"Wir verurteilen religiös motivierte Gewalt"

Der Großmufti von Kairo Shawki Allam fordert Mut für den Dialog der Religionen
Der Großmufti Kairos möchte, dass über den Islam mit mehr Objektivität gesprochen wird.

Seit seiner Bestellung zum Großmufti von Kairo hat Shawki Allam immer wieder zu friedlicher Koexistenz der Religionen aufgerufen. Heute stellt er in Davos eine Initiative vor, mit der er alle muslimischen Staaten in die Pflicht nimmt, ihre Minderheiten zu schützen. Dazu sollen sie – in Kooperation mit der UN – jährliche Toleranzberichte liefern. Der KURIER sprach mit dem Großmufti über die Umsetzbarkeit dieses Vorhabens, über Extremismus, Islamophobie und muslimische Minderheiten in Europa.

KURIER: Mit Ihrer neuen Initiative wollen Sie muslimische Länder in die Pflicht nehmen, ihre Minderheiten zu schützen. Ist das nicht ein bisschen naiv angesichts der vielen Baustellen?

Allam: Erstens ist nichts Naives daran, Brücken zwischen Glaubenstraditionen zu bauen. Zweitens ist das Islamische Recht nicht da, um Andersgläubige zu unterwerfen. Gott sagt im Koran: "Es gibt in der Religion keinen Zwang." Leider berichten manche Medien nur über die Aktionen einer kleinen, aber sichtbaren Minderheit innerhalb der muslimischen Welt. Sie tun so, als ob das die Praxis der Mehrheit der Muslime ist. Und deshalb sollen muslimische Länder der Welt zeigen, dass der Islam auf Diversität und gegenseitigem Respekt beruht.

Was erwarten Sie? Wann sollen die Effekte spürbar sein?

Die wahren Auswirkungen werden wohl nicht spürbar sein, so lange falsche Behauptungen über den Koran nicht widerlegt werden. Allerdings kann das ohne Belebung und Erneuerung des Islam und der anderen großen religiösen Traditionen nicht erreicht werden. Sie müssen in einer Welt, die unter Materialismus, Militarismus, Armut und Krankheiten leidet, zurück zu ihren Kernlehren von Frieden und Gerechtigkeit gehen.

Soll die Initiative auch ein Zeichen sein für Staaten, in denen Muslime die Minderheit sind?

Ja. Gewalttätige Extremisten, die im Namen des Islam handeln, haben viele Teile der Welt getroffen. Die Attacken von Paris und 9/11 sind nur zwei Beispiele. Westliche und östliche Politiker fragen sich: Wo sind die Moderaten? Viele politische Führer sehen nur den Extremismus, der von ein paar wenigen ausgeht – obwohl sie progressive und friedliche Partner in der muslimischen Welt haben. Wir müssen gute Beispiele suchen, die wir übernehmen können. Die einzelnen Religionen werden Mut brauchen, um die anderen wirklich anzuhören.

Muslimen in Europa wird vorgeworfen, dass sie sich nicht integrieren. Verfolgen Sie die Diskussion?

Ja. Aktionen einer Unruhe stiftenden Minderheit von Muslimen werden hergenommen, um die Mehrheit der Muslime darzustellen. Das Bild wird leider auf nicht objektive Weise von den Massenmedien verstärkt. So fördern sie unbewusst Islamophobie, die der unmittelbare Grund für aus Hass begangene Verbrechen gegen muslimische Minderheiten ist. Deshalb sollte der Islam von Medien und in der Bildung in nicht muslimischen Ländern auf vollständigere Art – mit mehr Sensibilität und Objektivität – präsentiert werden.

Was raten Sie den Muslimen in Europa?

Ich rate allen Muslimen auf der Welt, gute Botschafter ihres Glaubens zu sein, egal, wo sie sich befinden. So wie es der Prophet will.

Ein Vorurteil lautet, dass der Islam die Unterdrückung der Frau begünstige.

Wir stellen Tausende Fatwas (Rechtsgutachten) aus, die Frauenrechte auf Würde, Bildung, Arbeit und politische Ämter bekräftigen. Wir verurteilten religiös motivierte Gewalt an Frauen.

Haben Sie gehört, was in der Silvesternacht in Köln passiert ist?

Als religiöser Führer habe ich diese Aktion verurteilt. Sollte es sich wirklich um Muslime gehandelt haben, kann ich nur sagen: Das ist eine kleine Minderheit, die keine Ahnung vom Islam hat! So wie jede Religion haben wir gute und böse Anhänger. Aber der Islam ist seit einigen Jahren im Fokus.

Hunderte junge Europäer schließen sich dem Dschihad in Syrien an. Ist das auch eine Folge von Marginalisierung?

Dschihad ist leider mittlerweile einer der bekanntesten islamischen Begriffe im Westen. Die Extremisten haben das Wort falsch verwendet und die Massenmedien – des Arabischen nicht mächtig – haben es darauf reduziert, terroristische Gewalt zu beschreiben. Viele der jungen Männer und Frauen, die einer verdrehten und fehlgeleiteten Interpretation des Islam verfallen, waren selbst Opfer von Gewalt oder Militarismus. Sie werden benutzt, um eine politische Agenda zu verfolgen, die in den Deckmantel einer sogenannten religiösen Tugend gewickelt ist.

Kommentare