Hilfskonvoi zurück in Russland

Hilfskonvoi verlässt die Ukraine
Die deutsche Kanzlerin stellt Hilfen für die Ukraine in Aussicht. Poroschenko freut sich über "Merkel-Plan".

Das Tauziehen um den russischen Hilfskonvoi dürfte ein vorläufiges Ende genommen haben: Sämtliche Lastwagen sind nach Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) aus der Ukraine zurückgekehrt. Der Konvoi sei wieder in Russland, sagte der Leiter der OSZE-Beobachtermission am russischen Grenzposten Donezk, Paul Picard, am Samstag der Nachrichtenagentur AFP am Telefon.

Russland hatte am Freitagvormittag den seit Tagen an der Grenze wartenden Hilfskonvoi für die notleidende Bevölkerung in der Ostukraine nach Luhansk geschickt. Laut Kiew gab es kein Einverständnis - laut Kreml schon. Die Angst vor einer Eskalation war groß. Die ukrainische Regierung hatte die Befürchtung geäußert, dass mit dem Konvoi neue Waffen an die prorussischen Separatisten geliefert werden.

Deutschland, der "mächtige Freund“

Am Samstag war die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in Kiew zu Gast. Sie kam zu einem Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zusammen. Merkel will damit ein Zeichen der Unterstützung für die proeuropäische Regierung in Kiew setzen. Sie forderte einen "zweiseitigen Waffenstillstand" zur Beendigung des Konflikts. "Die territoriale Integrität und das Wohlergehen der Ukraine sind wesentliches Ziel der deutschen Politik", so Merkel. Die Kanzlerin kündigte eine Kreditbürgschaft über 500 Millionen Euro für die Energie- und Wasserversorgung sowie 25 Millionen Euro Hilfe für Flüchtlinge an.

Poroschenko betonte, an seinem Friedensplan für den krisengeschüttelten Osten des Landes festhalten zu wollen. "Krieg ist nicht unsere Wahl, er wurde uns von außen aufgedrückt", sagte der Präsident der Ex-Sowjetrepublik. Mit der Kanzlerin habe er über Pläne gesprochen, die Infrastruktur im Unruhegebiet Donbass wiederaufzubauen. Dazu habe Merkel die Finanzhilfe in Aussicht gestellt. "Das ist der Beginn des Merkel-Plans für den Wiederaufbau des Donbass", sagte Poroschenko. Deutschland sei ein "mächtiger Freund" und "starker Anwalt" der Ukraine in der Europäischen Union. "Ich möchte betonen, dass Frau Merkel wie keine andere die Probleme kennt, mit denen die Ukraine konfrontiert ist", sagte Poroschenko.

Im Osten der Ukraine liefern sich ukrainische Regierungstruppen und prorussische Aufständische seit Monaten Gefechte. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden seit dem Beginn des Konflikts mehr als 2100 Menschen getötet. Mehr als 285.000 Menschen sind auf der Flucht. Die ukrainische Regierung und der Westen werfen der russischen Regierung vor, die Separatisten im Osten der Ukraine mit Waffen und Kämpfern zu unterstützen. Moskau weist dies jedoch regelmäßig zurück. Eine vom UN-Sicherheitsrat anberaumte Dringlichkeitssitzung zum Ukraine-Konflikt ist in der Nacht zum Samstag ohne konkrete Ergebnisse zu Ende gegangen.

EU verurteilt Ermordung eines Diplomaten in Luhansk

Die EU hat die Ermordung eines litauischen Diplomaten in der Ostukraine am Samstag als "Terror-Tat" verurteilt. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gebracht werden, teilte ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in der Nacht zum Samstag mit. Er erneuerte die Forderung der EU nach einer politischen Lösung des Konflikts zwischen Armee und Aufständischen in der Ostukraine. In der Krisenregion um die Großstadt Lugansk hatten Unbekannte den Honorarkonsul erschossen.

Gefechte in Donezk

Bei Kämpfen in der ostukrainischen Separatistenhochburg Donezk hat es am Samstag bereits wieder Tote gegeben, mindestens zwei Zivilisten sind getötet worden. Das Zentrum der Stadt, in der vor dem Konflikt eine Million Menschen lebten, war am frühen Morgen unter Artilleriebeschuss geraten. Nach mehreren heftigen Explosionen sah ein AFP-Reporter die Leichen von zwei Menschen auf der Straße. Gebäude, Bäume und die Gleise der Straßenbahn wurden beschädigt.

Ruhig ist es inzwischen um die Ermittlungen zum Abschuss der malaysischen Passagiermaschine Mitte Juli geworden. Die Blackbox wird derzeit noch untersucht.

Nach Wochen der Demonstrationen und Dutzenden Toten bei Zusammenstößen mit der Polizei durfte die Protestbewegung auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz vor genau einem halben Jahr, in der Nacht auf 23. Februar, feiern: Das Parlament erklärte den Moskau-hörigen Präsidenten Viktor Janukowitsch für abgesetzt, die frühere Symbolfigur der orangen Revolution, Julia Timoschenko, kam aus der Haft frei, für 25. Mai wurden Präsidentenwahlen angesetzt. Der Preis dafür folgte auf dem Fuß: Die von Russlands Präsident Wladimir Putin orchestrierte Abspaltung der Halbinsel Krim per "Referendum" und der Krieg der Separatisten in der Ostukraine.

Marina Weisband, ehemalige Frontfrau der deutschen Piratenpartei mit ukrainischen Wurzeln, war auf dem Maidan dabei und reist kommende Woche wieder in die Ukraine.

