"Langsam ist mir diese Wahl egal"

Ob für Alexis Tsipras oder für Evangelos Meimarakis geworben wird – die Griechen sind wenig zuversichtlich.
Die Enttäuschung vor allem junger Wähler über die Syriza prägt die heutige Parlamentswahl.

Mitten im Ägäischen Meer liegt Milos – eine Insel der Seligen, nicht nur wegen ihrer Landschaft. Die bunten Felsen mit den ungewöhnlichen Farben eines erloschenen Vulkans sind für Touristen wie für die Bergbauindustrie attraktiv. Bentonit, Kaolin und Bimsstein werden hier unter anderem gewonnen. Milos ist eine der wenigen griechischen Inseln, wo mehr Menschen im Bergbau beschäftigt sind als im Fremdenverkehr. "Unter unseren 7000 Einwohnern gibt es so gut wie keine Arbeitslosigkeit", erklärt Iliana, Rezeptionistin in einem der Dutzenden kleinen Hotels auf Milos. Ihr Mann hat einen Job im Bergbau: "Unsere Gehälter sind nicht besonders hoch – der Durchschnitt liegt zwischen 700 und 1000 Euro im Monat, aber wir haben immer Arbeit." Wenn die Touristen im Herbst die Insel verlassen, unterrichtet sie Englisch. Die Frau, die ihr Urlauber mit einem Shuttle-Service bringt, fährt außerhalb der Saison einen Schulbus.

Trotzdem hat die linke Syriza ausgerechnet auf den Ägäischen Inseln bei der Wahl im Jänner groß abgeräumt. Das war damals ein wenig mit der Hoffnung auf niedrigere Steuern verbunden, erklärt dem KURIER der Politologe Othon Anastasakis. Hauptmotiv sei aber Ideologie gewesen – auf den Inseln gibt es eine lange Tradition links zu wählen.

Anfang des Jahres war aber auch etwas anderes im Spiel: "Einerseits glaubten die Menschen wirklich, dass Griechenland den Boden erreicht hatte und es nicht schlimmer werden konnte. Zum anderen konnten sich die wohlhabenderen Inselbewohner den Luxus leisten, auf etwas Unsicheres zu setzen und zu schauen was dabei herauskommt", meint Anastasakis. Wie man sich beim heutigen Urnengang entscheide, sei aber unklar.

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APA/EPA/ORESTIS PANAGIOTOU
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epaselect epa04936304 A man pushes his bicycle past pre-election posters of SYRIZA party and former Prime Minister Alexis Tsipras, in Athens, Greece, 18 September 2015. Elections will be held on 20 September 2015, after prime minister Tsipras resigned on 20 August 2015. EPA/ORESTIS PANAGIOTOU

Kosten werden sichtbar

Seit Jänner ist einiges in Griechenland anders geworden. "Das war eigentlich eine Periode der wirtschaftlichen Stagnation: Den kleinen Unternehmen fehlte selbst das Geld, um ihre Miete zu bezahlen. Der Staat hatte alle Zahlungen an die privaten Wirtschaft gestoppt. Die Menschen haben Kredite nicht zurückzahlen können. Nur dem Tourismus ging es gut. Alle haben praktisch dank der eigenen Ersparnisse überlebt", sagt der Politologe. Im Herbst kämen dann die neuen Steuern, die Kosten der Kapitalkontrollen würden sichtbar , "und die Gesamtkosten von Tsipras’ Amtszeit".

Man sieht es bereits in den jüngsten Meinungsumfragen. Der Stimmungsumschwung der Wähler zeigt sich nicht nur im schwindenden Unterschied zwischen den zwei politischen Gegnern Syriza und der konservative Partei Nea Dimokratia. Auch die Zahl der bis zuletzt Unentschiedenen und der enttäuschten Wähler, die gar nicht mehr abstimmen wollen, ist gestiegen.

