste, die in einer Ecke seines kleinen Gartens steht. Das Auto ist das Einzige, was der 36-jährige Ungar noch sein Eigen nennt. Denn sein früheres Haus gehört jetzt der Bank, nachdem Laszlo seinen Frankenkredit wegen der exorbitant gestiegenen Zinsen nicht mehr zurückzahlen konnte.
Heute lebt er samt Frau und drei Kindern im "Wohnpark Ocsa", eine Art Auffanglager für ungarische Fremdwährungskredit-Opfer. 500 kleine Häuschen hätte das Vorzeige-Projekt der ungarischen Regierung haben sollen. 80 sind es geworden, und auch diese stehen zur Hälfte leer. Wer hier landet, hat zwar wieder ein Dach über dem Kopf, aber noch lange nicht wieder Hoffnung geschöpft. Ein steriler Wohnpark, mitten auf die grüne Wiese gesetzt, ein kühler Wind pfeift durch die gähnend leeren Straßen. Schmucke kleine Fertigteilhäuschen, aber kein Geschäft, kein Kindergarten, kein Arzt in der Nähe. Ein "Getto" sei das von der Orban-Regierung hochgelobte Sozialprojekt, ätzten die der Opposition nahestehenden Medien, eine "Armensiedlung irgendwo im Nirgendwo".
Wie Laszlo haben rund 600.000 Ungarn vor der Finanzkrise 2008 Devisenkredite, meist in Schweizer Franken, aufgenommen. Bis heute legte der Franken gegenüber dem Forint um 70 Prozent an Wert zu – und Hunderttausende Ungarn stehen vor dem Ruin. Die gigantischen privaten Bankschulden sorgen denn auch für eines der größten sozialen Probleme Ungarns. Eines, für das es aus Sicht der national-konservativen Regierung von Premier Viktor Orban nur einen Schuldigen geben kann: Die Banken, insbesondere die ausländischen – also auch die in Ungarn stark vertretene Erste Group und Raiffeisen.
Vor zwei Jahren zwang Orban die Geldinstitute, Kredite zu einem weit unter dem Wechselkurs liegenden Preisniveau umzuwandeln. Das bescherte den Banken Verluste in Höhe von einer Milliarde Euro, rettete aber nur einen Teil der Schuldner. Rechtzeitig vor den heutigen Parlamentswahlen wollte Premier Orban das Problem endgültig lösen. Per Gesetz sollten alle Fremdwährungskredite – wiederum zu einem von der Regierung festgelegten Kurs – zwangsumgetauscht werden. Doch dieses Mal legten sich die Gerichte quer: Die höchste Justiz des Landes verweigerte dem erbosten Orban einen Freibrief.
Vor der Wiederwahl
"Es herrscht keine Wechselstimmung im Land", sagt der Politologe Zoltan Kiselly. "Den Menschen geht es heute wirtschaftlich nicht viel besser oder schlechter, seit Orban vor vier Jahren an die Macht gekommen ist." Letztlich gehe es nur um das Gefühl der Wähler: "Und die FIDESZ-Regierung sorgt für das Gefühl, dass der Staat für die Menschen sorgt. Die Ungarn fühlen sich schwach gegenüber den ausländischen Banken, ausländischen Konzernen, ausländischen Energieversorgern."
Das links-liberale Oppositionsbündnis "Kormanyvaltas" (Regierungswechsel) findet in dieser Stimmung nur wenig Gehör. "Weg-mit-Orban", lautete ihre einzige Botschaft, ohne ein echtes Gegenprogramm zum Premier aufzubieten.
Zulauf für Jobbik
Mit großem Zulauf rechnet hingegen die ultra-rechte Jobbik. Fast ein Drittel aller jungen Ungarn sympathisiert mit der offen anti-semitischen und gegen die Roma-Minderheit im Land hetzenden Rechts-Partei. Nimrod ist einer von ihnen. Aufmerksam lauscht der Installateur den Rednern bei einer zum Bersten überfüllten Jobbik-Veranstaltung in einem ärmlichen Budapester Vorort. "Jobbik ist die einzige fähige Partei, die Ungarn wieder auf den richtigen Weg bringen kann", glaubt er. Und dieser Weg könne Ungarn seiner Meinung nach auch aus der EU hinausführen. "Was hat die EU Ungarn in den zehn Jahren, seit wir dabei sind, gebracht, und was hat sie uns gekostet?" sinniert Nimrod. "Mir ist die EU zu diktatorisch, das ist fast so wie in der früheren Sowjetunion."