KURIER: Was waren denn die Erwartungen der Menschen auf dem Maidan nach ihrem Sieg?

Marina Weisband: Es war eine Feierstimmung, in der eine unbestimmte Sorge mitschwang. Niemand wusste ja, wie es weitergeht.

Dachte man an einen Konflikt mit Russland?

Niemand hat mit einem so großen Konflikt mit Russland gerechnet, und an eine Annexion der Krim hat überhaupt niemand gedacht. Man fürchtete eher, dass Radikale und einzelne Politiker und Oligarchen den Protest für sich instrumentalisieren, und dass es bei Neuwahlen zu Unruhen kommen kann.

Was war das Hauptziel der Proteste: Janukowitsch, der die Ukraine keinen Schritt weiterbrachte, zu stürzen und/oder die Annäherung an die EU?

Es gab viele Motive. Anfangs ging es darum, die Verantwortlichen für Polizeigewalt am ursprünglichen Euromaidan zu bestrafen. Es kam viel soziale Unzufriedenheit hinzu. Und dann wuchs die Bewegung, weil die Menschen sich zu wehren begannen, dass Kiew alles macht, was Russland vorgibt – das wurde ihnen ja deutlich vorgeführt mit dem zuerst versprochenen Assoziierungsabkommen mit der EU, das nach einem Gespräch Janukowitsch/Putin doch nicht unterzeichnet wurde.

Rückblickend: War es von der EU sehr geschickt, die Ukraine mit dem Abkommen aus dieser Russland-Nähe lösen zu wollen?

Es wurde nicht beachtet, was für einen Rieseneinschnitt das für das Verhältnis EU/Russland bedeuten musste. Das hätte man diplomatisch sehr viel besser vorbereiten müssen.

Die EU war zu blauäugig?

Genau, es schien, als wäre dieses Abkommen für Brüssel einfach ein technologisch-bürokratischer Akt. Dass Putin damit die Felle davonschwimmen würden, bedachte offenbar niemand.

Jetzt, wo Putin die Krim annektiert und die Ostukraine destabilisiert hat: Was kann der Westen noch machen, außer Sanktionen zu verhängen?

Ich glaube nicht, dass die Sanktionen allein wirklich sinnvoll und effektiv sind. Dringend wäre etwas anderes: Die Ukraine durch Wissen und Experten zu unterstützen, wie man die Korruptionsbekämpfung vorantreiben, die Demokratie stärken und radikalen Gruppen entgegenstehen kann, um die Ukraine von innen heraus zu stärken. Und Putin deutlich zu zeigen, dass man die Verschiebung von Grenzen nicht anerkennt.

Sie meinen die Herauslösung der Krim.

Das ist ein Präzedenzfall für die Zukunft: Darf man in Europa einfach so hingehen und einem Land Territorium wegnehmen?

Ja, aber wie reagieren?

Auf keinen Fall eine Front mit Russland aufbauen und von Krieg reden, wie Herr Rasmussen das tut (NATO-Generalsekretär, Anm.), das halte ich für sehr gefährlich.

Der Philosoph Richard-David Precht sagte im KURIER, Putin ohne Beweise für den MH17-Abschuss verantwortlich zu machen, sei "unfassbar", und der Westen wollte nicht Demokratie und Freiheit für die Ukraine, sondern sie Putin wegnehmen – können Sie das teilen?

Also Faktum ist, das die Ukrainer Souveränität wollten. Dem widerspricht auch nicht, dass die Ukrainer im Osten ebenfalls mehr Autonomie für sich wollten, was in der neuen Verfassung so geregelt ist. Und Putin kann man natürlich nicht beweisen, dass er hinter dem Abschuss steckt; ich weiß auch nicht, ob die Russen, die in der Ostukraine kämpfen, von ihm geschickt wurden oder auf eigene Faust da sind. Aber was man Putin beweisen kann: Er hat die Krim Russland einverleibt. Und er könnte darauf hin wirken, die Lage zu beruhigen, wenn er den Separatisten in der Ostukraine sagte: "Freunde, ich werde euer Gebiet nicht nach Russland nehmen" – dann fiele ihr Grund zum Kämpfen weg. Und das tut er nicht.

Wenn Sanktionen nichts nützen, wie bremst man Putin dann?

Es werden wohl Verhandlungen sein müssen.

Was fürchten Ihre ukrainischen Freunde zurzeit am meisten?

Natürlich Putin, und dass er irgendwann einen offenen Krieg erklärt. Und innere Unruhen. Kürzlich hat jemand in einer Talkshow vorgeschlagen, die Nationalgarde vor das Kiewer Parlament zu stellen, um Druck zu machen.

Druck wofür?

Das Parlament ist ja noch nicht neu gewählt und verhindert mit Mehrheiten der alten Regierungspartei sämtliche Reformen der Regierung. Aber wenn eine der vielen bewaffneten Kräfte in der Ukraine anfängt, Druck auf die Politik auszuüben, wird es ganz, ganz gefährliche. Und je länger der Konflikt in der Ostukraine schwelt, desto mehr Zulauf könnten radikale Gruppen bekommen.

Könnten Sie sich vorstellen, heute in der Ukraine zu leben?

Nein. Ich war dort, ich fahre wieder hin, habe Verwandte dort – aber das Gesundheitssystem, das soziale System, das Rentensystem, das ist auf so heruntergekommenem Niveau, so voller Korruption, da hätte ich es als in Deutschland Sozialisierte sehr schwer, zurechtzukommen.

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