Absolute Mehrheit für Cameron

Premier und wohl bleibender Premier David Cameron und seine Frau Samantha siegessicher am Freitagmorgen
Labour-Chef Miliband wird zurücktreten. Farage schafft es nicht ins Parlament.

Ein britisches Kopf-an-Kopfrennen hat es nicht gegeben: David Cameron wird Premierminister von Großbritannien bleiben. Trotzdem gibt er sich bescheiden. "Das ist eindeutig eine sehr starke Nacht für die Konservative Partei", sagte er am Freitag in seinem Wahlkreis Witney. Er betonte aber, dass das endgültige Ergebnis noch nicht vorliege. Mittlerweile ist es klar, dass die Konservative Partei von Premierminister David Cameron die für eine Alleinregierung nötige absolute Mehrheit im britischen Unterhaus gewonnen hat. Die Tories erreichten am Vormittag die Schwelle von 325 der 650 zu vergebenden Mandate. 325 Sitze reichen deshalb zur Mehrheit, weil die vier Abgeordneten der nordirischen Sinn Fein Partei üblicherweise ihre Mandate nicht wahrnehmen. Cameron hatte gesagt, er werde bei seiner weiteren Arbeit die Interessen aller vertreten. Cameron hatte im Wahlkampf erklärt, im Falle eines Sieges bis 2017 eine Volksabstimmung über die weitere Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union abzuhalten.

Sein Herausforderer Ed Miliband muss als amtierender Chef der Labour-Partei bei der britischen Parlamentswahl empfindliche Verluste verkraften. Labour käme nach den Prognosen mit seiner sozialdemokratischen Labour Party auf 232 Sitze, die schottischen Nationalisten als drittstärkste Kraft auf 56. In Schottland legte die Unabhängigkeitspartei SNP mit ihrer Vorsitzenden Nicola Sturgeon damit dramatisch zu. Sie galten als Joker bei den Wahlen in Großbritannien, mehr dazu hier. Die bisher regierenden Liberaldemokraten kämen auf zwölf Mandate. Sie verlieren einen Großteil ihrer bisher 57 Sitze. Die euroskeptische UK Independence Party (UKIP) könnte mit zwei, die walisische Partei Plaid Cymru mit drei und die Grünen mit einem Sitz rechnen. Laut BBC wurde bisher die Hälfte der Wählerstimmen ausgezählt.

Meinungsumfragen hatten bis zur Öffnung der Wahllokale einen deutlich knapperen Ausgang vorhergesagt.

Mehr zum Wahlerfolg der schottischen Nationalisten gibt es hier. Unter anderem kickte eine 20-Jährige den Labour-Wahlkampfmanager aus dem Rennen.

Miliband geht, Farage scheitert

Absolute Mehrheit für Cameron
epa04737829 Labour Party leader Ed Miliband speaks after retaining his seat in the General Election at Doncaster Racecourse, Britain, 08 May 2015. British Prime Minister David Cameron appeared to be heading for a second term in office early 08 May as an exit poll and early results suggested his Conservative Party would win enough seats to form a minority government. EPA/CHRIS RADBURN/PA WIRE UK AND IRELAND OUT EDITORIAL USE ONLY
Miliband tritt nach Informationen derBBCals Vorsitzender der sozialdemokratischen Labour Party ab. Der Fernsehsender nannte keine Quellen. Miliband hat für den Mittag eine Erklärung angekündigt. Miliband hatte seine Niederlage bereits Freitagmorgen eingeräumt: "Wir haben nicht die Gewinne in England und Wales erreicht, die wir erhofft hatten." Und in Schottland habe es einen deutlichen Anstieg nationalistischer Interessen gegeben. Die nächste Regierung habe eine große Verantwortung, alle Teile des Königreiches zusammenzuhalten.

Nicht einmal ins Parlament schaffte es UKIP-Chef Nigel Farage. Der Vorsitzende der eurokritischen Partei verlor mit 32 Prozent der Stimmen bei der Unterhauswahl in seinem Wahlkreis South Thanet gegen den Kandidaten der Konservativen Partei, Craig Mackinlay, mit 38 Prozent. Vor der Wahl hatte Farage angekündigt, vom UKIP-Parteivorsitz zurückzutreten, sollte er das Direktmandat nicht gewinnen. UKIP fordert eine Begrenzung der Einwanderung und einen Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Vize-Premier Clegg tritt zurück

