Vier Israelis sterben durch Granaten

Keine Waffenruhe in Sicht
Israel ignoriert indes den Appell des UNO-Sicherheitsrats nach Gefechtspause.

Ungeachtet internationaler Forderungen nach einer sofortigen Waffenruhe will Israel die Offensive im Gazastreifen fortsetzen. "Wir werden in den kommenden Tagen weitermachen, bis wir alle Tunnel zerstört haben", so Israels Geheimdienstminister Juval Steinitz. Wichtigstes längerfristiges Ziel sei eine Entmilitarisierung des Küstenstreifens am Mittelmeer.

Seit Beginn der Offensive vor drei Wochen sind mehr als 1.000 Palästinenser getötet und mehr als 6.000 weitere verletzt worden. Auf israelischer Seite starben fast 43 Soldaten und sieben Zivilisten, vier davon am Montagabend. Sie starben in Eshkol nördlich der Grenze durch Granatwerfer.

Einstimmiger UNO-Appell

Der internationale Druck zur Beendigung des Blutvergießens wird aber stärker. Nach US-Präsident Barack Obama forderte auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine "sofortige und bedingungslose humanitäre Waffenruhe" zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas. Die Konfliktparteien sollten die Kampfhandlungen einstellen, um Hilfe möglich zu machen, hieß es in einer Erklärung des UN-Gremiums. Generalsekretär Ban Ki-moon stellte die Härte des Waffeneinsatzes infrage. "Die Höhe der zivilen Verluste bringt die Frage der Verhältnismäßigkeit auf den Tisch", sagte Ban in New York. "Alle Seiten haben die Verantwortungen, die Feindseligkeiten zu beenden. Wenn die Kämpfe weitergehen, leiden zu allererst die Zivilisten. Seine Botschaft lautete: "Hört auf zu kämpfen! Und dann setzt Euch zusammen und bringt alle Konflikte auf den Tisch."

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bemängelte bei einem Telefonat mit Ban, die Erklärung des Sicherheitsrates befasse sich nur "mit den Bedürfnissen einer mörderischen Terrororganisation, die israelische Zivilisten angreift, und nicht mit Israels Sicherheitsbedürfnissen".

Bitteres Zuckerfest

Wie Muslime in aller Welt begehen auch die Palästinenser im Gazastreifen das Fest des Fastenbrechens (Eid al-Fitr, Zuckerfest), das in diesem Jahr von der israelischen Offensive überschattet wird. Nach einem nächtlichen Abflauen der Gewalt kam es am Montag wieder zu einem Schlagabtausch. Die israelische Armee beantwortete Raketenangriffe mit Artilleriefeuer. Armeesprecher Moti Almos sagte, die Truppen würden weiter Tunnel zerstören. "Wenn es Angriffe gibt, reagieren sie."

Nach einer ersten Weigerung hatte die Hamas am Sonntagnachmittag eine 24-stündige Waffenruhe erklärt, die Israel jedoch nicht offiziell akzeptierte. Auch Ägyptens Armee zerstörte weiter 14 Schmuggler-Tunnel zum Gazastreifen.

Auf dem Gelände des größten Krankenhauses im Gazastreifen ist am Montag eine Rakete eingeschlagen. Das Geschoss habe ein Gebäude nahe am Eingang der Shifa-Klinik in Gaza getroffen, gaben Mitarbeiter an. Zudem habe es Opfer bei Einschlägen von Sprengkörpern im Gelände des Shati-Flüchtlingslagers gegeben. Das israelische Militär wies jede Verantwortung für die zwei Zwischenfälle zurück. Es habe sich um Einschläge fehlgeleiteter palästinensischer Raketen gehandelt. Die israelische Armee hat zudem die Einwohner mehrerer Wohngebiete im Gazastreifen zur sofortigen Räumung ihrer Häuser aufgerufen.

"Erpressung"

Auch US-Präsident Obama forderte bei einem Telefonat mit Netanyahu eine sofortige und bedingungslose humanitäre Feuerpause. Ziel müsse eine dauerhafte Waffenruhe sein. Obama verurteilte die Hamas-Angriffe scharf und bekräftigte das Recht Israels auf Selbstverteidigung. Er äußerte er erneut wachsende Sorge über die Zahl der getöteten palästinensischen Zivilisten, über die israelischen Opfer und die humanitäre Lage in Gaza.

