Ist der Islamische Staat auf dem Rückzug?

Drohungen und Terrorkomplotte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der IS geschwächt ist.

Europol warnt vor groß angelegten Anschlägen weltweit und vor allem in Europa; Frankreichs Innenminister Cazeneuve sagte in einem Interview, im Jahr 2015 seien in Frankreich elf groß angelegte Terroranschläge verhindert worden; und der IS meldet sich mit einer wie immer in Hochglanz produzierten Videobotschaft. Der Titel: "Tötet sie, wo Ihr sie findet". Der Inhalt: Abschiedsbotschaften der neun Attentäter von Paris, die gezeigt werden, wie sie anscheinend in Syrien oder dem Irak Geiseln enthaupten oder erschießen und dabei Hasstiraden gegen "Ungläubige" loslassen. Konkret wird dabei Großbritannien als Ziel genannt. Untermalt ist das Machwerk von Kampfgesängen. Dazwischen montiert sind Aufnahmen der Anschläge vom 13. November, bei denen 130 Menschen starben. Die Täter werden in dem Video als "Löwen" beschrieben, die Frankreich in die Knie gezwungen hätten.

Seit den Anschlägen gilt in Frankreich der Ausnahmezustand – und vor allem um diesen ging es in der Wortmeldung des Französischen Innenministers gegenüber dem TV-Sender France 5. Ende Februar laufen die Sonderbefugnisse für die Sicherheitsorgane aus. Die Regierung in Paris will sie aber um drei Monate verlängern.

IS in der Defensive

Und auch der IS verfolgt mit seiner 17-minütigen Video-Blutoper ganz profane Ziele: Es läuft nicht gut für den IS, Beobachter sehen das Gebilde dem Kollaps nahe. Großen Offensiven sowohl im Irak als auch in Syrien hatte der IS zuletzt wenig entgegenzusetzen. Laut der Aktivistengruppe "Raqqa is being slaughtered silently", die unter Lebensgefahr Nachrichten aus der inoffiziellen IS-Hauptstadt Al-Rakka bringt, keimt bereits mehr oder weniger offener Widerstand gegen die Miliz auf IS-Gebiet. Für Unmut sorgen anscheinend die Umtriebe ausländischer Kämpfer, die Rekrutierung von Kindern als Kanonenfutter und nicht zuletzt die katastrophale Versorgungslage.

Anscheinend ist der IS derzeit vor allem damit beschäftigt, eine Massenflucht aus seinem Gebiet zu unterbinden. Zugleich musste der IS aber auch den Sold für seine Kämpfer halbieren, weil die eigenen Finanzquellen austrocknen. Denn laut entdeckten Dokumenten finanziert sich die Miliz gar nicht so sehr aus Ölschmuggel (Anlagen in Syrien und dem Irak bräuchten Investitionen, die der IS nicht aufbringen kann) als durch Import-Zölle und Wegelagerei – was wiederum die Waren auf IS-Gebiet teuer macht.

All das trifft die Lebensader des IS – die Anziehungskraft auf ausländische Kämpfer. Und konnten Kämpfer lange praktisch ungehindert über die Türkei einreisen, so ist diese Grenze jetzt dicht – außerdem kontrolliert der IS nach Niederlagen in Syrien nur mehr einen rund 60 Kilometer langen Abschnitt der Grenze zur Türkei.

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