Im Kernland der Kurden

Demonstrationen für Öcalan: Er bleibt die Zentralfigur für die Kurden der Türkei
Der KURIER traf den Bruder von Kurdenführer Öcalan in der Südosttürkei

Auf der Fahrt nach Urfa (Südosttürkei) macht der Bus einen Abstecher von der Haupt- in eine Land- und dann in eine holprige Dorfstraße. "Geradeaus, dann links", deuten die ersten Bewohner von Ömerli bevor noch gefragt wird. Der Bus mit zwei Dutzend Fahrgästen stoppt bei einem der kleinen Häuser mit Hof. Es ist ein stetes Kommen und Gehen. Kinder des Dorfes laufen rein und raus, betrachten die Fremden ein wenig neugierig.

Öcalan-Bruder

Im Kernland der Kurden
Mehmet Öcalan
Quer über den Hof sind kleine gelbe Fahnen gespannt unter anderem mit Bildern jenes Mannes, den viele hier in Anatolien, dem Osten der Türkei und in der kurdischen Diaspora in der ganzen Welt schätzen, verehren. Als Personifizierung des Befreiungskampfes, des Widerstandes dagegen, dass einem Millionenvolk fast 100 Jahre lang sogar die eigene Sprache verboten worden war. Und der in anderen Teilen seines Heimatlandes sowie in anderen Ländern ein Terrorist genannt wird: Hier lebte der Anführer der Kurden-Guerilla PKK Abdullah Öcalan (siehe Kasten), der seit 16 Jahren auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer vor Istanbul inhaftiert ist. Sein Bruder Mehmet wohnt noch immer hier.

Wie geht es Ihrem Bruder?, will der KURIER-Reporter wissen. "Das kann ich leider nicht sagen, seit 6. Oktober des Vorjahres durfte ich ihn nicht mehr besuchen. Die türkischen Behörden handeln willkürlich und schikanös."

Den stockenden Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK sieht er dennoch positiv. "Kurdische Kämpferinnen und Kämpfer konnten in Syrien Kobane befreien. Das gibt auch der kurdischen Sache in der Türkei Rückenwind. Ich bin zuversichtlich, dass es diesmal klappen wird, zu einer friedlichen und demokratischen Lösung zu kommen.".

Im Wahlkampf

In Amed, wie Diyarbakır auf Kurdisch heißt, traf der KURIER zudem den Staatsrechtsprofessor der Uni Ankara, Mithat Sancar. Für die Parlamentswahlen am 7. Juni wird er erstmals kandidieren. Und zwar für die Halkların Demokratik Partisi (HDP, Demokratische Partei der Völker). Diese Gruppierung setzt sich primär aus dem linken kurdischen Spektrum zusammen, hat sich aber auch sozialen Bewegungen im Westen der Türkei geöffnet. Darunter für die Gezi-Park-Aktivisten in Istanbul, die zunächst gegen ein Bauprojekt protestiert hatten, sich aber bald gegen die islamisch-konservative AK-Regierungspartei und deren starken Mann, den jetzigen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan wandten.

Ziele der HDP sind die Demokratisierung des ganzen Landes und die Gleichberechtigung aller Völker sowie Glaubensgemeinschaften. Das Bündnis stellt damit die Kurdenfrage auf eine breitere Basis – was nicht zuletzt auch für den Einzug ins türkische Parlament mit seiner Zehn-Prozent-Hürde erforderlich ist.

Sollte Mithat Sancar ins Parlament einziehen, sieht er eine seiner Hauptaufgaben in der Ankurbelung des Friedensprozesses. Allerdings, betont der Jurist, werde es kein bedingungsloses "Die Waffen nieder" geben. Das habe auch "Abdullah Öcalan aus dem Gefängnis heraus betont". Es solle ein Kongress organisiert werden, auf dem die Friedensbedingungen formuliert werden sollen. Klar sei: "Es muss Freiheitsgarantien für die dann Ex-Kämpferinnen und Ex-Kämpfer geben", fordert Sancar.

Sozialer Wandel

Wichtig sei es, die Zehn-Prozent-Hürde zu überspringen, sagt der HDP-Kandidat, "das wird helfen, die Regierung an den Verhandlungstisch zu bringen". Eine Beilegung des kurdischen Konflikts nach all den Jahren und mit fast 40.000 Toten wäre insgesamt eine Stärkung der demokratischen Strukturen in der Türkei und der sozialen Bewegungen, meint Sancar. Der gesellschaftliche Wandel würde in Gang kommen.

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