Im Stich gelassen

"So wie die Dinge sind, ist es mir langsam egal. Alle zwei Monate haben wir jetzt hier eine Wahl", sagte zum KURIER der 41-jährige Adonis, der in Athen eine Trafik besitzt. Tsipras habe seine früheren Wahlversprechen gebrochen, er sei jetzt also genau wie die anderen Politiker. "Mir ist es gleichgültig, ob Blau oder Rot regiert. Mir ist wichtig, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt und wir nicht länger Geld von anderen nehmen müssen", meint Adonis.

"Ich bin durcheinander und weiß nicht, was ich über die Politik denken soll", gibt die 18-jährige Eftichia Papadatou, ebenfalls aus Athen, zu. Die jünge Frau hat gerade ihr Studium an der Sportakademie begonnen. Sie will entweder Sportlehrerin werden, oder eines Tages ein Fitnessstudio aufmachen. Sie fühlt sich vom Tsipras in Stich gelassen: "Alle Griechen sind enttäuscht von ihm, aber Europa hat ihn auch nicht machen lassen. Er war nicht stark genug."

Die unentschiedenen jungen Wähler könnten auch den heutigen Urnengang entscheiden, ist der Politologe Dimitrios Sotiropoulos überzeugt: "Wenn die Jungen nicht wählen, wird es Syriza nicht gelingen ihr Wahlergebnis zu wiederholen,"

Auch treue Anhänger zeigen sich verunsichert. "Ich bin wütend auf Syriza, die ihre Wähler enttäuscht hat", gibt der 40-jährige Athener Apostolis Illiopoulos, ein Teilzeitlehrer, zu. KURIER hatte ihn im Sommer gesprochen als Teil einer Gruppe von Menschen, die die radikale Linke unterstützten, und sich gegen ein weiteres Abkommen mit den Gläubigern beim Referendum ausgesprochen haben.

Dagegen findet seine Schwester, die 33-jährige Georgia, dass man sich Tsipras vielleicht doch ein zweites Mal anvertrauen sollte. "Vielleicht gebe ich Syriza eine zweite Chance, weil ich keine bessere Möglichkeit sehe", überlegte sie laut.

Syriza habe ein größeres Potential als Nea Dimokratia, die unentschiedenen Wähler an sich zu ziehen, meinen Politologen. Trotz knappen Umfragen tippen die Meinungsforscher aus Kappa Research bereits vor Ende des Urnengangs auf einen erneuten Sieg der radikalen Linken. Sie erklären das damit, dass 55,6 % der von Ihnen befragten Griechen auch von einem Syriza Sieg ausgehen, gegen 30,5 % für Nea Dimokratia.

Derzeit ist die konjunkturelle Lage in Griechenland unübersichtlich“, sagt Ulrich Stolzenburg vom Institut für Weltwirtschaft (ifW) der Universität Kiel zum KURIER. „Wir waren überrascht, dass Athen für das zweite Quartal 2015 ein sattes Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 0,9 Prozent gemeldet hat.“ Ein Grund dafür dürfte der privaten Konsum sein, der um 1,1 Prozent anstieg. „Die Griechen haben ihre Bankguthaben nicht nur abgehoben und ins Ausland transferiert, sondern zum Teil in langlebige Konsumgüter investiert“, sagt Stolzenburg. Laut IfW ist Griechenland (Stand August) mit rund 328 Milliarden Euro verschuldet. Das entspricht 184 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die größten Darlehensgeber sind der Euro-Rettungsschirm EFSM und die Eurostaaten mit insgesamt 184 Mrd. Euro.

Die Arbeitslosigkeit ist im zweiten Quartal um zwei Prozentpunkte auf 24,6 Prozent gesunken, aber die Jugendarbeitslosigkeit beträgt weiterhin 49,5 Prozent. Insgesamt sind 1,18 Millionen Griechen ohne Job. „Da die Löhne und Preise gesunken sind, werden die griechischen Unternehmen künftig wieder wettbewerbsfähiger“, erklärt Stolzenburg. „Wenn es gelingt, eine stabile Regierung zu bilden, dann sind wir optimistisch, dass es zum Jahresende wirtschaftlich ein bisschen bergauf geht.“ Kid Möchel

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