"Ich bete um Hilfe für meine Kinder"

Ein Flüchtlingslager am Rande der Hauptstadt Juba. Hier fehlt es vor allem an Essen und sauberem Wasser.
Krieg machte Hunderttausende zu Vertriebenen. Die Caritas lindert die Not in den Flüchtlingslagern.

Dicht an dicht stehen die Zelte. Dazwischen haben die Menschen Gräben gezogen, um die Wassermassen jetzt in der Regenzeit abzuleiten. Doch es hilft nichts: Wenn es richtig schüttet, ziehen sich kleine Bäche durch die notdürftigen Behausungen, und die viel zu wenigen Latrinen quellen über. 6400 Menschen sind hier, gleich neben dem Nil, auf dem kleinen Areal am Rande der südsudanesischen Hauptstadt Juba gestrandet. Der Grund: Im Nordosten des jüngsten Staates der Welt (Abspaltung vom Sudan 2011) tobt seit Dezember 2013 ein erbitterter Machtkampf zwischen zwei Ethnien.

"Ich bete um Hilfe für meine Kinder"
"Ich habe so viele Tote gesehen", sagt Amer Anyeth, die aus der Stadt Bor (siehe Grafik) gleich nach Ausbruch der Gefechte flüchten musste. Sieben Tage lang schlug sich die Frau vom Stamm der Dinka mit ihrem Mann und den vier Kindern ins benachbarte Kenia durch, wo sie in einem Flüchtlingslager Schutz fand. Doch nur scheinbar: "Auch im Camp ist es zu Auseinandersetzungen zwischen Dinkas und Nuer (der zweiten dominanten Gruppe im Südsudan) gekommen. Meinem Mann haben sie das Bein gebrochen", erzählt die 38-Jährige.

Also flüchtete die Familie erneut. Ihren 16-jährigen Sohn musste sie aber zurücklassen – die 150 US-Dollar für den Transport nach Juba reichten nur für das Ehepaar und die Kleineren im Alter von 5, 10 und 12 Jahren. Seit acht Monaten ist die Familie jetzt im Lager, das von der Caritas Österreich über die örtliche Vinzenz-Gemeinschaft unterstützt wird. Hoffnung für sich hat Anyeth keine mehr, "ich bete nur, dass meinen Kindern geholfen wird".

Ausgangspunkt dieses Konfliktes ist die tief liegende Rivalität zwischen dem Präsidenten des Landes, Salva Kiir (Dinka), und seinem ehemaligen Stellvertreter Rick Machar (Nuer). Deren Ringen um die Macht forderte bereits Tausende Tote, zwei der rund zwölf Millionen Menschen sind auf der Flucht (500.000 im Ausland, 1,5 Millionen im Südsudan) – das ist ein Sechstel der Bevölkerung.

Teure Lebensmittel

"Hier droht eine humanitäre Katastrophe und ein Hunger-Drama", sagt Caritas-Präsident Michael Landau, der diese Woche den Südsudan bereiste, "derzeit haben im Land 4,5 Millionen Menschen nicht genug zu essen, das bedeutet eine Verfünffachung zu 2013." Jedes dritte Kind sei unterernährt. Österreich und Europa hätten daher die "Verpflichtung", jenen Menschen zu helfen, "die ums Überleben kämpfen", so Landau.

"Ich bete um Hilfe für meine Kinder"
Südsudan, Caritas
Apathisch schiebt die Sechsjährige ihrer einjährigen Schwester die kleine Kugel in den Mund, die sie zuvor mit ihren Fingern aus dem Reis-Bohnen-Brei geformt hat. Dann ist sie selbst dran. 105 Kleinkinder werden hier auf der Baby-Feeding-Station der Vinzenz-Gemeinschaft in Luluggu, einem Vorort von Juba, aus Mitteln der Caritas aufgepäppelt. Doch es reicht längst nicht mehr. "Die Lebensmittelpreise haben sich vor allem durch den Krieg in einem Jahr verdreifacht", klagt Thomas Preindl, Projektverantwortlicher der Caritas für den Südsudan. Die Ausspeisungen können daher nur noch drei Mal pro Woche erfolgen.

Neben dieser Akuthilfe setzt die Caritas auch auf eine langfristige Entwicklung des Landes. In Luluggu werden etwa Schneider- oder Elektriker-Kurse angeboten. Ganz zentral aber ist neben der Forcierung der Landwirtschaft der Bildungssektor.

Schule für Flüchtlingskinder

"Good morning, teacher", begrüßen die Schüler, aufgefädelt in Reih und Glied, lauthals ihren Lehrer. Aus der Ferne sind die sanften Töne des Songs "Kumbaya my Lord" zu hören. Nach dem Absingen der Nationalhymne beginnt der Unterricht in der Schule für Sechs- bis 16-Jährige.