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Britain's Liberal Democrat leader Nick Clegg announces his resignation as leader at a news conference in London May 8, 2015. Britain's deputy Prime Minister Clegg resigned on Friday as leader of the Liberal Democrats after his party was crushed at the national election. Clegg, who in 2010 led his party to its first ever spell in government as junior partner to Prime Minister David Cameron's Conservatives, retained his seat in parliament but saw the vast majority of his colleagues lose theirs. REUTERS/Eddie Keogh (BRITAIN - Tags: POLITICS ELECTIONS TPX IMAGES OF THE DAY)
Neben Miliband gibt es noch einen weiteren prominenten Rücktritt. Der bisherige britische Vize-Premierminister Nick Clegg ist nach der schockierenden Niederlage seiner Partei bei der Parlamentswahl als Vorsitzender der Liberaldemokraten zurückgetreten. „Ich muss die Verantwortung tragen und ich trete als Vorsitzender der Liberaldemokraten zurück“, sagte Clegg am Freitag in London. Die Partei des 48-Jährigen hat nur noch acht Sitze im Unterhaus und wurde damit von den Wählern abgestraft. 2010 hatten die Liberaldemokraten noch 57 Parlamentarier entsenden können. Er war seit 2007 Parteichef der Liberaldemokraten. Clegg, der als einer der europafreundlichsten Politiker in Großbritannien gilt, gewann sein Direktmandat in Sheffield und kann seine Arbeit als Abgeordneter fortsetzen.

Londoner Bürgermeister zieht ins Parlament ein

Der konservative Londoner Bürgermeister Boris Johnson zieht hingegen ins britische Unterhaus ein. Bei der Parlamentswahl gewann er das Direktmandat in seinem Wahlkreis Uxbridge. "Es ist klar, dass die Leute wollen, dass wir weitermachen", sagte er. Die Briten hätten für ein Programm mit "gesundem wirtschaftlichen Verstand" gestimmt, sagte Johnson, der rund 50 Prozent der Stimmen bekam.

Nach der Wahl

Noch bevor die Ergebnisse eintrudelten, hatten sich die Parteien in Stellung gebracht. Die Zeit drängt. Der lang ersehnte wirtschaftliche Aufschwung, den die bisherige konservativ-liberale Regierungskoalition unter Premier David Cameron gerade noch als ihr stärkstes Argument im Wahlkampf eingesetzt hatte, ist gerade dabei, wieder zu erlahmen. Auch das Budgetdefizit ist trotz fünf Jahren eisernen und teils sozial nur schwer verträglichen Sparens noch immer weit von den angestrebten EU-konformen drei Prozent weg. Ein weiteres Sparpaket droht.

Die Briten haben in einer Parlamentswahl, in der alle Prognosen wie so oft komplett danebenlagen, vor allem auf eines gesetzt: Stabilität und Kontinuität. Fünf Jahre Sparpolitik und soziale Härten hatten ihnen die Konservativen zugemutet: Und das heißt - gelernte Österreicher bitte anhalten - etwa eine staatliche Pension von etwa 80 Euro die Woche. Doch nach Jahren der Krise, die die Briten viel härter getroffen hatte als viele andere europäische Länder, schien sich im letzten Jahr erstmals ein Hauch von Aufschwung anzukündigen. Eine Tendenz, die die Konservativen in ihrem Wahlkampf als ihr Hauptargument einsetzten. Die Menschen glaubten es ihnen.

Nicht glauben wollten sie dagegen die Versprechen von Labour-Chef Ed Miliband, der ankündigte das Land wieder im Sinne der arbeitenden Menschen umbauen zu wollen, es also vor allem sozial gerechter zu machen. Das kaufte dem Elite-College-Absolventen, der vor fünf Jahren noch für Kurzzeit-Labour-Premier Gordon Brown gewerkt hatte und dessen Bruder unter Tony Blair Außenminister gewesen war, keiner ab. Miliband steht, auch wenn er sich heute als linientreuer Linker verkauft, auch für jene Jahre der sozialdemokratischen Labour-Regierung, in der man sich soziale und linke Grundsätze für Parteitage aufhob und im politischen Alltag pragmatisch blieb und lieber bei den Sozialausgaben sparte als Großbritanniens Reichen höhere Steuern aufzubürden, oder das Banken- und Finanzspekulationszentrum London etwas mehr unter Kontrolle zu bringen. Jetzt also vor die Entscheidung gestellt, weitere Jahre mit sozialen Härten, aber möglicherweise doch mit der Aussicht auf wirtschaftlich rosigere Zeiten weiterzumachen, oder sich an eine politisch wenig glaubwürdige Wende nach links anzuhängen, haben die Briten klar auf Kontinuität gesetzt. Die Spielregeln der Konservativen kennen sie zumindest, auch wenn die ihnen oft hart zugesetzt haben.

