Regierungsbildung live im TV verhandelt

Zoran Milanovic
Um verdrossene Wähler wieder zu begeistern, setzt die Regierung auf Transparenz.

Das jüngste EU-Mitglied Kroatien hat ein demokratiepolitisches Experiment gestartet, um enttäuschte Wähler zurückzuholen. Die drei tief zerstrittenen politischen Parteien haben am Montag in einem Luxushotel in Zagreb über die Regierungsbildung verhandelt - und alle wichtigen Medien übertrugen den Schlagabtausch live.

In Kroatien wie in vielen anderen europäischen Ländern herrscht dasselbe Bild: Die Bürger sind von ihren Politikern enttäuscht und kommen immer seltener zur Wahl. Jetzt zeigten sich die drei wichtigsten Parteien erstmals in der Geschichte des Adriastaates besonders transparent. Sie ließen ihre Verhandlungen übertragen. Möglich macht das die zur drittstärksten politischen Kraft aufgestiegene Partei Most (Brücke), die den etablierten Großen offensichtlich Dampf macht. Bisher hatten die regierenden Sozialdemokraten (SDP) und die oppositionelle HDZ die Regierungen immer unter sich ausgemacht. Die letzte Parlamentswahl vor einem Monat hat die Karten neu verteilt.

Parteiloser Premier?

Egal, wer in der Vergangenheit regierte: Die Bürger beklagten überbordende Bürokratie, Korruption, eine Selbstbedienungsmentalität der Politiker sowie eine tiefe wirtschaftliche und soziale Krise. Jetzt kommt die Most-Partei und macht Druck, damit es endlich tiefgreifende Reformen gibt. Die Neuen hatten die beiden Altparteien auch zu der öffentlichen Politverhandlung eingeladen. Und sie brachten mit ihrem Ultimatum Sozialdemokraten und Konservative gleich zu ungläubigem Staunen. Schon bis zum Wochenende sollen beide entscheiden, ob sie dem Most-Vorschlag zustimmen, einen Parteilosen als Regierungschef zu küren. Das wäre ein Tabubruch in der Politik.

"Dafür habe ich kein Mandat", windet sich Noch-Ministerpräsident Zoran Milanovic. Das sei "ungerecht", ist auch Oppositionsführer Tomislav Karamarko unzufrieden. Doch Most-Führer Bozo Petrov bleibt hart. "Ist das für Sie akzeptabel oder nicht?", will er noch in dieser Woche wissen. Nach seinem Willen soll es zu einem tiefen politischen Schnitt kommen, um das EU-Land mit einer Reform des Justizapparates, der öffentlichen Verwaltung und des politischen Systems für die Zukunft fit zu machen. Wenn das nicht geschafft wird, muss es Neuwahlen geben. Das kommt in EU-Ländern auch nicht häufig vor. Schon rätseln die Meinungsforscher, wer von den drei Parteien von den Wählern belohnt und wer abgestraft wird.

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