Krim: Milizen erobern dritte Militärbasis

Die russische Flagge über dem Marinestützpunkt in Sewastopol
Mehrere Stützpunkte wurden eingenommen. NATO-Chef nennt Russland "globalen Rüpel". Die EU reagiert mit Hilfszahlungen in Milliardenhöhe, Kiew stellt ein Ultimatum.

Kaum war am Dienstag die Unterschrift unter den Annexionsvertrag der Krim gesetzt, fielen die ersten Schüsse auf der Halbinsel: Bereits am Abend wurde das ukrainische Marine-Hauptquartier von pro-russischen Milizen gestürmt, am Mittwoch setzten die pro-russischen Kräfte – sie sind nach wie vor nicht als russische Soldaten deklariert - ihre Eroberungen fort.

Krim: Milizen erobern dritte Militärbasis
Am Dienstag waren dabei zwei Todesopfer zu beklagen; am Mittwoch gingen die Einnahmen der Stützpunkte bisher friedlich vonstatten. Das Marine-Hauptquartier in Sewastopol wurde kampflos aufgegeben, nach der Erstürmung verließen Soldaten in Zivilkleidung und unbewaffnet das Gebäude. Das Verteidigungsministerium in Kiew berichtete von einem weiteren Angriff auf einen ukrainischen Militärstützpunkt in Nowoosjornoje im Westen der Halbinsel, auch hier ergab man sich kampflos. Mittwochabend wurde zudem die Marine-Basis in Bachtschisarai - rund 30 Kilometer südwestlich von Simferopol - von den Russen eingenommen.

Kiew stellt Ultimatum

Der ukrainische Oberbefehlshaber Sergej Gajduk wurde laut den Aktivisten vorübergehend festgenommen und angeblich vom russischen Geheimdienst in Gewahrsam genommen. Gajduk hatte zuvor die Order der Regierung in Kiew weitergegeben, sich auch mit Waffen zur Wehr zu setzen - der Chef der russischen Schwarzmeerflotte, Alexander Witko, forderte die ukrainischen Truppen auf der Halbinsel auf, diesen Befehl nicht umzusetzen. Bislang ist man seinem Befehl treu geblieben. Die Regierung in Kiew hat allerdings ein Ultimatum zur Freilassung aller Gefangenen gestellt: Die prorussische Regionalregierung auf der Krim habe drei Stunden Zeit, um Gajduk und andere "Geiseln" freizulassen, erklärte der ukrainische Interimspräsident Alexander Turtschinow am Mittwochabend in Kiew. Wenn dies nicht geschehe, werde es eine "angemessene Antwort" geben.

Annexion juristisch vollzogen

Juristisch steht die Eingliederung der Krim in Russland kurz vor dem Abschluss. Am Mittwoch billigte das russische Verfassungsgericht den Anschluss der Halbinsel. Der am Dienstag von Präsident Wladimir Putin unterzeichnete Vertrag stehe im Einklang mit der russischen Verfassung, urteilte das Gericht nach eigenen Angaben. Nun kann der Vertrag dem Parlament zur Ratifizierung vorgelegt werden, dies soll bereits am Donnerstag geschehen. Es wird allgemein mit einer überwältigenden Zustimmung gerechnet.

Die Halbinsel hatte sich am Sonntag in einem Referendum für die Abspaltung von der Ukraine ausgesprochen.

Auch Kiew reagiert darauf mit Sanktionen: Als Reaktion auf die Eingliederung führt die Ukraine für russische Staatsbürger eine Visumpflicht ein. Überdies werde die Ukraine aus der von Moskau geführten Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) austreten, in der sich frühere Sowjetrepubliken zusammengefunden haben.

EU hilft mit 1,6 Milliarden

Die EU-Kommission schnürte unterdessen ein Hilfspaket in der Höhe von 1,6 Milliarden Euro für die Ukraine. Zusätzlich zu den schon zur Verfügung stehenden 610 Mio. Euro werde es eine Mrd. Euro an makrofinanzieller Unterstützung geben, so EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn am Mittwoch in Brüssel. Das Hilfspaket sei jedoch an Fortschritte im Kampf gegen Korruption sowie an ein Ende der massiven Staatssubventionen für Strom geknüpft (mehr dazu unten).

Die Staats- und Regierungschefs der EU kommen am Donnerstag (16.30 Uhr) in Brüssel zusammen, um über die Ukraine-Krise zu beraten. Möglich sind weitere Sanktionen gegen Moskau.

"Globalen Rüpeln die Stirn bieten"

Harte Worte fand indes NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Mittwochabend. Der Däne sieht in der Krim-Krise die größte Sicherheitsbedrohung in Europa seit dem Ende des Kalten Krieges. "Wir haben in den vergangenen Jahren andere Krisen in Europa gehabt - auf dem Balkan in den 90er-Jahren und 2008 in Georgien", heißt es in einer im Voraus veröffentlichten Rede, die Rasmussen am Mittwoch an der Georgetown-Universität in Washington hält.

Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine um die Krim stelle diese Konflikte aber in den Schatten, sagte Rasmussen, und sei ein "Wachruf" für "alle, die einem unversehrten, freien und friedlichen Europa verpflichtet sind".

Sollte Russland seinen Konfrontationskurs fortsetzen, müsse es mit "wachsender internationaler Isolierung" rechnen. Die Mittel des Westens seien aber begrenzt: "Es gibt keine schnellen und einfachen Wege, globalen Rüpeln die Stirn zu bieten."

Ban reist nach Moskau

Auch die UNO soll nun vermitteln. UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon wird am Donnerstag in Moskau erwartet. Dort soll er nach Angaben der Vereinten Nationen in New York unter anderem Präsident Wladimir Putin und Außenminister Sergej Lawrow treffen. Am Freitag reist er weiter in die Ukraine.

Krim: Milizen erobern dritte Militärbasis

Parallel zu den Sanktionen gegen Russland bzw. pro-russische Kräfte auf der Krim, die für das Anschluss-Referendum vergangenen Sonntag verantwortlich waren (siehe oben), arbeitet die EU an finanziellen Hilfen für die Ukraine. Das Land steht nach Angaben der Übergangsregierung kurz vor dem Bankrott. Die EU-Staaten wollen mit monetärer Unterstützung zur Stabilisierung beitragen.

"Auch wenn der Fokus in den letzten Tagen eindeutig auf der Sicherheit und den politischen Entwicklungen lag, sollten wir nicht vergessen, dass sich die wirtschaftliche Situation in der Ukraine in hohem Tempo verschlechtert hat", sagt Wirtschaftskommissar Olli Rehn. "Das ist im Alltag der Ukrainer spürbar, und wir müssen hier helfen. Ein stabiles wirtschaftliches Umfeld ist Voraussetzung für eine Stabilisierung der politischen Situation."

Eine "frische" Milliarde

Die EU-Kommission hat am Mittwoch das Hilfspaket für die Ukraine aufgestockt: Zusätzlich zu 610 Millionen Euro, die schon im Vorjahr genehmigt wurden, wurde nun eine "frische" Milliarde beschlossen. Dazu soll es Mittel vom Internationalen Währungsfonds (IWF) geben.

Ähnlich wie bei den Hilfen aus dem Euro-Rettungsschirm sollen die Gelder in Tranchen ausgeschüttet werden; die ersten 600 Millionen könnten fließen, sobald es eine Einigung mit dem IWF gibt. Und wie beim Rettungsschirm sind die Gelder an Reformen in der Ukraine gebunden: Es müssten, heißt es aus der Kommission, "Reformen, die auch von den Bürgern verlangt werden", mit dem IWF vereinbart werden.

Eine "Troika" für Kiew

Dabei gehe es vor allem um Stukturreformen. Eine Gruppe von Kommissionsbeamten soll demnächst zu Verhandlungen nach Kiew reisen. Zu den notwendigen Maßnahmen zählt aus Sicht der Kommission auch eine Anhebung der bisher äußerst niedrigen Energiepreise.

Diese Zahlungsbilanzhilfen, Teil eines elf Milliarden Euro schweren EU-Hilfspakets, sind nicht alles: Rehn geht davon aus, dass einzelne EU-Staaten zusätzliche bilaterale Finanzhilfen vereinbaren würden. Auch von einer Geberkonferenz für die Ukraine war zuletzt die Rede.

Kurzfristig helfen soll eine Zollerleichterung, die die EU gewähren will: Abgaben auf Exporte aus der Ukraine in die Union sollen drastisch gesenkt bzw. gestrichen werden – ein einseitiges Vorziehen der gegenseitigen Zoll-Senkungen, die das EU-Assoziierungsabkommen mittelfristig bringen soll.

Keine Hoheitszeichen auf den Uniformen, keine Kennungen auf den Fahrzeugen: Offiziell weist Moskau weiterhin jede Verantwortung für die anonymen Militäreinheiten auf der Krim zurück. Unter Militärexperten herrscht dennoch kein Zweifel, welche Truppe Ende Februar in wenigen Stunden die Kontrolle über die Halbinsel übernahm. Es handelt sich um Spezialeinheiten der russischen Armee, die sogenannten Spetsnaz-Truppen. Ihre Einsatzgebiete sind Kommando- und Aufklärungsoperationen, auch hinter feindlichen Linien, und die Bekämpfung von Milizen oder Terrorgruppen.

"Disziplin, Ausbildung und Koordination auf einem eindrucksvoll hohen Niveau" konstatiert etwa ein US-Militäranalytiker den Truppen auf der Krim. Die inzwischen auch zahlenmäßig (siehe Grafik) unterlegenen ukrainischen Einheiten sind für sie keine Gegner.

