"Die Bombe tickt nicht im Iran"

Netanyahu im Konflikt mit den USA, aber daheim sind soziale Sorgen größer als die Angst vor Teheran.

Vor seiner Abreise in die USA bezeichnete Israels Premier Benjamin Netanyahu seine schon im Vorfeld umstrittene Rede vor dem Kongress als "historisch". Ein Radio-Kommentator merkte an, "das Wort hysterisch treffe nicht weniger zu". In Israel zeichnet sich die Rede schon jetzt nicht als der erhoffte Wahlkampferfolg ab.

Auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv stehen seit Sonntag wieder die Zelte. Es soll aussehen wie eine Neuauflage der Sozialproteste von 2011, ist jedoch in Wahrheit ein Gag im Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 17. März. Auf einem Spruchband steht: "Bibi, die Bombe tickt nicht im Iran. Sie tickt in Israel, wenn gut ausgebildete junge Menschen auswandern." Hinter der Aufschrift versammelten sich nur ein paar Dutzend Demonstranten. Bestätigen würde den Spruch aber auch eine klare Mehrheit der Wähler: Niedrigere Preise für Wohnung und Einkaufskorb sind in Umfragen in diesem Wahlkampf wichtiger als die iranische Atombombe.

Auch bei Likud-Wählern schwindet die Zustimmung für Netanyahu. Und die Bereitschaft, zur Urne zu gehen.

In den USA fällt das Urteil anders aus. 45 Prozent der US-Bürger teilen Israels Besorgnis vor dem sich abzeichnenden Nuklear-Abkommen mit Iran (siehe Berichte unten). Nur 20 Prozent lehnen die Rede und Netanyahus Kritik im Voraus ab. Das Interesse ist enorm. "Wir haben keine freien Sessel mehr", berichtet John Boehner, Sprecher des Repräsentantenhauses und Gastgeber.

Er hatte Netanyahu eingeladen. Gegen den Wunsch des Weißen Hauses. Susan Rice, die Sicherheitsberaterin von US-Präsident Barack Obama, bezeichnete daher die Rede sogar als "zerstörerisch für die Beziehungen" zwischen den USA und Israel.

Eine Einschätzung, der auch "eine führende Persönlichkeit" in der Netanyahu-Delegation nicht ganz widerspricht. Gemeint ist mit dieser Umschreibung meist der Premier persönlich, der ungenannt bleiben will. Es gehe nicht mehr um die Möglichkeit, die US-Regierung vom geplanten Abkommen abzubringen, zitieren die Medien. "Jetzt kann nur noch der Kongress dieses Abkommen und seine schlimmen Folgen eindämmen."

Tatsächlich hängt das Abkommen mit dem Iran von der Zustimmung im Kongress mit seinen republikanischen Mehrheiten ab. Daher verwundern die versöhnlicheren Töne aus dem Weißen Haus in den letzten Tagen nicht. Obama muss sich arrangieren. Noch vor der Rede Netanyahus am Montag vor der Israel-Lobby AIPAC erinnerte er an die positiven Schritte seiner Politik zur Unterstützung Israels.

Front durch alle Lager

Ähnliche Krisen zwischen Washington und Jerusalem gab es mehrfach auch in der Vergangenheit. Früher aber zog sich die Front für oder gegen Israel quer durch die Parteien in Washington und auch das Weiße Haus. Diesmal läuft die Unterstützung Israels längs der Parteiengrenzen zwischen Republikanern und Demokraten.

Die Spaltung ist auch eine harte Zerreißprobe für die Israel-Lobby selbst. Netanyahus Erklärung, "ich vertrete auf dieser Reise das gesamte jüdische Volk", blieb nicht unwidersprochen. Ausgerechnet Dianne Feinstein, eine der bekanntesten pro-israelischen Abgeordneten im Kongress, konterte: "Das jüdische Volk hat mehr als eine Stimme." Netanyahu hat also mehr als einen Grund auch in seiner Rede versöhnlichere Töne anzustimmen.

Am heutigen Dienstag wird Israels Premier Benjamin "Bibi" Netanyahu die wahrscheinlich heikelste Rede seiner Amtszeit halten. Vor beiden Kammern des US-Parlaments wird er gegen das iranische Atomprogramm und den seiner Meinung nach unzureichenden Kompromiss, der sich abzeichne, wettern. Der Auftritt vor dem US-Kongress ist insofern so umstritten, als er vom republikanischen Mehrheitsführer im Abgeordnetenhaus, John Boehner, hinter dem Rücken von Präsident Barack Obama eingefädelt wurde. Demonstrativ wird der US-Staatschef Netanyahu nicht treffen.

Dafür ging Obama schon vor der ersten Rede des israelischen Premiers, die dieser vor der pro-israelischen Lobbyorganisation AIPAC (siehe oben) am Montag hielt, in die Offensive. In einem Interview mit Reuters legte der Präsident nochmals seine Iran-Strategie dar, die dazu führen solle, dass das Regime in Teheran niemals über die Atombombe verfügen kann. Seine Nationale Sicherheitsberaterin Susan Rice sowie UN-Botschafterin Samantha Power wollten vor Netanyahu AIPAC den Standpunkt des Weißen Hauses in der Iran-Causa präsentieren. Bereits zuvor war US-Außenminister John Kerry an die "Front" geschickt worden: "Es wird keinen schlechten Deal geben", sagte er.

Doch genau das befürchtet Netanyahu, der am 17. März als Likud-Spitzenkandidat in die Parlamentswahl ziehen wird. Er wirft den Verhandlern vor, das Ziel aufgegeben zu haben, dass der Iran nicht in den Besitz der Atombombe kommen dürfe. Trotz der Kritik an seinem Trip sei er nach Washington gekommen, um eindringlich vor einem schlechten Abkommen zu warnen. Er bezeichnete seine Reise als "schicksalhafte und historische Mission".

AIPAC: Starke Lobby

Ziele Das "American Israel Public Affairs Committee" (AIPAC) wurde unter einem anderen Namen 1951 gegründet. Ziel ist es, für israelische Interessen im Kongress zu lobbyieren. Die Organisation nimmt maßgeblich Einfluss auf die amerikanisch-israelischen Beziehungen.

Mitglieder und Budget AIPAC hat rund 100.000 Mitglieder und ein Jahresbudget von durchschnittlich an die 70 Millionen Dollar (62 Mio. Euro).

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