Deutsche gehen für IS in den Tod

Während heimische IS-Dschihadisten kämpfen, lassen ausländische Anhänger ihr Leben bei Selbstmordattentate
Immer mehr deutsche IS-Kämpfer werden als Selbstmordkommandos identifiziert.

Vor gut einem Monat bei Mossul: Der Islam-Konvertit Philip Bergner aus Dinslaken sprengt sich mit einem Wagen voller Sprengstoff in die Luft – und tötet 20 Menschen.

Deutsche gehen für IS in den Tod
youtube.com / WDR
Bisher haben diedeutschenBehörden fünf eigene Staatsbürger als Selbstmordattentäter identifiziert, einige mehr gelten als möglich bis wahrscheinlich. "Beweisbar ist das ja kaum ", sagt der Verfassungsschutz, der Inlandsgeheimdienst, auf Anfrage.

Ein ihm auch bekannter Täter ist ein 21-jähriger Deutsch-Türke aus Nordrhein-Westfalen, der im Juli über die Türkei in den Irak reiste und sich kurz darauf im Süden Bagdads in die Luft sprengte: 54 Menschen, davon viele Frauen und Kinder, starben. Das sagte ein vom irakischen Militär gefangener IS-Mann, der den Täter zum Anschlagsort gebracht haben und drei weitere auf ihren Selbstmord-Einsatz wartende Deutsche getroffen haben will.

Der Berliner Terrorismus-Experten Guido Steinberg hält die deutsche Dschihadisten-Szene für die "dynamischste Europas". Auch jüngste Berichte deutscher Medien erwecken bewusst diesen Eindruck. Ob der stimmt, ist aber offen: Laut dem Londoner Forschungsinstitut ICSR kämpfen über 12.000 Ausländer aus 74 Ländern für den IS und stellen damit ein Fünftel seiner Kämpfer. 400 kamen aus Deutschland, und davon sind laut Verfassungsschutz 130 wieder zurückgekehrt, "einige Dutzend mit Kampferfahrung". Sie gelten teils als ernüchtert, teils aber als noch mehr motiviert und nun potenzielle Attentäter in Deutschland.

Hier ist die Szene der bis zu 10.000 Salafisten vor allem in Bonn, Berlin und dem Ruhrgebiet aktiv, von da kommen auch die meisten IS-Kämpfer. Florian Endres vom Bundesamt für Migration: "Oft bildet eine Sinnsuche oder Lebenskrise den Nährboden für radikale islamistische Ideologien". Der Salafismus biete scheinbar klare Antworten und Strukturen: "Das Gemeinschaftsgefühl ist sehr ausgeprägt. Man begreift sich als Elite."

Eine unveröffentlichte Studie der Länder-Innenminister schätzt, dass zwei Drittel keinen Schulabschluss oder Beruf haben, also perspektivlos sind. Sie erliegen besonders leicht der Propaganda der Salafisten und der im Internet: "Da kann die Reise nach Syrien eine Form der Selbstfindung oder -Bestätigung sein", so Endres.

Vor Ort

Im IS-Kampfverband spielen Deutsche selten wichtige Rollen: "Ein Problem ist die fehlende kulturelle Kompetenz", so Marwan Abou-Taam, Spezialist im Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz. Die "Almanis" eckten vor Ort häufig an, dazu komme mangelnde Kampferfahrung: "Die meisten waren nicht bei der Bundeswehr", arabische Kämpfer hätten aber meist Wehrdienst geleistet. Ausländer, auch Deutsche, werden daher gerne als Selbstmordattentäter in die Linien des Gegners geschickt, um eine Lücke für die anderen Kämpfer mit ihren Geländewagen zu reißen.

Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) verbot am Freitag die IS und damit auch deren Propaganda. Kanzlerin Merkel äußerte zuletzt am Dienstag ihre Sorge beim Empfang des Emirs von Katar, Khalifa Al Thani. Er galt westlichen Geheimdiensten lange als einer der Finanziers des IS, wies das aber in Berlin entschieden zurück. Merkel sagte, sie habe nun "keinen Grund, daran zu zweifeln": Katar sei seit Montag Mitglied der internationalen Anti-IS-Koalition.

Die bisher genannte Zahl von etwa 140 Syrien-Kämpfern aus Österreich müsse seit Beginn des IS-Terrors stark erhöht werden, erklärt ein Verfassungsschützer dem KURIER. Genauere Schätzungen traut sich niemand zu. Die Zahl der im Syrien Konflikt getöteten Terror-Söldner aus Österreich liegt inzwischen bei etwa 30. Mehr als 60 Rückkehrer werden vom Verfassungsschutz als große Gefahr für die innere Sicherheit eingestuft. Sie könnten jederzeit für Terroranschläge aktiviert werden. Außerdem unterstützen sie die hierzulande auf Hochtouren laufenden Rekrutierungsaktivitäten des IS.

Migranten

Es handelt sich fast ausschließlich um österreichische Staatsangehörige,deren Familien aus Südosteuropa und der Westbalkan-Region stammen. Ein großer Anteil rekrutiert sich auch aus Tschetschenen, die in Österreich über einen gültigen Aufenthaltstitel verfügen.

Eine besondere Bedeutung für österreichische Dschihadisten kommt dem Westbalkan zu. So soll ein Teil der Radikalisierung in abgeschotteten Dörfern in Bosnien stattfinden. Über eine bosnische Jugendorganisation in Wien ist hier ein starker Österreich-Bezug gegeben. Es gibt auch schon Fälle, wo Dschihadisten zwecks besserer finanzieller Absicherung ihre Familien nach Syrien mitnehmen. Im Visier des Verfassungsschutzes stehen auch einige "Hassprediger", die Jugendliche für den Märtyrertod begeistern.

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