Dass Manfred Vogl, Lehrer in Eisenstadt, ein Haus an einem ungarischen Fischteich nahe des Hanság besitzt, war "reiner Zufall". Seit 13 Jahren verbringt er hier seine Wochenenden und auch seine Ferien. Dass am 6. April ungarische Parlamentswahlen stattfinden "weiß ich zwar, aber ich spür hier in der Siedlung davon eigentlich wenig". Er ist sich auch nicht so sicher, wie ernst die Ungarn selbst diese Wahlen nehmen. Im örtlichen Gasthaus, wo er sich trotz mangelhaftem Ungarisch gerne mit den Einheimischen trifft, "wird relativ wenig politisiert". Doch eine gewisse Unzufriedenheit ist bemerkbar, sagt Vogl. Die hohe Mehrwertsteuer (27 %, bei Brot und Milch sind es 18 %), den geringen Lohn(an die 600 bis 700 Euro Durchschnitt)spüren die Menschen.
Wie die Wahlen ausgehen werden, kann er nicht sagen. "Die Ungarn sind zurückhaltende Menschen, zumindest die, mit denen ich zu tun habe." Dass Orban gewinnt, steht für den Lehrer außer Streit.
Wie viele Österreicher in Ungarn einen Zweitwohnsitz haben, ist nicht zu verifizieren. Es gilt zwar die Meldepflicht, doch die wenigsten tun es. Laszlo F., Geschäftsführer einer Immobilienfirma in Sopron, meint nur: "Im vergangenen Jahr haben die Wohnungs- und Immobilienkäufe von Ausländern stark zugenommen, 20 Prozent davon kommen aus Österreich." Er glaubt, dass die Politik des Premiers den Käufern "völlig" egal ist, "sie glauben aber, dass durch Orban sichere Verhältnisse ins Land ziehen."
Strengere Kontrollen
Seit dem Jahr 2000 hat der Mörbischer Klaus Sommer einen Zweitwohnsitz in Sopron. Er betreibt hier eine Kommunikationsagentur und führt eine Greißlerei . "Was in österreichischen linksliberalen Medien über Ungarn geschrieben wird, halte ich für nicht richtig", sagt Sommer. Er will den ungarischen Premier Orban nicht in den Himmel loben, "aber man muss eingestehen, dass unter dieser Regierung sehr viel weitergegangen ist."
Die Kulturszene blühe, meint der 41-Jährige. "Man spürt, dass sich etwas tut. Von einer Diktatur ist Ungarn weit entfernt." Das "lässige" Leben habe sich hier aufgehört. Es werde genauer kontrolliert und geprüft.
Die Strom- und Gaspreise wurden um fünf Prozent gesenkt. Kürzlich hat Orban angekündigt, dass Ungarn die billigsten Energiepreise Europas haben werde. "Das gefällt den Wählern natürlich", glaubt der Österreicher. Aus Klaus Sommers Perspektive gibt es für die meisten Ungarn keine Alternative zur regierenden FIDESZ. Die Linken seien nicht wählbar, die Grünen würden belächelt und die Jobbik-Partei werde von "normalen Menschen" nicht ernst genommen.
Nicht alles ist gut
Der gebürtige Niederösterreicher Bernhard Föderl ist seit 20 Jahren in Ungarn tätig. Er führt einen Schönheitssalon in Jánossomorj. "Unter den Sozialisten vor Orban ist schon was weitergegangen. Nicht für das Volk, sondern nur für einen Teil der Bevölkerung – nämlich dem der Sozialisten". Föderl findet nicht alles gut, was der Regierungschef anpackt. Für seine ungarische Frau, Renata, ist klar: "FIDESZ ist für unser Land das Beste, das wir haben."
Umfragen Die national-konservative Regierungspartei FIDESZ liegt mit rund 45 bis 50 Prozent der Stimmen unangefochten vorne.
Opposition Das linksliberale Oppositionsbündnis "Regierungswechsel" kommt laut Umfragen auf maximal 29 Prozent.
Ultrarechte Jobbik Die extreme Rechtspartei liegt je nach Umfrage zwischen 16 und 20 Prozent.
Aktuelles in Zahlen 40 % der Ungarn könnten dem Urnengang heute fernbleiben. Sie fühlen sich von allen Parteien und Politikern im Land enttäuscht.
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