Koordinatoren berichten von katastrophaler Lage

UNO-Hochkommissarin Navi Pillay will keine Straffreiheit tolerieren - auf keiner Seite.

Im Krieg zwischen Israel und militanten Palästinensern leidet die Bevölkerung im Gazastreifen immer mehr. UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos und der Leiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA), Pierre Krähenbühl, berichteten am Donnerstag dem UNO-Sicherheitsrat über die katastrophale Lage der Menschen.

Der langjährige Sprecher des UN-Palästinenserhilfswerks (UNWRA), Chris Gunness, brach angesichts der schlimmen Zustände bei einem Live-Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al-Jazeera in Tränen aus. "Die Rechte der Palästinenser, sogar ihrer Kinder, werden völlig verwehrt, und es ist entsetzlich", sagte Gunness und begann zu schluchzen. "UNWRA ist in Gaza total überfordert, wir stehen vor den Zusammenbruch, unsere Mitarbeiter werden getötet, unsere Schutzräume quellen über", schrieb Gunness auf Twitter. "Wo soll das enden?"UNRWA-Sprecher Chris Gunness brach vor laufender Kamera in Tränen aus.

Trotz steigender Opferzahlen auf beiden Seiten sowie massiver Zerstörung im Gazastreifen ist eine Waffenruhe nicht in Sicht. Amos forderte eine tägliche Feuerpause, um den Not leidenden Menschen zu helfen. "Wir brauchen jeden Tag eine Waffenruhe, die verlässlich ist. Dann können unsere Helfer die Menschen versorgen, Verwundeten kann geholfen und Tote können beerdigt werden", sagte sie. "Wir rufen beide Seiten auf, solch einen täglichen Waffenstillstand zu vereinbaren."

220.000 Menschen suchen Schutz

Nach UN-Angaben haben bereits rund 220.000 Menschen in dem blockierten Palästinensergebiet Schutz in UN-Schulen gesucht. Die israelische Militäroffensive fordert indes immer mehr Opfer. Nach Angaben des Sprechers des palästinensischen Gesundheitsministeriums, Ashraf al-Kidra, stieg die Zahl der Toten bis zum Abend auf 1.400. Weitere 8.220 Menschen wurden demnach in Gaza seit dem Beginn der Kämpfe am 8. Juli verletzt.

Das Büro des Korrespondenten der Nachrichtenagentur dpa im Gazastreifen wurde von einem Geschoss getroffen und schwer beschädigt. In dem Gebäude im Zentrum der Stadt Gaza seien mehrere palästinensische Medien untergebracht, sagte Korrespondent Saud Abu Ramadan. Weil das Büro zum Zeitpunkt des Angriffs leer war, wurde niemand verletzt. Das israelische Militär prüft den Vorfall.

Die israelische Armee plant, ihre Offensive noch auszuweiten. Wie der Rundfunk meldete, hat das Militär 16 000 weitere Reservisten mobilisiert. Damit beläuft sich die Zahl der einberufenen Reservisten auf insgesamt 86.000.

Keine Feuerpause in Sicht

Ministerpräsident Benjamin Netanyahu erklärte am Donnerstag, Vorschläge für eine Waffenruhe seien nur akzeptabel, wenn Israel weiter Tunnelanlagen im Gazastreifen zerstören könne. Die Armee habe bereits Dutzende "Terror-Tunnel" zerstört, sagte er vor einer Regierungssitzung in Tel Aviv. "Dies ist nur die erste Phase einer Entmilitarisierung des Gazastreifens", fügte Netanyahu hinzu. "Die Armee ist weiter mit voller Macht im Einsatz." Auch die im Gazastreifen herrschende Hamas lehnt eine Waffenruhe ab. Ihre Kämpfer feuerten erneut mehr als 50 Raketen auf israelische Ortschaften ab, wie eine israelische Militärsprecherin bestätigte.

Auf der israelischen Seite sind nach Armeeangaben bisher 56 Soldaten und drei Zivilisten ums Leben gekommen. Mehr als 100 Soldaten liegen noch in Krankenhäusern. Die israelische Hilfsorganisation Magen David Adom teilte mit, bisher seien rund 600 Zivilisten wegen Verletzungen und Schockzuständen behandelt worden.