Absolute Mehrheit für Cameron
epa04732844 British Prime Minister and Conservative party leader David Cameron (C) speaks to supporters during an election rally at Hayesfield Girls' School, in Bath, Britain, 04 May 2015. Britons will go to the polls in a general election on 07 May. EPA/STR UK OUT
Der vermutlich schwerwiegendste Fehler in dieser Wahlkampagne, der PremierDavid Cameronunterlaufen ist, hat auf den ersten Blick wenig mit Politik zu tun. Da ein Fußballverein, dem man treu ergeben ist, zur Grundausstattung jedes anständigen Engländers gehört, hatte Cameron sich immer zu Aston Villa bekannt.

Plötzlich aber bezeichnete er irrtümlich Westham als seinen Lieblingsklub. Für die Gegner des Konservativen der perfekte Anlass, um Cameron wieder einmal als abgehobenen Oberschicht-Schnösel zu brandmarken, der in Wahrheit weder von Fußball, noch vom harten Alltag seiner Landsleute auch nur irgendeine Ahnung habe.

Cameron musste sich tatsächlich in mehreren Interviews für seinen "Hirnschwund" rechtfertigen. Im Wahlkampf-Finale gab sich der 48-Jährige daher betont hemdsärmelig und emotional und versuchte so, den Vorwurf auch aus der eigenen Partei, er habe einen faden und wenig überzeugenden Wahlkampf geführt, zu entkräften. Das hat er offenbar geschafft.

Der Labour-Chef, der ja über Jahre im Schatten seines Bruders Dave stand, der enger Vertrauter von Tony Blair war, galt lange Zeit als unentschlossener Langeweiler. Die Medien porträtierten ihn als Nerd, der sich wohl lieber mit einem Rubiks-Würfel oder Computerspielen beschäftige als mit den wirklichen Sorgen seiner Landsleute. Außerdem gilt auch Miliband wie Premier Cameron als typisches Produkt britischer Elite-Erziehungsanstalten und daher als abgehoben. Doch schon in den TV-Wahldebaten überraschte Miliband mit Selbstbewusstsein und Angriffigkeit.

Auch wirkte sein Versuch, die Labour-Partei, die ja unter Tony Blair und Gordon Brown politisch in die Mitte gerückt war, wieder links und mit sozialem Bewusstsein zu präsentieren, zunehmend glaubwürdig. Überraschend wurde Miliband auch in den sozialen Medien von der anfangs grob karikierten Witzfigur zum Star. Fotos des 45-Jährigen als Indiana Jones oder Marlon Brando wurden wie wild verbreitet. Unter dem Stichwort "Milifandom" versammeln sich inzwischen Tausende in online-Fanklubs des Sozialdemokraten. Das läuft zwar nicht ohne typisch britische Ironie ab, verschafft Miliband aber jede Menge Sympathie. Auf der Suche nach Jungwählern und einem coolen Image hat sich der Parteichef vor einigen Tagen sogar zu Englands Starcomedian Russell Brand vorgewagt, was ihm wütende Kritik von den Konservativen einbrachte. Schließlich hat es Brand für sinnlos erklärt, überhaupt wählen zu gehen. Das prognostizierte Kopf-an-Kopfrennen mit Cameron hat es auch nicht gegegben.

Nach dem im Vorjahr knapp gescheiterten Unabhängigkeits-Referendum in Schottland war ja der quasi-Übervater der schottischen Nationalisten der SNP, Alex Salmond, abgetreten. Mit seiner Stellvertreterin Nicola Sturgeon konnten viele Anhänger des hemdsärmeligen Linken vorerst nicht viel anfangen. Doch die 44-Jährige bewies nicht nur politischen Angriffsgeist und rhetorische Brillianz, sondern mauserte sich auch optisch zur prägenden Führungsfigur. Viele britische Blätter witzelten, sie habe sich wohl Angela Merkels Styling-Berater nach Edinburgh geholt.

Doch Sturgeon profitiert nicht nur von perfekten Kostümen und guten Argumenten, sondern auch durch ihre Bodenständigkeit, die ihr viel Glaubwürdigkeit bei den Wählern verschafft. Schließlich stammt sie, ganz anders als der Großteil von Großbritanniens politischer Führungsriege, tatsächlich aus einfachen Verhältnissen.

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