"Das ist das Ergebnis einer Entwicklung, die Russland seit Jahren konsequent vorantreibt", analysiert Brigadier Wolfgang Peischel von der Landesverteidigungsakademie des Bundesheeres für den KURIER Russlands militärischen Auftritt auf der Krim. Der Kreml habe seit dem Zerfall des Warschauer Pakts geplant, seine Truppen zu modernisieren, doch erst Putin habe diese Pläne auch tatsächlich umgesetzt.

Mit fast vier Prozent seines Bruttonationalprodukts hat Russland das höchste Militärbudget seit mehr als einem Jahrzehnt. Gerade Einsätze in jenen Nachbarländern, die man bis heute als Teil der eigenen Einflusssphäre versteht, wurden in den letzten Jahren regelmäßig in Manövern geübt. Auch Operationen im Baltikum, wie Peischel mahnend bemerkt. Die europäischen NATO-Staaten aber hätten es weitgehend verabsäumt, sich auf diese Entwicklungen militärisch einzustellen.

Leichtere und schnellere Panzer, modernere Handfeuerwaffen, leistungsstärkere Fahrzeuge: Doch neben der Ausrüstung ist es vor allem die Kommandostruktur in vielen Einheiten, die die russische Armee von Grund auf erneuert hat. Kleinere, mobilere Truppeneinheiten wurden geschaffen. Das legendär schlechte Niveau der niederen Offiziersränge in der Roten Armee wurde verbessert. Altgediente, aber reformresistente Offiziere kurzerhand außer Dienst gestellt.

"Gerade wenn ich eine Armee verkleinere und auch kleinere, leistungsstärkere Truppeneinheiten brauche, muss ich meine niederen Offiziersränge besser ausbilden", kommentiert der Brigadier die Reform. Einsätze wie der auf der Krim würden gar nicht so hochgerüstete, sondern vor allem flexible, ohne Verzögerung einsetzbare Truppen brauchen: Eine schnelle Eingreiftruppe eben, bestehend etwa aus Luftlandetruppen und motorisierter Infanterie. Die militärische Schwäche des Gegners mache solche Unternehmen auch ohne vorhergehende Luftangriffe möglich.

Kein Vergleich mit der russischen Armee, wie sie noch vor zehn Jahren im Tschetschenien-Krieg operiert habe, urteilt David Ignatius, prominenter Kommentator der US-Tageszeitung Washington Post. Auch gegenüber der Georgien-Invasion 2008 habe man sich sichtlich verbessert: "Diese Truppe ist gut ausgebildet, operiert unauffällig und hinterlässt kaum Spuren."

Mitglieder der rechtsextremen ukrainischen Partei Swoboda ("Freiheit") haben den Chef eines staatlichen TV-Senders attackiert und zum Rücktritt gezwungen. Grund für die Aktion, die sie filmten und ins Internet stellten, war, dass der Sender die Unterzeichnung des Anschlussvertrags der Krim an Russland ausgestrahlt hatte, berichtete die "International Business Times" am Mittwoch auf ihrer Homepage.

Die Medienbeauftragte der OSZE, Dunja Mijatovic, zeigte sich am Mittwoch in einer Aussendung empört über den Vorfall. In einem Brief an den ukrainischen Interimspräsidenten Alexander Turtschinow sprach sie von einer "abscheulichen Aktion, die gegen alle Werte der Medienfreiheit" gerichtet sei und nicht toleriert werden könne.

"Moskauer Dreck"

Der Vorfall sei umso schwerwiegender, als einige der Angreifer - darunter drei Abgeordnete - nicht nur die Legislative der Ukraine vertreten würden sondern auch noch Mitglieder des Parlamentsausschusses für die Rede- und Informationsfreiheit seien, betonte Mijatovic.

Auf dem Video ist zu sehen, wie die Ultranationalisten den Präsidenten der Nationalen Fernsehgesellschaft der Ukraine, Aleksandr Pantelejmonow schlagen, weil er die Ausstrahlung der feierlichen Unterzeichnung des Annexionsvertrages durch Russlands Präsident Wladimir Putin und die pro-russischen Führer der Krim erlaubt habe. Pantelejmonow wurde beschuldigt, Putin zu dienen und "Moskauer Dreck" zu sein. Der Mob zwang ihn, eine Rücktrittserklärung zu unterschreiben.

Einer der in dem Video zu sehenden Angreifer ist der Ponyschwanz tragende Abgeordnete Igor Myroschnytschenko, der mit zwei weiteren Swoboda-Mitgliedern Pantelejmonow schubst, an der Krawatte zieht und ihn in einen Stuhl zwingt. Während der Maidan-Proteste war der Sender beschuldigt worden, einseitig zugunsten des inzwischen entmachteten Präsidenten Viktor Janukowitsch zu berichten.

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