Eine göttliche Wohngemeinschaft

Rabbi Ben-Chorin, 78, Imam Sanci, 37, Pfarrer Hohberg, 47, (v. li.).
Pfarrer, Rabbi und Imam unter einem Dach? In Berlin geht das: Die drei bauen gemeinsam ein Gotteshaus.

Nein, die Witze nerven ihn nicht, sagt Gregor Hohberg. "Die hören wir oft. Wir haben sogar schon überlegt, eine Kampagne daraus zu machen", sagt der 47-Jährige. Die würde dann so klingen:

Kommen ein Priester, ein Imam und ein Rabbi in eine Bar. Sie erzählen, dass sie zusammen ein Gotteshaus bauen – für Christen, Juden und Muslime. Fragt der Barkeeper: "Soll das ein Witz sein?" Sagen die drei lachend: "Nein!"

Gregor Hohberg, das ist der Pfarrer, der diese Idee in die Welt gesetzt hat – gemeinsam mit Tovia Ben-Chorin, einem Rabbiner, und dem Imam Kadir Sanci. Eineinhalb Jahre ist es her, dass die drei Kirchenmänner am Berliner Petriplatz den gedanklichen Grundstein für ihr gemeinsames Gotteshaus gelegt haben. Etwas, das es weltweit noch nie gegeben hat – und das in einer Zeit, in der sich Vertreter der drei Religionen anderswo lieber die Köpfe einschlagen, als an ein gemeinsames Gotteshaus zu denken.

Unkonventionell

Ein Wunder? Irgendwie schon, hat man den Eindruck. Der evangelische Pfarrer sieht das pragmatischer. "Wir wollten nicht noch eine Kirche bauen", sagt er. Als ihm die Stadt vor sieben Jahren die Möglichkeit geboten hat, dort, wo einst die älteste Kirche Berlins stand, etwas Neues zu errichten, wollte er etwas Größeres machen, etwas, das auch ein bisschen vom unkonventionellen Berlin in sich trägt. "Es gibt viele christliche Kirchen hier, die Anfragen von Muslimen haben, die dort beten wollen", sagt Hohberg. "Und die wollten wir auch ins Haus holen." Dass daneben auch Platz für jene sein muss, die hier einst gewaltsam vertrieben und vernichtet wurden, schien ihm deshalb nur folgerichtig – ebenso wie der Name, auf den sich die drei nach langen Debatten geeinigt haben: "House of One" nennen sie ihr Projekt. "Das ,One‘ steht für die gesamte Menschheit, aber auch für den Glauben an den einen Gott der Juden, Christen, Muslime", so die Erklärung.

Die Bagger stehen still

Die kann man derzeit auch auf den Schautafeln nachlesen, die an der Baugrube am Petriplatz stehen. Denn bisher lebt vor allem die Idee des "House of One", die Bagger, die es errichten sollten, stehen noch still. Das liegt am fehlenden Geld: 43,5 Millionen Euro soll das Projekt kosten, das Gros davon will man durch Spenden finanzieren. Der Spendenstand liegt allerdings erst bei etwas mehr als einer Million. "Zehn Millionen brauchen wir für die erste Bauphase. Bis 2019 schaffen wir das", sagt Hohberg. Die Gottesmänner sind zuversichtlich, wohl auch berufsbedingt. Die Anwohner am Petriplatz sind das auch. Im Café mit Blick auf die Baugrube seufzt die Kellnerin, wenn man sie nach dem Ort fragt. "Es wird Zeit, dass hier endlich mal was geschieht", sagt sie; ihre Stammgäste nicken.

Die Gegend ist trostlos, obwohl sie mitten im Zentrum der Hauptstadt liegt: Touristen verirren sich nur selten hierher, es locken nur Plattenbauten und eine sechsspuriger Straße. Nichts lässt erahnen, dass man historischen Boden unter den Füßen hat: Hier liegt das einstige Zentrum Berlin-Cöllns, hier stand im 13. Jahrhundert die erste Kirche der Stadt. Dass sie im Weltkrieg von den Nazis als SS-Spähposten missbraucht, später von der DDR abgerissen und durch einen Parkplatz ersetzt wurde, ist nur auf den Schautafeln nachzulesen.