Rechtsorientierte israelische Politiker sprachen sich gegen eine rasche Waffenruhe aus. "Diese Offensive darf nicht mit Erfolgen für die Hamas enden", sagte Seev Elkin von der regierenden Likud-Partei. "Es wäre Erpressung, wenn sie auf uns schießt und dafür bekommt, was sie will." Seine Parteifreundin Zipi Chotoveli sagte, Israel dürfe Obamas Aufruf nicht nachkommen. "Der US-Vorschlag dient nur den Interessen der Hamas."

Geheimdienstminister Steinitz sagte: "Wir wollen eine echte umfassende Lösung, die wirkliche Erleichterung für die Menschen auf beiden Seiten bringt." Die Palästinenser hätten sich im Rahmen der Friedensabkommen mit Israel zu einer Entmilitarisierung verpflichtet. "Die Raketen sind das Kernproblem in Gaza." Auch die Menschen im Gazastreifen litten unter "diesem unnötigen Krieg".

119 Internationale Völkerrechtsexperten, Professoren, Richter und Anwälte, haben Israel in der jüngsten Gaza-Offensive schwere Menschenverletzungen an der gesamten palästinensischen Bevölkerung vorgeworfen. Die meisten Bombardierungen könnten nicht militärisch gerechtfertigt werden. "Stattdessen scheinen sie darauf ausgerichtet zu sein, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren", schrieben die Experten in einer Stellungnahme am Sonntag. Israel verletze damit die fundamentalsten Gesetze in bewaffneten Konflikten - vor allem das Gesetz der Verhältnismäßigkeit.

Das werde offensichtlich im Fall der Hunderten von zerstörten zivilen Häusern. "Es ist nach internationalem Recht illegal, absichtlich und ohne militärische Notwendigkeit zivile Objekte zu zerstören" heißt es weiter. Die Verletzung dieser Norm könne ein Kriegsverbrechen darstellen. Daran ändere auch die israelische Praxis nichts, die Menschen vorher zu warnen, vor allem wenn die Bewohner mit nicht-explosiven Raketen gewarnt werden. Für die IDF (Israel Defense Forces) sind die Luftangriffe gerechtfertigt, wenn zivilie Gebäude den Anschein eines militärischen Zwecks haben.

Missverstandene Selbstverteidigung

Die Bewohner des Gazastreifens hätten die Konsequenzen von Israels "falsch ausgelegtem Recht auf Selbstverteidigung" zu erleiden. Denn der jüngste Krieg sei inmitten eines bewaffneten Konflikts und einer "aggressiven Besatzung" ausgebrochen, die seit 1967 andauere. Die unbewaffnete Zivilbevölkerung, die eigentlich durch das Völkerrecht beschützt werden müsste, werde traumatisiert und lebe in einem dauernden Terrorzustand. Dieses Ergebnis sei beabsichtigt.

Denn durch die Anwendung von unverhältnismäßiger Gewalt wolle Israel den Palästinensern Leid zufügen, um damit ein politisches und nicht ein militärisches Ziel zu erreichen, nämlich den Druck auf die Hamas-Regierung zu erhöhen. Alle diese Aspekte stellten eine "Kollektivstrafe" dar, die gemäß dem humanitären Völkerrecht verboten ist.

Bestrafung

Zwar verurteilen die Völkerrechtler auch den Beschuss Israels mit Raketen aus dem Gazastreifen. Diese seien nicht nur völkerrechtswidrig, sondern auch moralisch verwerflich. Aber die Menschenrechtsverletzung der beiden Parteien könnten aufgrund des unvergleichbaren Ausmaßes nicht als gleichwertig angesehen werden.

Die Experten, darunter die beiden früheren UNO-Berichterstatter für die besetzten Palästinensergebiete, Richard Falk und John Dugard und der renommierte Völkerrechtsprofessor und Richter Georges Abi-Saab, fordern neben einem Ende der Kämpfe die Bestrafung der militärischen und politischen Verantwortlichen, sowie eine Überweisung der Lage in Palästina an der Internationalen Strafgerichtshof.

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