850 Buben und Mädchen drängen sich in den Klassenzimmern hier im Dorf Gumbo, 45 Autominuten von Juba entfernt, manche werden wegen Platzmangels im Freien unterwiesen. 780 dieser Schüler sind Kriegsflüchtlinge. Gemeinsam mit ihren Müttern (die Väter sind tot oder an der Front) haben sie Schutz gefunden auf dem großen Areal der Don-Bosco-Salesianer, die ebenfalls von der Caritas unterstützt werden. 2000 Vertriebene sind es insgesamt.

"Ich bete um Hilfe für meine Kinder"
Südsudan, Caritas
"Schule ist für diese Kinder extrem wichtig. Nicht nur wegen der Ausbildung, sondern weil sie dadurch einen geregelten Tagesablaufes haben. Das gibt Stabilität", erläutert Pater David, der für das Zelte-Camp verantwortlich ist.

"Auf einen Lehrer kommen 100 Schüler", betont die Direktorin Susan Murikuwani, "da ist es schon schwierig, auf die Langsameren einzugehen." Und sie verweist auf ein weiteres Problem: Viele seien durch die Kriegswirren traumatisierte. "Anfänglich weinten sie nur oder sagten gar nichts. Behutsam und spielerisch mussten wir sie ans Lernen heranführen."

Dass sie Buben und Mädchen verschiedener Stämme zu unterrichten hat, mache die Sache noch komplizierter. "Am Anfang gab es Reibereien, jetzt aber sitzen sie friedlichen und völlig durchmischt in den Klassen", so die 30-jährige Pädagogin.

Der Hass sitzt tief

Dennoch sitzt der Hass tief: Benjamin Galoak, 14, vom Stamm der Nuer nennt auf die Frage nach seinem Berufswunsch wie aus der Pistole geschossen "Staatspräsident". Warum? "Damit ich die töten kann, die uns töten", sagt der Bursch, der Ende 2013 in der umkämpften Stadt Bentiu auf der Flucht seine Eltern und Geschwister aus den Augen verloren hat und in einer Militär-Maschine alleine nach Juba kam.

Pater David und Direktorin Murikuwani haben den Jugendlichen unter die Fittiche genommen und versuchen dagegenzuhalten. "Gott unterscheidet nicht (zwischen Menschen und Stämmen)", sagt die Lehrerin bestimmt, "und ihr sollt ihm darin folgen."

Sie sind einfache Bauern, haben nur selbst gebastelte Vorderlader, aber sie sind höchst erfolgreich – die „Arrow Boys“ (Bogenschützen). Im südsudanesischen Bundesstaat Western Equatorial schützen sie die Dörfer gegen die Kämpfer der „Lord’s Resistance Army“ (LRA) des international gesuchten Kriegsverbrechers Joseph Kony. Inzwischen kommt es nur noch vereinzelt zu LRA-Attacken, die meist glimpflich verlaufen – so wie im Februar, als eine Einheit des Warlords ein Dorf überfiel und Nahrungsmittel raubte. Die Präsenz ugandischer und US-Truppen (rund 100 Mann), die von hier aus Kony jagen, ist zusätzlich abschreckend.

"Ich bete um Hilfe für meine Kinder"
Südsudan, Caritas
„Wir sind in Teams von etwa 30 Personen organisiert, darunter auch Frauen“, sagt Elisa Daudi, 35, der lokale Chef der „Arrow Boys“ in dem kleinen Dorf Kidi. Diesen Freiwilligen-Verband gab es schon zu Zeiten des früheren Königreiches Asand, das jetzt, im zerfallenden Staat, eine Renaissance erfährt.
35 Dollar kostet so ein Vorderlader. Und zwölf Schrott-Patronen made in China gibt es um 1,5 Dollar. Allerdings werden diese dann mit „Munition“ aus Kugellagern von Rad-Pedalen befüllt. So erzielen die „Bogenschützen“ eine absolut tödliche Streuwirkung.

Nicht zuletzt den „Arrow Boys“ ist es zu verdanken, dass die Region jetzt wieder einigermaßen sicher ist – die LRA hat sich irgendwo im Kongo oder der Zentralafrikanischen Republik verkrochen. Die Bauern, von denen viele zuvor von der LRA entführt wurden (allein in diesem kleinen Gebiet waren es 450), wagen sich wieder in die Dörfer zurück.

Agrarhilfe

Dabei werden sie von der örtlichen Caritas unterstützt, die von der österreichischen Partner-Organisation Geld erhält. „Wir bringen den Menschen alte Agrar-Techniken nahe, die im Laufe der vielen Kriegsjahre schlicht in Vergessenheit gerieten“, sagt Matthias Fettback, der für die Landwirtschaftsprojekte verantwortlich zeichnet. Primäres Ziel sei es, die Ernährungssicherheit zu gewährleisten und Überschüsse für den Verkauf zu erzielen. Dazu haben sich 650 Familien (rund 4000 Menschen) zu sieben Genossenschaften zusammengeschlossen. In 47 Untergruppen bewirtschaften sie jeweils ein etwa zwei Hektar großes Gemeinschaftsfeld. Der Erlös aus dem Verkauf von Gemüse, Reis oder Mais sichert den Bauern das Überleben.

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