Angesichts der steigenden Totenzahlen und der verheerenden Zerstörungen erklärte Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas den Gazastreifen zum "humanitären Katastrophengebiet". Er forderte die Vereinten Nationen auf, alles zu unternehmen, um den Menschen zu helfen.

Beschuss auf UN-Schule

Israel verletzt im Gazastreifen laut dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte zweifellos Völkerrecht. Das Land missachte Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Vorsicht, sagte die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte Navi Pillay am Donnerstag in Genf bei einer Pressekonferenz.

Die Attacken des israelischen Militärs gegen Spitäler und Schulen des UNO-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) könnten als Kriegsverbrechen angesehen werden, sagte Pillay weiter. Falls die Hamas Raketen in Schulen, Spitälern oder Moscheen, wo Menschen Zuflucht suchen, lagere oder abschieße, verletze dies ebenfalls Völkerrecht, sagte Pillay. Sie fügte allerdings an: "Dies erlaubt Israel nicht, seinerseits die Bestimmungen der Genfer Konventionen zu missachten." Auch die USA kritisieren die Vorgehensweise Israel. Grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen Israel und den USA offenbar gerade mehr als angespannt.

Die Hochkommissarin will keine Straffreiheit tolerieren - auf keiner Seite. Pillay erinnerte an die Abmachungen des Goldstone-Berichts über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Abmachungen seien immer noch gültig, sagte sie und bedauerte, dass die internationale Gemeinschaft diese nicht umgesetzt habe. (Der Goldstone-Bericht vom September 2009 hatte sowohl Israel als auch den bewaffneten palästinensischen Gruppen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Gaza-Krieges 2008-2009 vorgeworfen.)

Pillay kritisierte auch die Zerstörung eines Kraftwerks - dies sei eine klare Verletzung des Völkerrechts. Die Einwohner von Gaza hätten nur noch zwei Stunden Strom pro Tag zur Verfügung, sagte sie und fügte an: "Das schränkt ihr Recht auf Gesundheitsversorgung, Nahrung und Unterkunft ein."

Eine Sprecherin der israelischen Armee sagte zu dem Vorfall, militante Palästinenser hätten in der Nähe der Schule mit Granatwerfern auf israelische Soldaten gefeuert. Die Truppen hätten das Feuer erwidert. Es ist die zweite Schule, die binnen einer Woche getroffen wurde.

USA liefern Israel neue Munition

Trotz der Differenzen haben die USA nur wenige Stunden nach dem tödlichen israelischen Beschuss der Schule Israel mit neuer Munition versorgt. Die US-Regierung entsprach damit am Mittwoch einer israelischen Anfrage vom 20. Juli, wie das Verteidigungsministerium in Washington mitteilte. US-Verteidigungsminister Chuck Hagel habe die Lieferung drei Tage später genehmigt.

Koordinatoren berichten von katastrophaler Lage
epa04321775 Pentagon Press Secretary Rear Admiral John Kirby responds to a question from the news media about the shooting down of Malaysia Airlines Flight 17 during a press conference at the Pentagon in Arlington, Virginia, USA, 18 July 2014. US President Barack Obama said today that at least one American was a passenger on Malaysia Airlines Flight 17 when it was shot down by a missile over Eastern Ukraine. EPA/SHAWN THEW

Pentagonsprecher John Kirby sagte, es habe sich um eine "rein ministerielle Entscheidung" gehandelt, eine Billigung des Weißen Hauses sei nicht nötig gewesen. Die USA stünden für die Sicherheit Israels ein, sagte Kirby. Es sei für die nationalen Interessen der USA "entscheidend", Israel dabei zu helfen, seine Fähigkeit zu einer "starken und reaktiven Selbstverteidigung" zu entwickeln und aufrecht zu erhalten. Der Waffenverkauf stehe mit diesen Zielen im Einklang. Ein Teil der Munition im Wert von umgerechnet rund 750 Millionen Euro stammt aus einem Zwischenlager der US-Armee auf israelischem Boden, sie steht den israelischen Streitkräften im Notfall zur Verfügung.

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