Keine Konkurrenz

Eine göttliche Wohngemeinschaft
Bet- und Lehrhaus Petriplatz
Es mag sein, dass der unaufgeregte Umgang mit der eigenen Geschichte ein Grund ist, warum der Bau in Berlin entsteht – und nicht etwa im Jerusalem, das den drei Religionen so heilig ist, dass sie sich darum streiten. In Berlin stießen die drei mit ihrer Idee stets auf Wohlwollen: "Berlin ist so säkular", sagt Hohberg, "und die Berliner so entspannt."

Den Vergleich mit Lessings Ringparabel, in der die Religionen darum wetteifern, wer denn nun die beste sei, lassen die drei Gottesmänner deshalb nur ungern stehen. Es geht ihnen vielmehr um die Kernaussage des Stücks: Toleranz.Getreu diesem Motto ist auch der Bau konzipiert. Drei konfessionelle Gebetsräume an den Seiten, ein Verbindungsraum in der Mitte, durch den man durchgehen muss, wenn man in einen der drei Räume will. Religiöse Symbolik gibt es nur innen, von außen wird das Gebäude nur durch einen hohen Turm geprägt. "Das ist der Turm über dem Begegnungsraum, er ist der höchste Gebäudeteil", sagt Hohberg. "Die drei Räume sind dafür genau gleich groß – sie haben Volumenparität." Keine Religion soll mehr als die andere haben, zentral ist der Ort, wo die Gläubigen aufeinandertreffen. "Das soll wirken wie ein Scharnier."

Humor hilft immer

Stehen die drei nebeneinander, lässt sich das Konzept sogar irgendwie an ihnen selbst ablesen. So unterschiedlich sie aussehen, so ähnlich sind sie sich. Sie verbindet eine Geschichte der Widrigkeiten: Gregor Hohberg protestierte als Student in der DDR, Tovia Ben-Chorin war als Soldat im Sechs-Tage-Krieg, und Kadir Sanci erlebte als Kind türkischer Einwanderer, wie es ist, nicht immer willkommen zu sein. Geholfen hat allen dreien stets der Humor – auch jetzt. "Wir sind über das Projekt Freunde geworden, wir verbringen viel Zeit miteinander, auch privat. Und wir lachen viel", sagt Hohberg. Manchmal auch übereinander: "Bevor wir uns kennengelernt haben, hätte ich noch keinen Witz über das Judentum gemacht", sagt er – und lacht.

Berlin ist nicht Deutschland: Dieser Stehsatz über die Andersartigkeit der deutschen Hauptstadt gilt auch für den Glauben. Während die Deutschen im Schnitt zu knapp 70 Prozent einer Religionsgemeinschaft angehören, ist es in der Hauptstadt umgekehrt – etwa 60 Prozent der Berliner sind ohne Bekenntnis.

Die verbliebenen 40 Prozent teilen sich auf eine Vielzahl verschiedener Bekenntnisse auf. 250 verschiedene Religionen weist die Stadtverwaltung aus, darunter klingende Namen wie "Der wahre Mensch" oder "Die Religiöse Gesellschaft der Freunde", so der offizielle Name der Quäker. Die zwei großen christlichen Kirchen sind im Vergleich mit den anderen Bundesländern nicht besonders stark vertreten. Nur 9,3 Prozent Katholiken leben in Berlin (bundesweit sind es dank Bayern 31,2 Prozent), der evangelischen Kirche gehören 17,5 Prozent an, so das Landesamt für Statistik. Deutschlandweit stellen die Protestanten laut jüngster Volkszählung 30,8 Prozent.

Muslime hingegen sind in der Hauptstadt stärker vertreten als im Rest des Landes: Mehr als sieben Prozent gehören dem Islam an, deutschlandweit liegt ihr Anteil unter fünf Prozent. Dazu kommen noch jene, die an übernatürliche Kräfte glauben, aber keiner Konfession angehören – das sind mehr als 20 Prozent der Berliner.

Unter ihnen sind wohl auch viele, die einst einer der christlichen Religionen angehört haben. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche haben in Berlin mit Austrittswellen zu kämpfen. Nicht davon betroffen ist die Gemeinde St. Petri: "Wir haben Zuwachs – das ist ein schöner Nebeneffekt des ,House of One‘", sagt Pfarrer Gregor Hohberg.

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